Entsorgung von LVP

Eine neue Untersuchung räumt auf mit den angeblichen Erfolgen der LVP-Entsorgung. Zu Tage kommen zahlreiche Defizite. Verloren ist das System aber noch nicht – sofern zwei Stellschrauben völlig neu eingestellt werden.

„Beseitigungsregime mit angehängter Verwertung“


Was bringt das bestehende System der Verpackungsentsorgung, wenn die Zahlen eine verzerrte Realität vortäuschen und in Wirklichkeit die Recyclingquote schlecht ist? Und jeder versucht, das System zu umgehen: Die Bürger, weil sie Verpackungen in den Restmüll schmeißen, die Hersteller, weil sie ihre in Verkehr gebrachten Mengen nicht lizenzieren und die dualen Systeme, weil sie sich gegenseitig die Entsorgungskosten zuschanzen, indem sie ihre Marktanteile runterrechnen? Nicht viel, will man meinen, und so sieht es auch Heinz Georg Baum.

Der Betriebswirtschaftsprofessor an der FH Fulda hat im Auftrag des Kommunalverbands VKU die Entsorgung von Leichtverpackungen (LVP) in Deutschland untersucht. Eine Auftragsstudie, so betonte er auf der Berliner Recyclingkonferenz, sei es nicht gewesen. Für solche Gutachten stehe er nicht zur Verfügung. Aber was er herausgefunden hat, passt ins Bild all jener, die das bestehende System der Verpackungsentsorgung für wenig effizient und effektiv halten.

Baums Kritik zielt im Wesentlichen auf die Sammlung und die Sortierung. Das Problem ist, dass sowohl die Inverkehrbringer von Haushaltsverpackungen, sprich die Wirtschaft, als auch die privaten Haushalte das System der Verpackungsentsorgung unterlaufen. Diverse Studien für die vergangenen Jahre belegen, dass rund 30 Prozent der LVP-Marktmenge nicht lizenziert sind, die Wirtschaft für die Entsorgung also nicht bezahlt. Auch die Haushalte halten sich nicht an die Spielregeln. Die Zahl ihrer Fehlwürfe ist groß: Rund 40 Prozent der Leichtverpackungen landen nicht im gelben Sack oder in der gelben Tonne.

Mehr Schein als Sein

Fragwürdig ist darüber hinaus die Ermittlung der Recyclingquote für LVP. Diese wird errechnet, in dem man einen Bruch bildet. Oben im Zähler steht die Menge, die einer Verwertung zugeführt wird. Unten im Nenner steht die in Verkehr gebrachte, sprich lizenzierte Gesamtmenge.

Doch das ist irreführend. Denn die lizenzierte Menge entspricht nicht der Menge, die faktisch zur Entsorgung anfällt. So sei 2011 die LVP-Erfassungsmenge fast doppelt so hoch gewesen wie die Lizenzmenge, betonte Baum. Hinzu komme, dass ein Teil der Verpackungsabfälle nicht bei den dualen Systemen landet, sondern im Restmüll. Der Nenner des Bruchs müsste also sehr viel größer ausfallen. Die Recyclingquote wäre somit deutlich niedriger.

Irreführend ist auch der Zähler der ermittelten Quote. Denn die Anlieferung an eine Sortieranlage bedeutet noch nicht, dass der Abfall auch einer Verwertung zugeführt wird. Und wenn doch, dann nicht zwangsläufig einer stofflichen Verwertung.

Um den Erfolg der LVP-Entsorgung realistisch beurteilen zu können, müsste man daher die tatsächliche stoffliche Wiedereinsatzmenge auf den faktischen Erfassungsstrom beziehen, erklärt Baum. Doch dann zeigt sich, dass nur 30,9 Prozent stofflich verwertet werden. Der Rest sind Wasserverluste (13,8 Prozent) oder geht in die energetische Verwertung (55,3 Prozent).

Noch schlimmer fällt die angebliche Erfolgsbilanz aus, wenn man berücksichtigt, dass in den stofflichen Mengen noch 6,6 Prozent Mischkunststoffe enthalten sind. Geht man davon aus, dass die Hälfte der Mischkunststoffe nicht für die stoffliche Verwertung geeignet ist, reduziert sich der Wiedereinsatz auf 27,6 Prozent. Gänzlich ernüchternd fällt die Bewertung aus, wenn man noch den Teilstrom Fe-Metalle rausrechnet, weil für diesen ein duales Entsorgungsregime nicht nötig wäre. Dann bleibt nur noch eine stoffliche Verwertungsquote von 20 Prozent übrig.

Plädoyer für erfolgsabhängige Vergütung

Unter diesem Blickwinkel sei die LVP-Entsorgung nicht anderes als ein „Beseitigungsregime mit angehängter Verwertung“, sagt Baum. Um das System zu reformieren, müsste zum einen die Sammlung verbessert werden. Hierfür schlägt Baum vor, nicht nur die Erfassung zu honorieren, sondern auch den Erfolg dieser Leistung. So könnte die Bezahlung für die Erfassung von der Fehlwurfquote abhängig gemacht werden. Die Zuständigkeit hierfür sieht Baum bei den Kommunen. Ihnen könnte man zunächst nur eine Standardvergütung zugestehen, die sich gegebenenfalls am Medianwert einer statistischen Auswertung von Sammlungs-Ausschreibungsergebnissen orientiert. Der Rest der Vergütung wäre erfolgsabhängig.

Zum anderen schlägt Baum vor, „verwertungsqualitative Aspekte“ zu berücksichtigen. Der bisherige Ansatz der Verpackungsentsorgung dränge auf die Einhaltung stofflicher Recyclingquoten, doch das blende jegliche Qualitätsbewertung aus. Er schlägt deshalb eine „qualitätsbasierte Vergütungskomponente“ vor. Ermittelt würde die Qualitäts- und Marktorientierung über eine Mengenquote, die die Sortierfraktionen mit Zuzahlungserfordernis ins Verhältnis setzt zu denjenigen Fraktionen, die Erlöse bringen. Je weniger Fraktionen erzeugt werden, für die eine Zuzahlung nötig ist, ist, umso mehr marktkonforme Sekundärrohstoffe werden erzeugt. Je mehr marktkonforme Stoffe hergestellt werden, umso höher fällt die Vergütung aus.

So würde der Druck wachsen, auf vermischte und verschmutzte Sortierfraktionen zu verzichten. Das wiederum würde den Druck am Beginn der dualen Entsorgungskette erhöhen, auch den Anteil an Fehlwürfen zu reduzieren.

Mit diesem Modell würde also nicht nur die Sortierleistung, sondern auch der Sortiererfolg – gemessen an dem Quotienten – honoriert. Doch die Frage bleibt, wer für das System die Verantwortung tragen soll. Nach Baums Ansicht müsste es eine Regulierungsinstanz sein, „gleich welchen Zuschnitts beziehungsweise welcher organisatorischen Verankerung oder Anbindung“. Der Markt für die LVP-Entsorgung sei ein „Quasi-Markt“, der sich nicht selbst trage, betont der Betriebswirtschaftsprofessor. Die nötigen Finanzbeiträge müssten ziel- und leistungsgrecht auf die Akteure verteilt werden. Dies könne nur eine Regulierungsinstanz übernehmen.

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