Abfallwirtschaft 4.0

Wissenschaftler sind überzeugt: Die Digitalisierung kann helfen, Stoffkreisläufe zu schließen. Allerdings müssen Industrie und Abfallwirtschaft besser vernetzt werden. Stoffflüsse und Informationsflüsse sollten sehr viel stärker koordiniert werden, auch ein Kompetenzzentrum würde helfen.

Digitalisierung als Chance für die Kreislaufwirtschaft


Noch immer setzen Unternehmen für ihre Produkte lieber Primärmaterialien ein, anstatt auf recycelte Rohstoffe zurückzugreifen. Hauptgrund sind Informationsdefizite und die fehlende Vernetzung von Industrie und Abfallwirtschaft, meinen Forscher vom Wuppertal-Institut. Diese Lücken könnten durch die Digitalisierung geschlossen werden.

Wie die Forscher im Positionspapier „Die Digitale Transformation als Wegbereiter ressourcenschonender Sto­ffkreisläufe“ schreiben, braucht es eine Digitalisierungso­ffensive in Industrie und Abfallwirtschaft. Um das zu unterstreichen, zitieren die Autoren aus einer Studie im Auftrag des Bundesumweltministeriums vom November 2016. Dort heißt es sinngemäß: Kein Umweltleitmarkt könnte so stark von der Digitalisierung profitieren wie die Kreislaufwirtschaft und sei gleichzeitig bisher so schlecht aufgestellt.

Informationsdefizite abbauen

Übergeordnet soll die Digitalisierung helfen, Stoffkreisläufe zu schließen, indem Informationsdefizite abgebaut werden. Henning Wilts, Geschäftsfeldleiter am Wuppertal Institut, und Holger Berg, Projektleiter im Geschäftsfeld Kreislaufwirtschaft, haben die Informationsdefizite gesammelt und in vier Bereiche kategorisiert:

Unterentwickelte Informationsverfügbarkeit

  • oft unklare Recyclat-Qualität: Angaben zu Reinheit, Art und Menge von Beimischungen fehlen vielfach, sind aber für eine Wiederverwendung entscheidend.
  • intransparente Angaben zur Mengenverfügbarkeit von Recyclaten auf dem Markt: Skaleneffekte bleiben aus, Recyclate werden unnötig teuer.
  • sichere Informationen zu hochwertigem Recyclat fehlen: Material geht nicht direkt in den Markt oder erfährt nicht den bestmöglichen Einsatz.

Erhöhte Transaktions- und Suchkosten

  • unklare Informationen über die Qualität von Sekundärmaterial erhöhen Suchaufwand für potenzielle Nutzer.
  • unklare Informationen erschweren die Preisfindung und erhöhen Aufwand für Vertragsabschlüsse und Garantien.

Wahrnehmungsverzerrung beim potenziellen Kunden

  • Sekundärmaterial wird generell als geringwertiger wahrgenommen.
  • fehlendes Wissen über die generelle Einsetzbarkeit von Sekundärmaterial.
  • ungerechtfertigte Preisvorteile für Primärmaterial, weil etwa Luft- und Umweltverschmutzung nicht eingepreist sind.

Technologische Probleme

  • Recyclierbarkeit wird nicht als Wettbewerbsvorteil wahrgenommen.
  • höhere Recyclingkosten durch ungünstiges Design.

„Für Unternehmen ist es deutlich ungewisser wo und wann Abfälle anfallen, die als Sekundärrohstoffe eingesetzt werden könnten, als bei Primärmaterialien, beispielsweise aus dem Bergbau“, bringen es Wilts und Berg auf den Punkt. Darüber hinaus sei der Wert von Abfällen in hohem Maße davon abhängig, was über die Zusammensetzung dieser Abfälle bekannt ist: Was sind teuer zu entsorgende gefährliche Abfälle und was kann sinnvoll recycelt werden.

Big Data, IoT, Block-Chain und Co.

Für die Zukunft schlagen die Autoren vor, Stoffflüsse und Informationsflüsse stärker zu koordinieren – mit Software und Technologien von Dritten. Hierbei werden massenhaft Daten über die stoffliche Zusammensetzung jedes einzelnen Produkts, seine Nutzungsmuster, seinem Verbleib im Abfallsystem generiert, gesammelt, verarbeitet und wieder zur Verfügung gestellt. Wie das aussehen soll, skizzieren sie im Positionspapier wie folgt:

Zuallererst benötigt es sogenannte Cyber Physical Systems, zu deutsch etwa: ein Verbund softwaretechnischer Komponenten mit mechanischen und elektronischen Teilen. Diese könnten dafür sorgen, dass Produkte Informationen über den gesamten Produktionsprozess speichern. Für die Kreislaufwirtschaft wären solche Systeme über den gesamten Lebenszyklus sinnvoll und könnten umweltrelevante Informationen wie Materialzusammensetzung oder auch „Footprints“ liefern.

Daneben sind den Autoren zufolge Systeme zur Datensammlung und -erzeugung in Echtzeit erforderlich (Sensoring). Steht der genaue Anfallort von Abfällen und deren exakte stoffliche Zusammensetzung ort- und zeitgenau fest (auch als „Fast Data“ bezeichnet) erhalten andere Unternehmen diese Informationen und können ihre Produktionsprozesse planen. Übergeordnete Datenanalyse-Anwendungen (also „Big Data“) könnten dann die weiteren Schritte planen, beispielsweise sinnvolle Logistikkonzepte.

Das Recyclat vermarktet sich selbst

Angebot und Nachfrage für Abfälle oder Sekundärrohstoffe wird in dieser Welt internetbasiert über eine automatisierte Markt- und Logistikplattform abgewickelt. Das soll laut Wilts und Berg wie „Uber für Abfall“ funktionieren und helfen, Such- und Transaktionskosten zu reduzieren. Zudem könnten leichter Skaleneffekte erzielt werden, da mehr Klarheit über Materialmengen besteht.

Denkbar sei auch, dass sich wiederzuverwertende Produkte ihre Märkte über Internet of Things (IoT)-Werkzeuge automatisch „selbst“ erzeugen, indem sie sich auf solchen Plattformen selbst vermarkten. „Recyclate sind zum Teil heute schon preiswerter als Primärmaterial, dies könnte so noch gesteigert werden. Recyclierbarkeit wird dann auch zum technischen Wettbewerbsvorteil“, betonen die Autoren.

Damit die Konkurrenz keine Rückschlüsse auf eigene Produktionstechnologien ziehen kann, bringen die Forscher Block Chain-Anwendungen ins Spiel, bekannt von der virtuellen Währung Bitcoin. So würden Informationen anonymisiert und verschlüsselt weitergeben.

Digitalisierung dort, wo es Sinn macht

Um Kreislaufwirschaft und Digitalisierung zusammenzubringen, arbeiten die Forscher aktuell an einem Kompetenzpapier (Circular Economy Literacy). Ihrer Meinung nach sind vier Punkte besonders wichtig. Zum einen plädieren sie für ein Kompetenzzentrum Digitalisierte Kreislaufwirtschaft, um Beratungsangebote für innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln. Ferner schlagen sie vor, speziell kleine und mittelständische Unternehmen zu fördern, die aufgrund hoher Investitionen, fehlender Kapazitäten und ungeklärter Rechtsfragen noch vor dem Thema zurückschrecken.

Des Weiteren müssen den Autoren zufolge Indikatoren definiert werden, die Politik und Wirtschaft den Fortschritts der digitalen Transformation kenntlich machen und helfen, Potenziale aufzudecken und kreislaufwirtschaftsbasierte Geschäftsmodelle zu lokalisieren. Den Autoren zufolge ist das ebenfalls hilfreich, um zu erkennen, wo digitale Kreislaufwirtschaft ökologisch sinnvoll ist. Ansonsten könnte „der Einsatz von zusätzlichen Informations- und Kommunikationstechnologien nur zu zusätzlichen Verlusten kritischer Rohstoffe wie Tantal oder Indium führen, für die bisher keine ausreichenden Recyclingtechnologien zur Verfügung stehen.“

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