Interview zur Zukunft des Gipsrecyclings

Mit der geplanten Stilllegung von Kohlekraftwerken wird kaum noch REA-Gips anfallen. Beste Chancen, die Verwendung von Recycling-Gips zu steigern, sollte man meinen. Doch so einfach ist es nicht, wie Jörg Demmich vom Bundesverband Gips im Interview erläutert. Es gibt etliche Hürden.

“Das Recycling könnte zum Erliegen kommen“


Geht es um Bau- und Abbruchabfälle, fallen häufig die Begriffe selektiver Rückbau und Ressourceneffizienz. Wer das in der Praxis berücksichtigen will, stolpert zwangsläufig über Gips. Der Baustoff fällt verstärkt als Abfall an und gilt vielen als Störstoff. Dabei hat Gips nicht nur als Baustoff eine Reihe von Vorteilen: Er ist unendlich recycelbar. Wie konkurrenzfähig recycelter Gips ist und wo Deutschland hinsichtlich Gipsrecycling im europäischen Vergleich steht, erklärt Jörg Demmich. Der promovierte Ingenieur ist Vorsitzender des Rohstoff- und Umweltausschusses beim Bundesverband Gips (BV Gips) und Bereichsleiter Synthetische Gipse beim Unternehmen Knauf.

Herr Demmich, wie viel kostet derzeit eine Tonne Gips aus Naturmaterial?

Knauf
Knauf

Das kommt darauf an. Bei Naturgips gibt es sehr unterschiedliche Zahlen. Das hängt natürlich immer davon ab, wie weit die Einsatzstelle vom Steinbruch entfernt ist. Ab Steinbruch liegen wir im niedrigen einstelligen Euro-Bereich pro Tonne. Addieren Sie die Transportkosten hinzu, sind wir zweistellig.

Und wie viel kostet eine Tonne aus recyceltem Material?

Für recycelten Gips kann ich die gleiche Antwort geben. Wenn die Recyclinganlage direkt neben dem Gipswerk liegt, spielen Transportkosten natürlich keine Rolle. Ansonsten kommt ein massiver Transportkostenanteil hinzu, um den recycelten Gips in ferner entlegene Gips- oder Zementwerke zu schaffen.

Inwieweit ist recycelter Gips unter diesen Umständen konkurrenzfähig?

Insbesondere für Gipswerke kann sich der Einsatz von recyceltem Gips durchaus lohnen, vor allem dann, wenn das Material frei angeliefert kaum etwas kostet. Umgekehrt heißt das für den Lieferanten von recyceltem Gips, dass er Erlöse nur auf dem Entsorgungsmarkt erzielen kann. Die Gipsindustrie muss Investitionen tätigen, um diesen sekundären Rohstoff überhaupt einsetzen zu können. Denn im Vergleich zu REA-Gips und Naturgips hat Recycling-Gips einfach andere Eigenschaften.

Bislang gibt es nur zwei Gips-Recyclinganlagen in Deutschland: die Anlage von Strabag Umwelttechnik im baden-württembergischen Laufen/Deißlingen und die Anlage der Firma MUEG Mitteldeutsche Umwelt- und Entsorgungsgesellschaft im Großraum Leipzig. Lohnt sich Gips-Recycling nicht für mehr Anlagen?

Eigentlich schon, aber man muss berücksichtigen, dass das Gips-Recycling in Deutschland im Grunde genommen erst am Anfang steht. Hinzu kommt aber noch ein weiteres Problem: Seit vergangenem Jahr bekommen die Anlagen Konkurrenz durch eine wesentlich günstigere Verwertungsmethode in Tschechien. Dort werden alte Uranbergbau-Schlammteiche, ein Areal von 800 Hektar, rekultiviert und abgedeckt, was die EU mit über 20 Milliarden Euro fördert. Die tschechischen Umweltbehörden haben hierfür eine Liste von 62 Abfällen zugelassen, unter anderem auch Gipsabfälle. Folglich hat die Anlage der MUEG derzeit äußerst wenig Input. Die Anlage in Laufen im Südschwarzwald hingegen ist weit genug weg. Unterm Strich besteht aber durchaus die Gefahr, dass zumindest Gips-Recyclingaktivitäten in Deutschland zum Erliegen kommen.

Sehen Sie eine Möglichkeit, dagegen vorzugehen?

Wir versuchen es zumindest. Wir haben Anfang des Jahres über den europäischen Gipsverband ein offizielles Beschwerdeverfahren bei der Generaldirektion Umwelt in Gang gesetzt. Mittlerweile wird das bearbeitet. Uns geht es nicht darum, die landschaftsökologische Maßnahme in Tschechien zu kippen. Wir wissen, dass diese Art der Verwertung mit dem EU-Recht konform ist. Wir wollen lediglich erreichen, dass die dort zugelassenen Stoffe wie REA-Gips und gipshaltige Bauabfälle von der Liste gestrichen werden und dem Recycling für diese Stoffe gemäß EU-Abfallrahmen-Richtlinie und Kreislaufwirtschaftsgesetz wieder die höhere Priorität gegenüber der sonstigen Verwertung eingeräumt wird. Wir hoffen nun, dass die Europäische Kommission der tschechischen Regierung eine Anhörung schickt.

Wie viele Gipsabfälle stehen in Deutschland generell zur Verfügung?

Insgesamt fallen in Deutschland nach den neuesten Zahlen der Kreislaufwirtschaft Bau jährlich rund 600.000 Tonnen gipshaltige Abfälle an. Gut die Hälfte davon sind Baustellenabfälle, also Ziegel und Beton mit Gipsanhaftungen. Die stehen momentan nicht zum Recycling an. Die andere Hälfte, also die 300.000 Tonnen Gipsplattenabfälle, wollen wir recyceln. Dafür sieht das Konzept der Gipsindustrie vor, eine Reihe von Gipsplattenanlagen flächendeckend in Deutschland zur Annahme von Recycling-Gips umzurüsten. Im ersten Schritt sind das 150.000 Tonnen, später 300.000 Tonnen. Mit der Anlage von Strabag steht bereits eine Kapazität von maximal 75.000 Tonnen zur Verfügung. Hinzu kommt die Anlage der MUEG mit ebenfalls maximal 75.000 Tonnen. Weiter in die Zukunft geschaut, rechnen wir mit einer Anfallmenge recycelbarer Gipsplattenabfälle im Bereich von 500.000 bis einer Million Tonnen pro Jahr. Diese Mengen wollen wir natürlich hier behalten.

Kommt die Energiewende wie geplant, wird REA-Gips aus den Rauchgasentschwefelungsanlagen der Kohlekraftwerke nicht mehr anfallen. Können sich die Hersteller von Recycling-Gips bereits freuen, weil dann REA-Gips durch recycelten Gips ersetzt wird?

Im Prinzip, ja. Das Energiekonzept der Bundesregierung sieht vor, dass bis 2050 80 Prozent des Stroms aus grüner Energie gewonnen wird. Das bedeutet für REA-Gips, dass die sieben Millionen Tonnen, die derzeit pro Jahr in Deutschland anfallen, quasi auf null zurückgehen werden. Der Bundesverband der Gipsindustrie hat für den Zeitraum bis 2050 verschiedene Szenarien erarbeitet, wie sich die REA-Gips-Produktion von Dekade zu Dekade entwickelt.

Welche Mengen landen davon in Gipswerken oder Zementwerken?

Größte Braunkohlekraftwerke in Deutschland nach Nennleistung im Jahr 2014* (in Megawatt) Wir schätzen, dass jährlich etwa 4 bis 5 Millionen Tonnen REA-Gips in Deutschland als Rohstoff in der Gipsindustrie und zu einem kleinen Teil in Zementwerken eingesetzt werden. Ein weiterer Teil des in Deutschland produzierten REA-Gipses wird in Länder, in denen es keinen Naturgips gibt, exportiert. Der Rest geht in Depots, um das Material zu einem späteren Zeitpunkt zu vermarkten. Wenn die 4 bis 5 Millionen Tonnen wegfallen, müsste man unter dem Gesichtspunkt der Ressourceneffizienz Recycling-Gips einsetzen. Das Problem ist nur, dass diese Mengen nicht zur Verfügung stehen, um REA-Gips vollständig durch Recycling-Gips zu ersetzen. Das heißt, wir müssen mittelfristig von einem steigenden Abbau von Naturgips ausgehen.

Wir haben bislang nur über Deutschland gesprochen. Wie steht es um das Gipsrecycling in anderen europäischen Ländern?

In manchen Ländern ist man da wesentlich weiter. Das betrifft unter anderem Maßnahmen, um Gipsabfälle gezielt in sekundäre Rohstoffe zu überführen. In Deutschland nehmen manche Deponien der Klasse I noch immer Gipsplattenabfälle für 15 bis 30 Euro je Tonne an. Insbesondere in Skandinavien und England hat sich dieses Thema seit Langem erledigt. Dort hat man mit entsprechenden umweltrechtlichen Bedingungen, unter anderem hohen Deponiekosten, dafür gesorgt, dass sich Gipsrecycling auch unter ökonomischen Gesichtspunkten lohnt. Beide Länder sind inzwischen Vorreiter in Sachen Gipsrecycling. Und andere Länder lernen daraus. Die Niederlande und Belgien ziehen nach. Darüber hinaus gibt es in Frankreich, Italien und anderen EU-Ländern erste Gipsrecyclingaktivitäten.

Wie hoch ist das Gipsabfallaufkommen in den einzelnen EU-Staaten?

Zu den Mengen, die in den Länder jeweils anfallen, kann man derzeit noch wenig sagen. Das versuchen wir gerade innerhalb des EU-geförderten Projekts GtoG (Gypsum to Gypsum) abzuschätzen.

Um was genau geht es bei diesem Projekt?

Zum einen geht es um den generellen Austausch und die Weiterentwicklung hinsichtlich der Technik und der Einsatzmöglichkeiten von Recycling-Gips in Gipsplatten und anderen Produkten. Der wesentliche Punkt jedoch ist die Sicherstellung der nötigen Qualität. Deshalb sitzen innerhalb des GtoG-Projekts erstmals Abbruchunternehmen, Recyclingfirmen und Gipsindustrie an einem Tisch. Hier haben wir in Gesprächen festgestellt, dass in Europa unterschiedliche Rahmenbedingungen herrschen, was ‚demolition‘ und deconstruction‘ angeht, also der einfache Abriss im Vergleich zum selektiven Rückbau. Und das ist ja so: Wenn Sie insbesondere ausländische Abrissunternehmen fragen, bekommen sie immer die Aussage ‚Alles in Ordnung, wir arbeiten nach den Vorgaben‘. Und wenn Sie dann in die Realität schauen, bekommen Sie Inputmaterial mit einer riesigen Bandbreite an Störstoffen. Da ist noch eine Baustelle im wahrsten Sinn des Wortes. Denn eines ist sicher: Je sortenreiner der Input in eine Gipsrecyclinganlage ist, desto besser ist nachher das Produkt, das hinten wieder herauskommt.

Ist es denkbar, dass in der Zukunft Naturgips oder REA-Gips zu 100 Prozent mit RC-Gips ersetzt werden kann, wenn die entsprechenden Mengen zur Verfügung stünden?

Nach dem heutigen Kenntnisstand, ganz klar nein. Allein wegen der Tatsache, dass Recycling-Gips niemals die Qualität von REA-Gips erreichen kann. In der Qualitätsleiter steht an erster Stelle häufig REA-Gips, der in der Regel einen höheren Gipsgehalt als Naturgips hat. Danach kommt Naturgips, gefolgt an dritter Stelle von Recycling-Gips, wo man unter anderem einen gewissen Restpapieranteil von einem Prozent akzeptieren muss. Eine der Kernaufgaben des GtoG-Projekts ist es festzustellen, wie groß der Anteil von Recycling-Gips überhaupt sein kann, den man für die Herstellung von Gipsprodukten verwenden kann. In Großversuchen, die gerade stattfinden, testen wir einen Anteil von 5 bis 30 Prozent. Wie das ausgeht, kann ich noch nicht sagen. Da müssen wir abwarten, bis das Projekt Ende 2015 abgeschlossen ist.

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