Interview zum Ausstieg von Remondis als duales System

Remondis wird sein duales System einstellen und unterstützt nun auch offen die Initiative GemIni. Für Remondis-Geschäftsführer Herwart Wilms war diese Entwicklung eine logische Konsequenz. Er spricht im 320°-Interview über die Systemschwächen der Verpackungsentsorgung und die neuen Ziele von GemIni.

„Das ist Risikoabwägung“


Ende Juni hat Remondis offiziell seine Unterstützung für die Initiative GemIni bekanntgegeben. Zugleich hat Deutschlands größter privater Entsorger das Aus für sein duales System Eko-Punkt angekündigt. Stattdessen will Remondis seinen alten und neuen Kunden ab kommendem Jahr eine Maklerlösung für die Rücknahme von Verpackungen anbieten.

Herr Wilms, seit geraumer Zeit ist bekannt, dass Remondis die Initiative GemIni unterstützt. Warum haben Sie mit dem Coming out so lange gewartet?

Remondis
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Wir waren anfangs etwas zurückhaltend, das ist richtig. Aber wir waren ja nicht die Einzigen, auch die kommunalen Mitglieder haben sich ja namentlich nicht „geoutet“. Wir mussten natürlich berücksichtigen, dass die dualen Systeme große Kunden von uns sind. Da geht man mit so einem Thema vorsichtig um. Vor allem dann, wenn man einer Initiative beitritt, die am Ende die Abschaffung eines großen Kunden fordert.

Wann fiel bei Remondis die Entscheidung, sich gegen das bestehende System der Verpackungsentsorgung zu wenden?

Wir haben schon vor geraumer Zeit erkannt, dass die dualen Systeme sich in einem Teufelskreis befinden. Wir haben in der Vergangenheit viele Dinge unternommen, um an der Stabilisierung und Weiterentwicklung der dualen Systeme mitzuarbeiten. Deshalb haben wir viele Maßnahmen inhaltlich gefüttert. Und wir haben viele andere Maßnahmen ergriffen, bis hin zu Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft gegen aus unserer Sicht illegal agierende Marktteilnehmer. Wir haben alles probiert, aber am Ende festgestellt: Es gibt an der entscheidenden Stelle keine Handlungs- und Bewegungsbereitschaft.

Wo liegt die entscheidende Stelle? In der Politik, im Vollzug oder bei den dualen Systemen selbst?

Wir haben von Anfang an ein massives Vollzugsproblem gehabt. Das Problem ist, dass die Behörden vor Ort nichts in der Hand haben, um Trittbrettfahrern oder Falschdeklarierern auf die Schliche zu kommen. Die Behörden können nicht eingreifen, weil es keine Vollzugsvorschrift gibt, mit der die Verpackungsverordnung vor Ort umgesetzt werden kann. Und als wir in der Diskussion um die sechste und siebte Novelle erkannt haben, dass da schon wieder nichts kommt, um den Vollzug sicherzustellen, da war uns klar, dass man aus dem Teufelskreis nicht mehr rauskommt.

Aber das aktuelle System der Verpackungsentsorgung krankt nicht nur am fehlenden Vollzug?

Entwicklung der Vertragsmengen Dualer Systeme 2003 bis 2013Nicht nur. Das Problem liegt natürlich auch im System selbst. Es fehlt an einem Wettbewerb, in dem die dualen Systeme ihre Leistung differenzieren können. Stattdessen besteht der Wettbewerb ausschließlich darin, dem Kunden zu zeigen, wie er weniger lizenzieren kann. Warum haben wir eigentlich so wenig Marktanteil? Weil die Höhe der Marktanteile das Risiko der dualen Systeme bestimmt. Je höher der Marktanteil, desto höher ist das Risiko der dualen Systeme, dass durch die Abmeldung von Mengen der anderen Systembetreiber die eigenen Kosten steigen. Und zwar mehr, als sie an Einnahmen aufgrund Ihres Marktanteils haben. Das ist genau die Katastrophe, die gerade passiert.

Und weil das Wegdefinieren von Marktanteilen nicht zu verhindern ist, steigen Sie aus?

Ja. Schauen Sie sich nur an, wie im Moment die Verhandlungen in der Gemeinsamen Stelle laufen. Da geht es vor allem um die Frage: Wie ist der Clearingvertrag aufgestellt und wie viele Wirtschaftsprüfer haben wir? Die Frage „Wie viele Wirtschaftsprüfer haben wir?“ geht ausschließlich um das Thema „Wie kann ich zukünftig auch weiter Mengen wegdefinieren?“. Genau das hängt eben entscheidend von der Zahl der Wirtschaftsprüfer ab. Haben wir einen einheitlichen Wirtschaftsprüfer, dann gibt es an dieser Stelle keinen Unterschied mehr.

Haben Sie eigentlich ein schlechtes Gewissen, sich als größter privater Entsorger auf die Seite der Kommunen zu schlagen?

„Auf die Seite schlagen“ kann man so nicht sagen. Wir sind in erster Linie ein Recyclingunternehmen und nicht ein duales System. Wir haben immer gesagt, wir brauchen eine stabile Finanzierungsbasis für mehr Recycling. Und das war der Grund, warum wir von Anfang an im Brainpool von Gemini dabei waren und später auch Mitglied von Gemini wurden. Uns geht es darum, neue Recyclingpotenziale aufzuzeigen. Wie das gehen könnte, hat das INFA-Gutachten im Auftrag von GemIni in eindrucksvoller Weise dargelegt. Im Modell GemIni soll es eine kommunale Hoheit und Verantwortung geben, ja, das ist richtig, aber eben nur zusammen mit einem Vergabeverfahren. Unser Wunsch ist, dass die Vergabe frei im Markt erfolgt.

Der Wunsch wird sich aber möglicherweise nicht erfüllen. GemIni räumt den Kommunen explizit das Recht ein, die Sortierung und Verwertung selbst zu übernehmen.

Ja, so gesehen ist es eine Risikoabwägung. Möglicherweise wird die eine oder andere Kommune die Inhouse-Fähigkeit probieren. Aber was ist die Alternative? Das Risiko, dass wir über die bisherigen dualen Systeme flächendeckend eine komplette Unterfinanzierung haben, ist noch größer.

Das Politikgeschäft funktioniert bekanntlich mit plakativen Argumenten. Das neue wird heißen: Selbst Remondis ist davon überzeugt, dass die Kommunen es besser können.

Das mag sein. Aber klar ist: Wir sind nicht der Auffassung, dass die Kommunen es besser können, sondern nur der Meinung, dass die Verpackungsentsorgung in die Hände der Kommunen gehört, was die Finanzierungshoheit und die Ausschreibungshoheit betrifft.

Eko-Punkt blieb als duales System weitgehend erfolglos. Verspricht sich Remondis mit seinen diversen PPP-Beteiligungen ein besseres Geschäft, wenn die Verantwortung bei den Kommunen liegt?

Zunächst ist es ja so, dass – wenn der Vollzug und die Umsetzung tatsächlich so kommt, wie wir uns das vorstellen – alle unsere PPPs nicht Inhouse-fähig sind. Insofern ist das von unserer Seite keine Hinwendung zu den Kommunen, weil wir da schon ein Geschäft haben. Aber wir glauben schon, dass wir mit unseren PPP-Gesellschaften wettbewerbsfähig sind und uns dem Markt stellen können. Und diesen Markt wollen wir auch.

So wie sich die Diskussion auf Ebene der Bundestagsfraktionen und Ministerien derzeit gestaltet, dürfte GemIni aber geringe Chancen haben, sich auf politischer Ebene kurzfristig durchzusetzen.

So pessimistisch sehe ich das nicht. Wir stehen erst am Anfang einer Diskussion um das Wertstoffgesetz. Die Diskussion ist nun eröffnet und da ringt man im Vorfeld um das beste Modell. Dass das Bundesumweltministerium sich kritisch geäußert hat, verstehe ich als Zeichen von Diskussionsbereitschaft. Im Übrigen kann eine Absage an ein solches Modell nicht von der Verwaltungsebene des Umweltministeriums kommen. Das wird am Ende eine politische Entscheidung sein. Diese politische Diskussion führen wir weiter.

Die politische Ebene hält eine Gebührenfinanzierung, wie sie von GemIni ursprünglich geplant war, für nicht durchsetzbar. Auch diverse Kommunen sind dagegen. Haben Sie die politische Dimension Ihres Vorschlags unterschätzt?

Gemini wollte ursprünglich eine reine Gebührenlösung, weil damit die Finanzierung sichergestellt gewesen wäre. Es hätte dann keinen Anlass mehr für eine Unterlizensierung gegeben, eben weil die Finanzierungsverantwortung entfallen wäre. Damit hätte es auch keine Trittbrettfahrer mehr auf Seiten der Hersteller gegeben, weil nicht mehr die Hersteller, sondern die Bürger bezahlen müssen. Doch die Gebührenlösung erscheint nicht praktikabel, das ist in den vergangenen Wochen deutlich geworden. Also gehen wir jetzt den Weg über eine Abgabe.

Viel ist nicht bekannt über die Abgabe. Außer, dass eine Zentrale Stelle die Koordination übernehmen soll. Reicht das aus, um die Politik von einem Systemwechsel zu überzeugen?

Viele Vertreter aus der Politik sind ja schon überzeugt. Denn jeder, der den unsinnigen Scheinwettbewerb der dualen Systeme mitverfolgt, wird froh sein um eine Lösung, die einen gangbaren Weg aufzeigt. Und dafür schafft GemIni mit einer Abgabenlösung und einer Zentralen Stelle die nötigen Voraussetzungen. Die Zentrale Stelle kann man sich wie eine Zollbehörde vorstellen. Sie hätte vor allem bessere Vollzugsmöglichkeiten als heute die unteren Abfallbehörden. Dann wird der Vollzug funktionieren, da bin ich mir sicher.

Und keiner wird fragen, wie genau das System finanziert werden soll?

Doch, sicherlich. Und darauf werden wir auch rechtzeitig Antworten geben. Im Vordergrund steht aber zunächst einmal die grundsätzliche Frage bezüglich eines Systemwechsels. Zuerst brauchen wir hierzu einen Konsens.

Und wenn Sie den Konsens haben, welche Antworten werden Sie dann geben?

Unsere Antworten werden aus drei Punkten bestehen: Erstens: hohe Erfassungsmengen in den Kommunen müssen auf Basis des INFA-Gutachtens ins Gesetz, dazu sollte es einen dauerhaften Wettbewerb zwischen den Kommunen geben. Auf diese hohen Erfassungsmengen müssen im Gesetz hohe Recyclingquoten festgelegt werden. Zweitens sollte die Finanzierung der Verpackungs- und Produktverwertung über eine Zentrale Stelle als Produktabgabe finanziert werden, aber von den Kommunen ausgeschrieben werden und drittens sollten die Kommunen mit den besten Erfassungsmengen Zusatz-Geld von der Zentralen Stelle bekommen.

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