Zur Lage der Kunststoffrecycler

Die Dualen Systeme sind schuld an der schwierigen Lage vieler Kunststoffrecycler, meint der Experte für Kunststoffrecycling, Dirk Textor. Im Interview mit 320° beschreibt er, welches Kalkül seiner Meinung nach dahinter steckt.

„Die wollen den Mittelstand plattmachen“


Das zurückliegende Jahr war für die mittelständischen Kunststoffrecycler kein gutes. Einige Unternehmen mussten Insolvenz anmelden, viele kämpfen um geeignetes Inputmaterial. Der Kunststoffexperte Dirk Textor, Geschäftsführer des Beratung Dr. Textor Kunststoff GmbH, erklärt im Interview, warum die Lage desolat ist, was er den Recyclern rät und warum er sich über das „viele Gequatsche“ so ärgert.

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Herr Textor, in den vergangenen Monaten häuften sich die Meldungen über Insolvenzen bei Kunststoffrecyclern. Sind das Einzelfälle oder lässt sich daraus ein allgemeiner Trend ablesen

Definitiv Letzteres. Es ist zweifelsohne so, dass es vielen Kunststoffrecyclern wirtschaftlich nicht gut geht.

Woran liegt das?

Das liegt daran, dass die Qualität der Kunststoffe, die die Recycler von den Dualen Systemen angeliefert bekommen, verheerend schlecht und meistens überteuert ist. Manche Recycler bekommen inzwischen sogar gar kein Material mehr und müssen ihre Anlage stilllegen. Das überleben viele wirtschaftlich nicht lange.

Das heißt, nur DSD & Co. sind an allem schuld?

An dieser Situation: Ja. Die Lieferanten, also die maßgeblichen Dualen Systeme, liefern schlechte Qualitäten. Und gleichzeitig bin ich als Recycler davon abhängig, dass mir diese Systeme Material liefern. Also bekomme ich sehr schlechte Qualitäten zu einem viel zu hohen Preis. Oder eben gar kein Material.

Und die Marktpreise spielen keine Rolle?

Was sind denn Marktpreise auf der Inputseite, wenn dort eine oligopolistische Struktur herrscht? Der Preis wird bei den Fraktionen PP, HDPE und zum Teil auch bei den Folien mehr oder weniger diktiert.

Über schlechte Qualität beklagen sich Kunststoffrecycler schon seit langem. Wie dramatisch ist die Situation aktuell?

Die Lage ist so schlimm wie noch nie. Bei einem Kunststoffverwerter aus dem Münsterland wurde durch ein Gutachten belegt, dass von 210 Mischkunststoffanlieferungen sage und schreibe 13 Lieferungen spezifikationsgerecht waren – das sind lediglich 6,2 Prozent. Bei PP und Folien waren es über 70 beziehungsweise über 60 Prozent der Lieferungen, die nicht dem entsprechen, was in den Verträgen als Spezifikation angegeben wird.

Sie sagen selbst, dass die Qualität in den Verträgen festgeschrieben ist. Das kann doch ein Recycler einfach reklamieren…

… ja, theoretisch schon. Aber das Problem ist, dass es eine Sonderregelung gibt, die es in keinem anderen industriellen Prozess gibt: Der Abnehmer des Kunststoffmaterials – also der Recycler, der ja im herkömmlichen Sinne der Kunde sein sollte – muss nämlich die Qualität der Ware überprüfen, die angeliefert wird. Das wäre so, als ob ein Kunde im Supermarkt überprüfen muss, ob in einer Literflasche Milch tatsächlich auch ein Liter Milch drin ist.

Aber das muss den Recycler doch nicht davon abhalten zu reklamieren?

Ja, aber Sie müssen berücksichtigen, dass viele Recycler auf die Systembetreiber angewiesen sind, da diese inzwischen das Eigentum an den Kunststoffabfällen haben. Das heißt, nach der Sortierung gehört das Material den Systembetreibern. Wer sich da beschwert, bekommt ganz schnell einfach gar nichts mehr. Die Lieferverträge gehen ja manchmal nur für ein paar Wochen.

Und was passiert, wenn der Recycler trotzdem reklamiert?

Das bringt in der Praxis leider gar nichts. Beispielweise hat ein Verwerter in Bayern es Anfang November gewagt, bei der DKR, die für DSD vermarktet, sechs Lieferungen zu reklamieren. Diese wurden schließlich zwar abgeholt, aber es wurde nur eine Ersatzlieferung gebracht und diese hatte schon ein rotes Kreuz von einem anderen Verwerter drauf. Das Ergebnis: Die Anlage musste abgestellt werden. Ob die Firma nochmal reklamiert, wage ich zu bezweifeln.

Folie1Gibt es denn mit allen Systembetreibern solche Probleme?

Die Eigentumsrechte sichern sich DSD, Sita und Interseroh. Wobei Interseroh nicht so auffällt, weil sie keinen großen Marktanteil haben. Die anderen Systembetreiber lassen die Vermarktung bei den Sortieranlagen. Das ist für Recycler aus zwei Gründen viel besser: Zum einen können sie bei Reklamationen direkt mit den Anlagenbetreibern statt mit den Systemen sprechen. Und zum anderen sind Sortierer bemüht, bessere Qualitäten herzustellen, um diese höherpreisig verkaufen zu können. Diese Motivation fällt ja weg und wenn die Vermarktung wieder bei den Systemen liegt, gilt eben Masse statt Klasse.

Wie stark drängen die dualen Systeme bereits in das Geschäft der Sortierung und Verwertung?

Mit sehr viel Energie, allen voran DSD, weil die den Mittelstand platt machen möchten und die Kunststoffe über die gesamte Kette von der Lizenzierung, Sammlung, Sortierung und Verwertung selbst in der Hand haben möchten. Die insolventen Anlagen wie Schwarzataler und TPP werden dann aufgekauft und selbst betrieben. Neue oder eigene Anlagen haben sie noch nie gebaut. Und in Dänemark, wo sie sich in einem freien Markt hätten behaupten können, haben sie schon nach weniger als zwei Jahren wieder aufgeben müssen. Da sind einige Millionen versenkt worden.

Aber DSD ist auf diesem Feld nicht alleine unterwegs…

… richtig. In 2016 wird ebenfalls eine Anlage in Betrieb genommen, die dann durch Sita beliefert wird. Interseroh liefert ja schon seit Jahren PP zur Granulatherstellung ins Werk in Eisenhüttenstadt. Über 70 Prozent des Materials ist damit einfach schon in den Händen dieser Dualen Systeme. Wo bleibt da übrigens das Bundeskartellamt? Dort wird immer nur gejubelt, wie gut der Wettbewerb unter den Systemen funktioniert, aber nach der Sortierung schauen die einfach nicht mehr hin. Und dass es immer weniger Material für den Mittelstand gibt, wurde erst kürzlich wieder deutlich.

Inwiefern?

Mir bekannte Recycler – einer davon ist die ZWS-Recycling – haben eröffnet bekommen, dass sie künftig von DSD kein PP und PE mehr bekommen. Da wird noch nicht mal nach einem neuen Preis gefragt, sondern einfach gesagt: In drei Wochen kriegst du nichts mehr. Bei solchen Vorgängen bin ich wirklich froh, dass ich kein Recycler mehr bin.

Was kann ein Recycler in so einem Fall noch tun?

Spontan? Gar nichts! Dafür ist es zu spät. Wer vielleicht noch Chancen hat, sind diejenigen, die schon früher versucht haben, ihr Material von anderen Lieferanten zu bekommen. Beispielsweise von Kommunen oder aus dem Ausland. Momentan kommt da was aus Schweden und den Niederlanden. Auch aus Großbritannien und Frankreich. Weil nämlich hier der Mittelstand das Know-how hat, wie diese Kunststoffe qualitativ hochwertig recycelt werden können.

Kunststoffabfallaufkommen und recycelte Kunststoffmenge in Europa 2006-2012Dennoch kam diese Entwicklung nicht über Nacht. Warum haben sich die Recycler nie kollektiv gewehrt?

Zum einen müssen Sie da immer mit dem Kartellrecht aufpassen. Aber sicher, ich hätte mir gewünscht, dass sich alle gemeinsam darauf einigen, einen Monat lang gar kein Material anzunehmen und so bessere Qualitäten zu erzwingen. Aber in der Branche wird sich zu wenig getraut. Selbst bei den großen Verbänden wird nur der kleinste gemeinsame Nenner gefunden. So leben viele von der Hand im Mund und es geht immer weiter nach unten, bis es irgendwann zu Ende ist.

Könnte denn durch die Gewerbeabfallverordnung und das Wertstoffgesetz die Situation verbessert werden?

Im Prinzip ja. Aber darüber wird ja schon seit Jahren geredet und geredet und geredet und nichts passiert. Erst kürzlich hat ein Staatssekretär aus Sachsen gesagt, dass das Wertstoffgesetz nicht vor 2017 kommt. Ich bin das viele Gequatsche auch leid. Ich glaube, es wird mit Absicht so viel geredet, damit nichts passiert und für viele Recycler ist es irgendwann zu spät.

Es ist ja bald Weihnachten. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was wäre das?

Ganz einfach: freie Stoffstromvermarktung nach der Sortierung.

© 320°/ek | 12.12.2014

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