Interview

Bis Mitte Juni hatten Entsorger Zeit, ihre Angebote für die laufende Ausschreibung der LVP- und Glaserfassung abzugeben. Auch in diesem Jahr gab es einige Besonderheiten, erklärt Rechtsanwalt Markus Figgen im Interview. Vor allem zwei Umstände könnten den Entsorgern Probleme bereiten.

„Dann ist der Entsorger außen vor“


Acht duale Systeme, mit Ausnahme von Eko-Punkt und Noventiz, prüfen derzeit die Angebote der Entsorger zur Erfassung von Leichtverpackungen und Glas. Auch in diesem Jahr wurde ein Drittel der Entsorgungsgebiete ausgeschrieben. Welcher Systembetreiber dabei die Ausschreibungsführerschaft in einem Entsorgungsgebiet übernimmt, ist abhängig von dessen Marktanteil. Die Laufzeit der Aufträge reicht von 1. Januar 2018 bis Ende 2020. Die Entsorger hatten bis Mitte Juni Zeit, ihre Angebote abzugeben.

Markus Figgen begleitet die Ausschreibungen seit Jahren aus seiner juristischen Perspektive. Figgen ist Rechtsanwalt in der Kanzlei avocado rechtsanwälte und vertritt überwiegend Klienten aus der Privatwirtschaft. Er hat als Partner das Kölner und das Brüsseler Büro von avocado rechtsanwälte im Jahr 2000 mitgegründet. Davor war er bereits mehrere Jahre Partner in einer öffentlich-rechtlich ausgerichteten Kanzlei in Köln.

Herr Figgen, die Entsorger haben ihre Angebote für die aktuelle Ausschreibungsrunde der dualen Systeme abgegeben. Welche Besonderheiten haben Sie bei dieser Ausschreibungsrunde feststellen können?

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Zunächst ist uns aufgefallen, dass es bei einigen Systemen in manchen Gebieten eine Aufteilung in unterschiedliche Fach- und Mengenlose gibt. Teilweise erfolgt eine Aufteilung nach Erfassungssystem wie Wertstoffhof oder Depotcontainer, zum Teil nach Sammlung und Behältergestellung, zum Teil nach Einwohnern/Gemeinden Nord, Ost, West. Diese Aufteilung ist vereinzelt in den Verträgen geregelt, aber überwiegend unterscheiden sich nur die Systembeschreibungen in den betreffenden Vertragsgebieten. Ferner ist hervorzuheben, dass das neue Verpackungsgesetz mitten in der Laufzeit der neuen Verträge in Kraft tritt, aber keinerlei vertragliche Regelungen für daraus resultierende, absehbare Änderungen getroffen werden.

Teile der Entsorgungswirtschaft kritisieren die zweigeteilte Ausschreibung als wenig praktikabel. Welche Schwierigkeiten sind in der Praxis damit verbunden?

Probleme gibt es dann, wenn die Aufteilung durch unterschiedliche Vertragsvarianten erfolgt. Dann müssten die jeweiligen Vertragspflichten sorgfältig bestimmt werden. Leider ist nicht immer eindeutig geregelt, wer bei mehreren Auftragnehmern welche Pflichten übernehmen muss. Dies wird in der Praxis zu erhöhtem Koordinationsaufwand mit den anderen Auftragnehmern führen, bedingt aber auch zusätzliche Risiken für die betroffenen Auftragnehmer. Ferner mussten die Auftragnehmer die ergänzenden Systembeschreibungen sorgfältig prüfen und gegebenenfalls Rügen einreichen, soweit dort sachlich nicht gerechtfertigte Anforderungen an Behälter gestellt werden, beispielsweise de facto nur ein Behälteranbieter zugelassen wird.

Könnte die zweigeteilte Ausschreibung Schule machen und bei der nächsten Ausschreibungsrunde verstärkt zur Anwendung kommen?

Die zweigeteilte Ausschreibung macht das ohnehin komplexe Vertragswerk nicht einfacher. Sollte sie Schule machen – was ich persönlich nicht befürworte -, sollten die dualen Systeme diese Aufteilung zumindest eindeutiger und „besser“ als bislang in den Verträgen regeln und in den Ausschreibungsunterlagen deutlich darauf hinweisen. Schon die letztgenannte Selbstverständlichkeit ist bislang nicht bei allen Systemen beachtet worden.

Ein weiteres Problem ist, dass mitten in die Laufzeit der neuen Verträge das Inkrafttreten des neuen Verpackungsgesetzes fällt. Damit haben die Kommunen zwei verschiedene Möglichkeiten, Änderungen bei der Sammlung durchzusetzen: Einmal in Absprache mit den dualen Systemen über die Abstimmungsvereinbarungen und einmal durch Rahmenvorgaben, die die Kommune im Alleingang festsetzen kann. In den Verträgen steht dazu bekanntermaßen nichts. Welche Probleme könnte es da nun geben?

Wir können es nicht verstehen, dass dazu in den Ausschreibungsunterlagen und Verträgen rein gar nichts bestimmt wird. Die Verträge laufen ja vom 01. Januar 2018 bis 31. Dezember 2020. Und wenn eine Kommune nun zum 1. Januar 2019 sagt: „Ab jetzt soll es in unserem Gebiet eine behältergestützte Sammlung anstatt einer Sacksammlung geben“, dann hat der Entsorger möglicherweise das Nachsehen. Beispielsweise ist dann völlig unklar, ob und wie die dadurch entstehenden Mehrkosten ersetzt werden.

Sie meinen, wenn eine solche Veränderung im Rahmen der Abstimmungsvereinbarung geregelt wird?

Ja, wenn eine solche Änderung in der Abstimmungsvereinbarung zwischen Kommune und dualem System geregelt wird, was grundsätzlich ab dem 01. Januar 2019 möglich wäre, ist der Entsorger außen vor. Ein Ausweg wäre, wenn der Systembetreiber sich auf die entsprechenden Übergangsvorschriften beruft und die Fortsetzung des bestehenden Sammelauftrags unter Berücksichtigung der geltenden alten Abstimmungsvereinbarung verlangt.

Was würde passieren, wenn die Kommune die Änderung mit einer Rahmenvorgabe einseitig bestimmt?

Der Erlass von Rahmenvorgaben – welche einen Verwaltungsakt darstellen – ist erst nach Inkrafttreten des Verpackungsgesetzes möglich, zudem gibt es einen Vorlauf von einem Jahr ab Bekanntgabe der Rahmenvorgaben an die dualen Systeme. Erste Rahmenvorgaben können damit erst ab dem 01. Januar 2020 in Kraft treten. Selbst dann sind allerdings Rechtsmittel der Systembetreiber möglich, die gegebenenfalls aufschiebende Wirkung entfalten.

Aber haben Entsorger bei derartigen Änderungen nicht einen Anpassungsanspruch?

Doch, grundsätzlich schon. Aber ein solcher Anspruch kommt in Ermangelung vertraglicher Regelungen wohl nur in Betracht, wenn sich die Vorgaben für den Entsorger wesentlich ändern und dadurch erhebliche Mehrkosten entstehen. Aber was ist nun wesentlich und was erheblich? Wenn beispielsweise der Abfuhrrhythmus nur geringfügig geändert wird, ist das möglicherweise nicht einmal wesentlich, und die dadurch entstehenden Mehrkosten müssen auch nicht zwangsläufig erheblich sein – und schon bleibt der Entsorger auf diesen nicht einkalkulierten Mehrkosten sitzen.

Wie kann sich ein Entsorger jetzt noch vor überraschenden Änderungen schützen?

Bei den Ausschreibungen gibt es ja regelmäßig ein Aufklärungs- oder Bietergespräch zwischen dem Ausschreibungsführer und dem für den Zuschlag in Betracht kommenden Entsorger. Hier sollten die Entsorger auf alle Fälle ansprechen und klären, ob der Ausschreibungsführer die Übergangsvorschriften nutzen und die unveränderte Fortsetzung der Sammelaufträge verlangen sowie gegebenenfalls Rechtsmittel gegen den Entsorger benachteiligende Rahmenvereinbarungen ergreifen wird. Es sollte auch geklärt werden, wie generell mit Änderungen und insbesondere daraus resultierenden Mehrkosten umgegangen werden soll. Und am besten werden die Ergebnisse dieser Aufklärung protokolliert, damit man sich hinterher nicht über deren Inhalt streiten muss. Allerdings bleibt dann trotzdem die Frage, wie die restlichen Systembetreiber, die ja bei diesen Gesprächen nicht mit am Tisch sitzen, darauf reagieren.

Sind die übrigen dualen Systeme nicht an das gebunden, was der Ausschreibungsführer vereinbart hat?

Nein, der Auftragnehmer schließt mit den übrigen Systemen separate Mitbenutzungsverträge. Dazu ist er grundsätzlich verpflichtet. Wie der Vertrag mit dem Ausschreibungsführer gelten aber auch die Mitbenutzungsverträge regelmäßig nur zwischen den jeweiligen Vertragsparteien. Wenn sich der Auftragnehmer also mit dem Ausschreibungsführer vertraglich oder in Aufklärungs- oder Bietergesprächen einigt, gilt dies nicht automatisch für die übrigen dualen Systeme. Mit den anderen dualen Systemen muss sich der Auftragnehmer mithin separat einigen.

Wie könnte man für die Zukunft diese Schwierigkeiten vermeiden?

Wir hätten uns gewünscht, dass diese Themen in den Ausschreibungsbedingungen und Verträgen vernünftig und transparent abgehandelt werden. Dann wäre für die Bieter eine ordentliche und vollständige Kalkulation möglich gewesen. Zudem hätten jetzt schon vorhersehbare Auseinandersetzungen für die Zukunft vermieden werden können. Das ist eigentlich der Sinn von – guten – Verträgen. Und er sollte es erst Recht bei solchen Verträgen sein, die aus wettbewerbsrechtlichen Gründen im Wege transparenter Verfahren diskriminierungsfrei ausgeschrieben werden.

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