Stoffliche Verwertung

Für Bauprodukte aus Reifen-Recyclat sollen künftig verschärfte Anforderungen an den Gehalt von PAK gelten. Die stoffliche Verwertung von Altreifen wäre damit massiv gefährdet, warnt Helmut Hirsch vom Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie im Interview. Mehr noch: Für viele Recycler wäre es das wirtschaftliche Aus.

„Das würde das wirtschaftliche Aus bedeuten“


Herr Hirsch, Sie warnen eindringlich vor einer Beschränkung der stofflichen Verwertung von Altreifen. Worauf gründet Ihre Befürchtung?

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Der Grund ist eine Änderung der deutschen Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (M-VV TB) seitens des Deutschen Instituts für Bautechnologie. Darin ist vorgesehen, dass der Gehalt an polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen PAK in Bauprodukten auf 50 Milligramm je Kilogramm zu beschränken ist.

Warum will das Deutsche Institut für Bautechnologie die Bestimmung ändern?

Grundsätzlich war eine Änderung der Musterbauordnung notwendig geworden, nachdem der Europäische Gerichtshof im Herbst vergangenen Jahres die Verordnung als nicht konform mit EU-Recht verworfen hat. Weshalb nun de facto bei Bauprodukten eine Grenzwertverschärfung durch den Ausschluss des bisherigen Testverfahrens nach DIN ISO 18287 erfolgt, wird genauso wenig begründet, wie das Verbot für die Verwendung von Material aus Altreifen im Bereich textile Bodenbeläge.

Gleichzeitig gibt es eine Initiative vom niederländischen Umweltministerium auf EU-Ebene, Sportböden, Fallschutzbeläge und ähnliche Produkte zu reglementieren. Was sind deren Vorbehalte?

Nach unserer Information befürchtet das niederländische Umweltministerium eine gesundheitliche Gefahr für Personen, wenn Sportböden oder Fallschutzmatten genutzt werden, die Materialien aus Fahrzeugreifen enthalten. Einen Nachweis, dass tatsächlich ein Stoffübergang aus diesen Erzeugnissen bei bestimmungsgemäßen Gebrauch in relevantem Umfang stattfindet bleibt das Ministerium schuldig. Veranlassung ist also die reine Vermutung. Neuere Untersuchungen zeigen aber, dass auch bei dauerhaftem Kontakt keine Migration von PAK stattfindet.

Im REACh-Anhang VIII ist allerdings nicht nachzulesen, dass Fallschutzmatten oder Sportböden betroffen sind. Dort ist nur die Rede von Werkzeuggriffen, Griffen an Sportgeräten oder Haushaltswaren, die in direkten Hautkontakt gelangen.

Das stimmt, in der Tat. Die EU-Kommission plant auch nicht, Sportböden, Fallschutzmatten und dergleichen explizit im Eintrag 50 Abs. 5 zu nennen. Vielmehr ist in der Diskussion, den Begriff „für die allgemeine Öffentlichkeit in Verkehr gebracht werden“ dahingehend zu erweitern, dass, abweichend von der Legaldefinition in Art. 3 Nummer 12 auch die Benutzung von zum Beispiel Sportböden oder Fallschutzmatten auf Spielplätzen hierunter zu verstehen sein soll.

Wie passt die definitorische Erweiterung mit dem Vorhaben des europäischen Joint Research Centers (JRC) zusammen, einen Migrationstest für PAK in Produkten mit Reifen-Recyclat zu entwickeln?

Der Auftrag an das JRC bezüglich Migrationstest geht auf den Überprüfungsauftrag im Eintrag 50, Abs. 8 zurück: „Bis zum 27. Dezember 2017 überprüft die Kommission die Grenzwerte gemäß den Absätzen 5 und 6 im Lichte neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, auch über die Migration von PAK aus den darin genannten Erzeugnissen“. Das begrüßen wir. Denn einerseits fehlt es am Hautkontakt mit den Produkten und darüber hinaus sind die enthaltenen PAK nicht ausreichend bioverfügbar. Neuere Untersuchungen bestätigen, dass die PAK-Moleküle in einem Elastomer-Erzeugnis eine so geringen Beweglichkeit aufweisen, dass sie selbst bei erhöhten Temperaturen nicht aus dem Produkt austreten.

Angenommen, das Verbot für die Verwendung von Material aus Altreifen würde Wirklichkeit, welche Mengen könnten dann nicht mehr stofflich verwertet werden?

Eine abschließende quantitative Erfassung liegt noch nicht vor. Eine erste Erhebung ergibt jedoch eine Größenordnung von über 150.000 Tonnen pro Jahr. Entsprechende Marktvolumina für Reifen-Rezyklat in anderen Anwendungen existieren nicht. Das gilt auch für die verbleibende Alternative der stofflich/energetischen Verwertung in der Zementindustrie. Für Recycler und Hersteller von Erzeugnissen aus Reifen-Recyclat würde dies das wirtschaftliche Aus bedeuten.

Wie geht es nun weiter?

Wir als Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie stehen mit den verordnungsgebenden Stellen im Bund und bei der Europäischen Kommission in Kontakt. Wichtig ist aber: Die Kurskorrektur muss jetzt erfolgen.

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