Interview

GGSC-Anwalt Frank Wenzel über die Urteilsbegründungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Untersagung von gewerblichen Sammlungen, den Anspruch auf Vertrauensschutz langjähriger Sammler und die Auswirkungen geplanter Sammlungen der Kommunen.

„Dann ist eine Untersagung nicht möglich“


Das Bundesverwaltungsgericht hat die Urteilsbegründungen für die Urteile zur Zulässigkeit gewerblicher Sammlungen und zu den Anforderungen an die Darlegung der Verwertungswege des Sammlers vorgelegt. Ende Juni hatte das höchste deutsche Verwaltungsgericht die Untersagung einer gewerblichen Sammlung von Altkleidern in Aschaffenburg aufgehoben, weil nach Auffassung der Richter die Vorinstanz einen fehlerhaften Maßstab für die Prüfung der Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers durch die gewerbliche Sammlung angelegt hatte. Ob die Funktionsfähigkeit des örE gefährdet ist, richtet sich nach Darlegung der Richter in erster Linie nach dem Anteil der Sammelmenge, die dem örE durch die neue hinzutretende gewerbliche Sammlung unter Berücksichtigung auch anderer angezeigter Sammlungen und bei Einbeziehung gemeinnütziger Sammlungen voraussichtlich entzogen wird. Auch eine zweite Verfügung zulasten eines Sammlers hatte das Gericht aufgehoben und der Vorinstanz wieder vorgelegt, die seiner Ansicht nach einen zu strengen Maßstab an die Darlegung der Verwertungswege für Kleinsammler zugrunde gelegt hatte. Dr. Frank Wenzel, Rechtsanwalt der Berliner Kanzlei Gaßner, Groth, Siederer & Coll. (GGSC), hat die kommunale Seite in einem der Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vertreten.

Herr Wenzel, angenommen, ein privater Entsorger sammelt schon seit Jahren Altpapier. Nun plant der örE, die gewerbliche Sammlung zu untersagen. Welche wesentlichen Voraussetzungen müssen nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts erfüllt sein, damit die Untersagung Aussicht auf Erfolg hat?

Dr. Frank Wenzel
Dr. Frank Wenzel

Zunächst einmal: dem örE steht es nicht zu, die gewerbliche Sammlung zu untersagen. Er kann allerdings nach zutreffender Auffassung von der zuständigen Behörde verlangen, dass diese eine gewerbliche Sammlung untersagt. Dafür müssen aber die Voraussetzungen nach dem KrWG vorliegen. Hier hat das Bundesverwaltungsgericht nun ein paar wichtige Fragen geklärt. Im Kern hat es zum einen die Anforderungen an die Darlegung der Verwertungswege des Sammlers klargestellt. Je nach Sammler und Fraktion kann die Darlegung nun auch einfacher ausfallen. Zum anderen ist nun geklärt, dass – je nach System – bei einem Mengenanteil aller Sammlungen an der Gesamtmenge einer Abfallfraktion von mehr als 10 bis 15 Prozent von einer wesentlichen Beeinträchtigung auszugehen ist. Dann ist der sog. Tatbestand im Regelfall erfüllt. So kommt man zur Rechtsfolge, die sich dann ggf. in der Untersagung ausdrückt.

Heißt das im Umkehrschluss, dass bei einem Mengenanteil von unter 10 Prozent eine Untersagung grundsätzlich nicht möglich ist?

Grundsätzlich, ja. Ein Sammler unterliegt einer Anzeigepflicht und dann einer dreimonatigen Wartefrist. Erfolgt die Anzeige und er ist tatsächlich der einzige Sammler oder erreicht mit den übrigen Sammlern zusammen nur einen Anteil von (je nach örE-System) weniger als 10 bis 15 Prozent an der Gesamtmenge, dann liegt jedenfalls nicht der Tatbestand vor, der gerade vor dem Bundesverwaltungsgericht Streitgegenstand war. Wenn also auch kein sonstiger Untersagungsgrund vorliegt (Stichworte: Unzuverlässigkeit oder fehlende Darlegung der Verwertungswege), dann ist eine Untersagung nicht möglich.

Angenommen, der gewerbliche Sammler im obigen Beispiel kommt auf einen Mengenanteil oberhalb der 10 bis 15 Prozent. Inwiefern kann er auf Vertrauensschutz hoffen, weil er eben schon seit vielen Jahren sammelt?

In einem solchen Fall wird es dann wohl spannend: kann sich der Sammler mit Erfolg auf Vertrauensschutz berufen und darf deshalb für eine im konkreten Fall zu bemessende Zeit weitersammeln? Der Fall vor dem Bundesverwaltungsgericht hat verdeutlicht, dass es durchaus Konstellationen geben wird, in denen sich auch ein langjähriger Sammler nicht mit Erfolg auf Vertrauensschutz berufen kann. Zum Beispiel, wenn er zwar schon vor der KrWG-Novelle gesammelt hat, aber bereits nach altem Recht eine „Gefährdung der Funktionsfähigkeit des örE“ vorlag.

Wie lange wird der gewerbliche Sammler in der Regel noch weitersammeln dürfen, wenn ihm Vertrauensschutz zugebilligt wird?

Hier gibt es keine Regel im Sinne einer bestimmten Dauer. Der Vertrauensschutz schützt die im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der eigenen Sammlung hierfür getätigten Investitionen, nicht aber Gewinnerwartungen des Sammlers. Im Einzelfall wird zu klären sein, ob es überhaupt etwas Schützenswertes gibt, inwieweit er ggf. Betriebsmittel auch anderweitig einsetzen oder verkaufen kann und ob dann noch etwas übrig bleibt, für das er über einen zu berechnenden Zeitraum noch Erlöse zur Amortisation vereinnahmen darf.

Zusammengefasst heißt das: Ist einmal die Irrelevanzschwelle erreicht, ist ein weiterer Wettbewerb nur mit Duldung des örE möglich?

Am Ende des Tages: ja. Allerdings kommt es, wie eingangs erwähnt, darauf an, wie die zuständige Behörde entscheidet. Das muss sich ja nicht decken mit der Ansicht des örE. – Anmerken möchte ich aber angesichts Ihrer Frage auch noch, dass ich den Begriff der „Irrelevanzschwelle“ zwar für innovativ, aber nicht für sonderlich geglückt halte. Zumal das Gericht meines Erachtens an einer Stelle seiner Begründung selbst über den Begriff stolpert, indem es fälschlicherweise vom „Nicht-Überschreiten“ der Schwelle schreibt.

Welchen Unterschied macht es im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, ob die Sammlung per Holsystem oder per Bringsystem erfolgt?

Das Bundesverwaltungsgericht hat klargestellt, dass bei einem kommunalen Holsystem schon ab einer niedrigeren Schwelle, je nach Fall schon ab 10 %, die wesentliche Beeinträchtigung vorliegt oder – wie es das Gericht formuliert – die „Irrelevanzschwelle“ überschritten ist. – Soweit der Sammler ein Holsystem einführen will, kann der Umstand allenfalls noch im Rahmen des sog. Leistungsvergleichs zum Tragen kommen. Da die Hürde für den Sammler, dessen System wesentlich leistungsfähiger sein muss, recht hoch hängt, sind aber aus der Praxis keine Fälle dieser Rückausnahme zugunsten des Sammlers bekannt.

Kann ein Entsorger in Erfahrung bringen, wie hoch der Anteil der gewerblichen Sammlung in einer Kommune bereits ist?

Ein gesonderter Auskunftsanspruch ist nicht ersichtlich. Der Entsorger kann lediglich seine eigene Sammlung anzeigen und wird dann mutmaßlich entweder nichts hören und kann im angezeigten Umfang bis auf Weiteres sammeln oder er erfährt im Rahmen der Anhörung im Vorfeld einer Untersagung, dass im Zusammenwirken mit einem anderen Sammler (oder mehreren) die genannte Schwelle überschritten ist.

Laut Bundesverwaltungsgericht muss der örE darlegen, dass die kommunale Entsorgungsstruktur „bedarfsgerecht auf die zu erwartende Sammelmenge zugeschnitten ist“. Was heißt das?

Dem Bundesverwaltungsgericht geht es hier mutmaßlich um zweierlei: das System muss im Grundsatz geeignet sein, die Abfallmenge zu erfassen – also anders als z.B. im bayerischen „Zwei-Container-Fall“, wo ein Landkreis mit zwei Containern die Entsorgung für einen ganzen Landkreis sicherstellen wollte. Ansonsten dienen die Angaben des örE, wie das Gericht dann im Weiteren ausführt, zur Ermittlung der Gesamtmenge, um den Mengenanteil der gewerblichen Sammlung an der Gesamtmengen bestimmen zu können.

Inwieweit spielen auch Erfassungssysteme eine Rolle, die der örE noch nicht anwendet, sondern nur plant?

Das Gericht stellt u.a. mit der von Ihnen zuvor zitierten Formulierung „zu erwartende Sammelmenge“ klar, dass neben vorhandenen örE-Systemen auch künftige bzw. geplante Erfassungssysteme und die entsprechenden Mengen zum Ansatz kommen.

Das heißt, geplante Mengen wirken sich zugunsten des gewerblichen Anteils aus, weil die Gesamtmenge größer und der Anteil der gewerblichen Sammlung damit kleiner wird?

Die Berücksichtigung geplanter Mengen kann grundsätzlich in beide Richtungen Auswirkungen haben. Rechnerisch kann eine Ausweitung einer kommunalen Sammlung in der Tat zur Folge haben, dass der Anteil der Sammlungen kleiner wird. Eine Ausweitung bzw. die Berücksichtigung geplanter Mengen kann – wie in dem erwähnten Zwei-Container-Fall – aber auch dazu führen, dass die kommunale Sammlung überhaupt erst durch die Regelung geschützt wird.

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