Reaktionen zur Bundesratsentscheidung

Wie erwartet, hat der Bundesrat am Freitag für die kommunale Sammelverantwortung für Wertstoffe gestimmt. NRW-Umweltminister Johannes Remmel sprach im Plenum vom „Minenfeld

Das Minenfeld


Kurz nach 11 Uhr am heutigen Freitag war es soweit: Die Länderkammer hat mit großer Mehrheit dem Entschließungsantrag mehrerer Bundesländer zugestimmt. Die zentrale Forderung: Künftig sollen die Kommunen für die Sammlung von Wertstoffen aus privaten Haushalten zuständig sein, nicht mehr die dualen Systeme. Insgesamt 40 Länderstimmen stimmten der Empfehlung der Ausschüsse für Umwelt, Wirtschaft und Inneres zu. Für eine einfache Mehrheit wären 35 Stimmen nötig gewesen.

Neben der kommunalen Sammelverantwortung soll unter anderem die Sortierung und Verwertung in zentralisierter Form ausgeschrieben werden sowie Papier, Pappe und Karton aus der Systematik der Finanzierungsverantwortung herausgenommen werden.

In weiteren Punkten wird gefordert, die Produkt- und Finanzverantwortung der Hersteller sicherzustellen und dafür das Lizenzentgelt nach ökologischen Kriterien zu staffeln. Außerdem soll eine Zentrale Stelle mit hoheitlichen Befugnissen eingerichtet werden, was laut Papier die Abschaffung der dualen Systeme möglich macht.

Unmittelbar vor der Abstimmung warben mehrere Landesvertreter für den Antrag. NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Bündnis90/Die Grünen) verglich die Abfallwirtschaft mit einem „Minenfeld“. Die Akteure – die Kommunalen und die Privaten – hätten sich in „tiefe Schützengräben“ eingegraben. Dabei gebe es eine lange eingeübte Partnerschaft der beiden Kontrahenten, diese solle durch den Vorschlag keinesfalls zerstört werden.

Gemeinsam mit Peter Friedrich, Bundesrat- und Europa-Minister aus Baden-Württemberg (SPD), und der rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerin Eveline Lemke (Bündnis90/Die Grünen) betonte Remmel, dass der Vorschlag keine Verstaatlichung bedeute: „Das Ländermodell spricht sich lediglich für eine kommunale Verantwortung der Sammlung aus – das, was die Kommunen schon immer machen und gut können“, sagte Friedrich. Es gehe nicht darum, den Kommunen ein lukratives Geschäft „zuzuschanzen“. Das sei gar nicht möglich, da diese nur einen standardisierten Kostenersatz für die Sammlung erhalten und die Wertstoffe dann „mittelstandsfreundlich“ von einer Zentralen Stelle an die Privatwirtschaft übergeben werden sollen.

Verlust tausender Arbeitsplätze?

Zahlreiche Vertreter der Privatwirtschaft zeigen sich von den Versprechen nicht überzeugt. Die Entscheidung führe zu einer „Verdrängung privater Fachbetriebe zugunsten kommunaler Betriebe“, sagte Eric Rehbock, Präsident des Entsorgerverbands bvse in einer ersten Reaktion. Es sei zwar nachvollziehbar, dass die Aufgabenerledigung der dualen Systeme für Skepsis gesorgt habe. „In der Konsequenz nun aber die privaten Entsorgungsunternehmen aus einem wichtigen Teilmarkt faktisch auszuschließen, könne nicht der Weisheit letzter Schluss sein.“

Auch Peter Kurth, Präsident des Entsorgerverbands BDE, spricht von einem „Ausschluss von Wettbewerb und die Verstaatlichung von Entsorgungsdienstleistungen“. Die Entscheidung erschwere außerdem das Gesetzgebungsvorhaben: „Es darf bezweifelt werden, ob die vom Bundesrat angenommene Initiative, die Wertstofferfassung weitgehend zu verstaatlichen, dem Gesetzgebungsvorhaben für ein Wertstoffgesetz in dieser Legislaturperiode weiterhilft.“

Den Verlust tausender Arbeitsplätze befürchtet Andreas Schwenter, Präsident des Stahlrecyclingverbands BDSV: „Für die Betriebe in unserer Branche bedeutet dieser Beschluss eine akute Bedrohung. Die Betriebe leben zu einem wesentlichen Teil davon, dass Metallschrott aus privaten Haushaltungen angeliefert wird.“

Enttäuscht zeigt sich auch der Handelsverband Deutschland HDE. „Mit der heutigen Entscheidung des Bundesrats zum geplanten Wertstoffgesetz hat die Länderkammer einen funktionierenden Wettbewerb wirtschaftlichen Interessen einzelner Kommunen geopfert“, sagt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Verbands.

„Falschmeldungen im Vorfeld“

Für Thomas Mehl, Geschäftsführer des dualen Systems BellandVision, ist die Entscheidung „ökonomischer und ökologischer Unsinn auf Kosten der Verbraucher“. Seiner Meinung nach wurden im Vorfeld „Falschmeldungen“ verbreitet, um die Verstaatlichung eines Zweiges der privaten Wirtschaft „schönzureden“. „Der bisherigen Praxis, die Kommunen im Wettbewerb am System zu beteiligen, scheinen sich interessierte Kreise nicht mehr stellen zu wollen“, so Mehl.

Der Systembetreiber DSD wiederum kritisiert vor allem die Schaffung einer zentralen Behörde mit operativen Aufgaben. „Eine Behörde verfügt nicht über die Marktnähe und die Flexibilität, die es braucht, damit recycelte Stoffe in neuen Produkten auch eingesetzt werden“, ist sich Micheal Wiener, Geschäftsführer der Duales System Holding, sicher.

Auch aus der Politik bekommt die Privatwirtschaft Rückendeckung: „Ich kritisiere die heutige Entscheidung des Bundesrates“, sagt der Bundestagsabgeordnete Thomas Gebhart (CDU). Eine Umsetzung der Entscheidung wäre ein dreifacher Rückschritt: „Erstens würde es für den Verbraucher teurer werden. Zweitens ist die Entscheidung ein ökologischer Rückschritt mit Blick auf den Ressourcenschutz. Drittens würde die Umsetzung zu einem massiven Aufbau an Bürokratie führen.“

Freude beim Kommunalverband

Die Kommunen begrüßten die Entscheidung selbstredend. „Denn die Organisationsverantwortung über die Wertstofferfassung gibt den Kommunen die Möglichkeit, den Bürgern Abfallentsorgung aus einer Hand anzubieten“, freute sich der Kommunalverband VKU. Einmal mehr betonte der Verband, dass die Entscheidung keine Verstaatlichung sei. Wie bisher würden viele Kommunen die Entsorgungsdienstleitung ausschreiben und an private Entsorger vergeben.

Die Gemeinschaftsinitiative zur Abschaffung der dualen Systeme GemIni, der eigentliche Initiator der Revolution gegen die dualen Systeme, zeigt sich ebenfalls zufrieden. Die Initiative sehe sich in ihrer Arbeit bestätigt. In Richtung Bundesumweltministerium betonte GemIni- Sprecher Hartmut Gaßner: „Das BMUB muss endlich seine Vorstellungen, wie sie zuletzt in den von breiten Teilen der Fachöffentlichkeit abgelehnten Arbeitsentwurf eingegangen sind, ändern.“ Es sei inakzeptabel, das Gesetzgebungsvorhaben scheitern zu lassen, weil ein „kleiner Kreis von Systembetreibern und einige sie unterstützende Handelsverbände einseitige Vorstellungen durchsetzen wollen.“

Wie die Bundesregierung, respektive das BMUB, auf die heutige Entscheidung reagiert, bleibt abzuwarten. Der Bundesratsvorschlag ist nicht bindend. Bislang hat das eigentliche Gesetzgebungsverfahren noch nicht begonnen, da nur ein Arbeitsentwurf des BMUB und noch kein Gesetzesentwurf vorliegt. Dem Vernehmen nach soll es keinen zweiten Arbeitsentwurf geben. Angekündigt ist für das Frühjahr stattdessen ein Referentenentwurf. Ob dieser tatsächlich kommen wird und wenn ja, mit welchem Inhalt, ist nun die große Frage.

Möglicherweise war die heutige Entscheidung im Bundesrat der Anfang vom Ende des geplanten Wertstoffgesetzes. Möglicherweise setzt das BMUB aber auch seinen Kurs fort und hofft auf veränderte Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat infolge der vier Landtagswahlen, die in diesem Jahr anstehen. Möglicherweise wird es aber auch so kommen, wie es GemIni-Sprecher Hartmut Gaßner fordert: Dass das BMBU die heutige Forderung des Bundesrats in den Referentenentwurf aufnimmt.

© 320°/ek | 29.01.2016

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