Abfallende von Altkunststoffen

Der Abfallendeprozess für Altkunststoffe schreitet voran. Erst vor kurzem hat die EU-Kommission einen Vorschlag für die Produktkriterien vorgelegt. Für Thomas Probst, Referent für Kunststoffrecycling im bvse, sind die Anforderungen mangelhaft. Im Interview mit 320° erklärt er, was die Kriterien für die Recycler bedeuten könnten.

„Die rechtlichen Konsequenzen können katastrophal sein“


Der Abfallende-Prozess für Altkunststoffe zieht sich schon über mehrere Jahre hin. Ende 2014 hatte das Gemeinsame Forschungszentrum (JRC) der EU-Kommission seinen technischen Endbericht vorgelegt. Mitte Juli hat die EU-Kommission auf dieser Basis die Vorschläge für das vorzeitige Abfallende fertiggestellt. Am 10. September sollen nun die beteiligten Kreise über das Papier beraten. In letzter Konsequenz muss das EU-Parlament die Vorschläge absegnen. Die Recyclingbranche hatte zunächst einige Hoffnung in das vorzeitige Abfallende gesetzt, doch inzwischen ist sie eher ernüchtert.

Herr Probst, vor einigen Jahren haben Sie den Produktstatus noch gefordert, inzwischen aber lehnen Sie den Abfallendeprozess ab. Warum?

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Es ist richtig, dass wir zunächst für den Abfallendeprozess geworben haben. Das lag daran, dass wir bei den zahlreichen Gesprächen mit der EU-Kommission zusammen mit der Kunststoffverarbeitenden Industrie den Eindruck hatten, dass valide Kriterien für das Abfallende in gegenseitiger Abstimmung gesucht werden. Die jeweils im Laufe des Verfahrens vorgelegten Kriterien haben aber dann nur sehr unzureichend den Diskussionsstand abgebildet. Die gelebte Praxis des Kunststoffrecyclings wurde völlig unzureichend berücksichtigt.

Was genau fehlte aus Ihrer Sicht?

Die seit vielen Jahren bestehenden, spezifischen Anforderungen der Industrie an die Recyclate wurden vollständig ignoriert. Damit wurde verkannt, dass die Mehrzahl der Recyclate bereits zweckgerichtet produziert wird. Diese Recyclate haben bereits den Produktstatus und eine jeweilige Qualitätssicherung. Für sie gelten also schon strenge Kriterien, um die Produkteigenschaft zu erfüllen. Hinzu kam, dass immer größere Hürden für das Abfallende geschaffen wurden; ja sogar diejenigen Recyclate, die bereits den Produktstatus haben, kommen nun in Gefahr, diesen zu verlieren. Insgesamt zeichnete sich somit ein Bürokratiemonster ab, das nur wenigen Recyclaten das Abfallende ermöglichen würde.

Welche Vorgaben sollen konkret für das Abfallende gelten?

Nach dem Willen der Kommission sind neben anderen Punkten die schlimmsten Vorgaben, dass die Produktkriterien je Anlieferung nachzuweisen wären sowie Gerüche und Haptik als Ausschlusskriterium gelten. Darüber hinaus sind umfangreiche Getrennthaltungspflichten vorgesehen. Des Weiteren stellt der Kommissionsvorschlag vollkommen überzogene Anforderungen an ein neues Qualitätsmanagementsystem, das in Deutschland erst aufgebaut werden müsste. Außerdem erschweren die vorliegenden Kriterien die Verarbeitung von Kunststoffen aus anderen Herkunftsbereichen wie beispielsweise von Elektro- und Elektronikgeräten, anstatt dies zu fördern. Darüber hinaus wäre je Lieferung eine Konformitätserklärung abzugeben, deren rechtliche Konsequenzen katastrophal sein können. Der jetzt veröffentlichte Kommissionsvorschlag zeigt nach wie vor große Mängel und überbordende Bürokratie. Im Kommissionsvorschlag finden bereits bestehende Produktkriterien und die jeweils bestehenden Systeme zum Qualitätsmanagement, zur Gütesicherung und für die Zertifizierung kaum Beachtung.

Angenommen, die Kriterien blieben unverändert: Welche Kunststoffabfälle könnten dann das Abfallende-Kriterium erfüllen?

statistic_id244248_kunststoffe---produktionsmenge-in-deutschland-nach-kunststoffart-2013Nach dem vorliegenden EU-Kommissionsvorschlag können Kunststoffabfälle das Abfallende nicht erreichen, sondern nur Recyclate. Allerdings wird das Abfallende dabei in der Regel erst beim Transfer vom Kunststoffecycler zum Kunststoffverarbeiter wirksam. Nach Meinung des bvse soll das Abfallende-Kriterium eindeutig der Recyclatherstellung zugeordnet werden und dort wirksam sein und nicht – wie bei Schrotten – erst bei der Übergabe an die Stahlfabrik bzw. den Kunststoffverarbeiter. Ein Problem des derzeit gültigen Kommissionsvorschlags sind die schwammigen, manchmal auch unzutreffenden Begriffe und Definitionen.

Welche Vorteile hätte der Produktstatus für die Recycler überhaupt noch?

Nun, der wesentliche Vorteil wäre, dass es europaweit einheitliche Vorgaben für das Abfallende geben würde. Dann wäre für die Verbringung endlich ganz klar, ob Abfall oder ein Produkt vorliegt. Mindeststandards für die Recyclate und deren Qualitätssicherung wären dann europaweit einheitlich definiert. Davon würde der Warenaustausch innerhalb Europas profitieren. Unter dem Strich würde das Kunststoffrecycling in Europa einen entscheidenden Impuls bekommen, so dass mehr Kunststoffabfälle recycelt werden. Dies bedeutet beträchtliche Investitionen in Arbeitsplätze, Maschinen und Anlagen.

Als Produkt können die Altkunststoffe aber auch leichter aus der EU ausgeführt werden. Wird dann der Export nicht steigen?

Eben nicht. Denn gerade praxisnahe Abfallende-Kriterien erleichtern es, das Material in Europa zu halten. Wird aber im Gegenteil ein Bürokratiemonster geschaffen, werden Kunststoffabfälle in noch größerem Umfang als bisher nach Fernost verschifft. Es ändert sich ja nicht das Abfallrecht, sondern die Schnittstelle vom Abfall zum Produkt. Genau das ist der Grund dafür, dass wir für valide, belastbare, einfache, transparente und praxisnahe Kriterien eintreten.

Am Ende hat jeder Kunststoffrecycler die Wahlmöglichkeit, ob er die Kriterien anwenden möchte. Was glauben Sie, wie groß wäre der Anteil derjenigen, die das Abfallende anstreben werden?

Für die Kunststoffrecycler besteht keine Möglichkeit, „Abfälle“ in die weiterverarbeitende Industrie zu liefern – sie haben also gar keine Alternative zum Produktstatus. Die Recycler generieren, wie gesagt, schon seit jeher marktgängige Recyclate, die den Produktstatus haben oder eben Erzeugnisse für die Industrie und den Endverbraucher. Um es ganz deutlich zu sagen: Für die Recyclate und Folgeprodukte gelten bereits jetzt die Vorschriften aus dem Abfallbereich, dann alle Regelungen für den Produktstatus und schließlich auch noch das Chemikalienrecht, hier insbesondere REACH und CLP.

Als es bei Altpapier um die Abfallende-Kriterien ging, wurde das Verfahren noch im EU-Parlament gestoppt. Hoffen Sie auch bei Altkunststoffen auf die EU-Parlamentarier?

Hier wohnen zwei Seelen in meiner Brust. Entweder praxisnahe, valide Abfallende-Kriterien werden jetzt in den abschließenden Beratungen erreicht und durchgesetzt. Das müssen Kriterien sein, die den Anforderungen der Recycler in Europa gerecht werden. Außerdem sind die Ziele der Kommission umzusetzen, dass die Kreislaufwirtschaft industriegerechte Rohstoffe generiert. Oder es gewinnen eben all diejenigen, die jetzt schon Strukturen aufgebaut haben, um die bisher vorgelegten und bislang noch völlig unzureichenden Kriterien zu kippen.

© 320°/ek | 29.07.2015

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