Interview mit DGAW-Präsident Thomas Obermeier

Mit Unverständnis hat DGAW-Präsident Thomas Obermeier auf Äußerungen des Stahlrecyclingverbands BDSV zum Verbrennungsmarkt reagiert. Im Interview erläutert er, was ihn an der aktuellen Diskussion stört und wie sich der Abfallverbrennungsmarkt aus seiner Sicht entwickeln wird.

„Da ist die Recyclingbranche selbst schuld“


Stein des Anstoßes war eine Pressemitteilung des Stahlrecyclingverbands BDSV. Darin hatte der Verband unter anderem vor Engpässen bei der Abfallverbrennung gewarnt und die Abfallimporte aus dem Ausland für die hohe Kapazitätsauslastung verantwortlich gemacht. Obermeier warf dem BDSV-Präsidenten Heiner Gröger daraufhin Unkenntnis des Marktes vor.

Herr Obermeier, die Diskussion um Müllverbrennungskapazitäten wird weitergeführt – allerdings unter anderen Vorzeichen. Was ärgert Sie so sehr an der aktuellen Diskussion?

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Mich ärgert vor allem, dass die Recyclingbranche seit drei bis vier Jahren sehr intensiv darüber klagt, dass wir zu viele Verbrennungskapazitäten haben und die Verbrennungspreise zu niedrig sind und deshalb ein Mehr an Recycling verhindert wird. Jetzt haben wir die Situation, dass die Müllverbrennungsanlagen gut ausgelastet sind und die Annahmepreise im Westen und Südwesten auf durchschnittlich 80 bis 90 Euro je Tonne und im Osten auf etwa 60 Euro gestiegen sind. Aber statt sich darüber zu freuen, klagen die Recyclingfirmen über ihre Verbände, dass alles ganz furchtbar und schlimm ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Auslastung der Müllverbrennungsanlagen nicht gestiegen ist, weil wir mehr Siedlungsabfälle haben, sondern weil mehr Gewerbeabfälle auf die Anlagen zukommen. Das sind auch Gewerbeabfälle von denjenigen Firmen, die sich jetzt beschweren.

Möglicherweise ist bei manchen Branchenvertretern die Freude über steigende Verbrennungspreise bereits abgeklungen, weil die Unternehmen inzwischen vor verschlossenen MVA-Toren stehen.

Ja, aber wenn das so ist, dann ist die Branche selbst schuld. Es ist nicht so, dass bestehende Verträge nicht eingehalten werden, denn die Schwierigkeiten bestehen nur auf dem Spotmarkt. Man hat in der Vergangenheit zwar gejammert, dass die Verbrennungspreise so niedrig sind, war aber nicht bereit, längerfristige Abnahmeverträge mit den Verbrennungsanlagen einzugehen. Stattdessen hat man sich gefreut, das Material zu 30 Euro loszuwerden.

Aber die Verbrennungsanlage wäre doch auch nicht bereit gewesen, zu diesen Preisen längerfristige Verträge zu schließen.

Ja, das stimmt. Keine Anlage kann Verträge zu Preisen abschließen, die nicht kostendeckend sind. Aber es wäre sicher möglich gewesen, sich über einen etwas höheren Preis zu verständigen. Aber das hat man nicht getan.

Und das werfen Sie der Recyclingwirtschaft vor?

Ja, sie haben sich nicht um eine nachhaltige Verwertung der Sortierreste gekümmert. Die niedrigen Spotmarktpreise aber haben sie genutzt. Und wenn nun die Preise steigen, müssen sie mehr bezahlen, das ist der normale Marktmechanismus.

Die BDSV erklärt, dass ihre Mitgliedsfirmen trotz geschlossener Verträge mit Müllverbrennungsanlagen abgewiesen werden. Als Gründe würden eine Vollauslastung oder Revision angeführt.

Nach meinen Informationen ist es nicht so, dass bestehende Langfrist-Verträge nicht eingehalten werden. Wenn ich aber einen Vertrag auf Basis von „können“ und „vermögen“ abschließe, dann kann das passieren. Und eine Revision wird grundsätzlich angekündigt, insofern kommt so etwas nicht überraschend. Allerdings scheint es in der Tat so, dass die außerplanmäßigen Stillstände zugenommen haben.

Woran liegt das?

Einer der Gründe könnte möglicherweise sein, dass die Anlagenbetreiber aufgrund der niedrigen Erlöse in der Vergangenheit nicht genügend in ihre Instandhaltung investiert haben.

Die Folge der aktuellen Marktsituation sind volle Zwischenlager – zumindest bei Mitgliedsfirmen der BDSV. Wäre eine temporäre Verlängerung der Zwischenlagerungs-Genehmigung eine Lösung?

Das ist schwer zu sagen. Ich verstehe, dass Anlagenbetreiber bei der Zwischenlagerung an ihre Grenzen stoßen. Wir hatten die Situation ja schon mal nach der Einführung des Ablagerungsverbots unbehandelter Siedlungsabfälle im Juni 2005. Ob aber längere Lagerfristen eine Lösung sind, muss man sehr genau überlegen. Auch vor dem Hintergrund der Brandgefahr, die von solchen Zwischenlagern ausgeht.

Ist es berechtigt, von einem drohenden Entsorgungsnotstand zu sprechen?

Nein, definitiv nicht.

Manche Vertreter der Recyclingbranche sehen das anders. Die BDSV fordert, Abfallimporte zu begrenzen, wenn hierzulande keine Kapazitäten mehr zur Verfügung stehen. Was halten Sie davon?

Davon halte ich gar nichts. Zum einen ist es so, dass die Abfallimporte nach Deutschland nicht mehr als 3 Prozent der Gesamtkapazität unserer Verbrennungsanlagen ausmachen. In diesem Jahr werden voraussichtlich 650.000 Tonnen aufbereiteter Ersatzbrennstoff aus dem Vereinigten Königreich kommen, zusammen mit den Mengen aus Irland und Polen kommen wir dann voraussichtlich auf nicht mehr als 750.000 Tonnen. Es wundert mich schon, dass Verbände wie die BDSV, die einen Großteil ihrer Schrotte exportieren, nun auf einmal die Abfallimporte begrenzen wollen. Ich halte davon überhaupt nichts. Außerdem gehe ich davon aus, dass es aus rechtlichen Gründen auch gar nicht möglich wäre.

Ist es denkbar, dass die Abfallimporte ohnehin nachlassen, weil die Verbrennungspreise in Deutschland inzwischen höher sind als die Preise für ausländischen Müll?

Ja, die Situation haben wir teilweise sogar schon. Aufbereiteter Ersatzbrennstoff, und nur das wird nach Deutschlandland eingeführt, bringt etwa 60 Euro je Tonne. In vielen Fällen sind MVA-Betreiber also nicht mehr darauf angewiesen. Ich bin mir sicher, dass wir in Deutschland ein Preisniveau bekommen werden, mit dem die Engländer nicht mithalten können.

Wenn die Abfallimporte vor allem dazu gedient haben, das Preisniveau in Deutschland nach oben zu hieven, mengenmäßig aber eine kleine Rolle spielen, was hat dann zur höheren Kapazitätsauslastung der Verbrennungsanlagen geführt?

Das ist definitiv der Konjunktur geschuldet. Aber auch dem höheren Aufkommen an Sperrmüll.

Aber die Konjunktur war auch schon vor zwei Jahren gut.

Ja, und deshalb sind ja auch die Lager der Entsorger voll. Das Zwischenlagern ist wirtschaftlich durchaus sinnvoll, weil den Einnahmen erstmal keine Kosten gegenüberstehen. Für den Cash-Flow eines Entsorgers ist das von Vorteil. Aber nach Ablauf von 2 oder 3 Jahren muss das Material dann entsorgt werden.

Bei guter Konjunktur und höheren Verbrennungspreisen müssten die Auswirkungen in der Recyclingbranche schon zu spüren sein. Haben Sie Hinweise darauf, dass die Sortierung wieder anzieht?

Es gibt Hinweise, dass die Sortieranlagen wieder überlegen, wie tief sie in die Sortierung gehen sollen. Die Diskussion finden derzeit statt. Und deshalb hätte ich mir von den Verbänden gewünscht, dass sie die höheren Verbrennungspreise eher dafür genutzt hätten, höhere Preise bei den Abfallerzeugern zu verlangen, um das Recycling insgesamt zu fördern.

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