Internationaler Edelstahlmarkt

Die Diesel-Skandale der Automobilbranche werden sich negativ auf die Edelstahl-Nachfrage auswirken. Davon sind Branchenexperten überzeugt. Auch die derzeit hohen Schrottpreise könnten ihren Tribut fordern. Schon das erste Halbjahr war nicht ganz ohne.

Edelstahlschrott: Zweite Jahreshälfte wird „tough“


Für die Edelstahlproduzenten war das erste Halbjahr 2017 erfolgreich – sowohl was den Output als auch was die Finanzergebnisse angeht. Für die Recyclingindustrie dagegen waren es herausfordernde sechs Monate. Grund waren die erheblichen Kursschwankungen, vor allem bei der Bewertung von Chrom und Eisen-Chrom-Legierungen. Das zweite Halbjahr könnte sogar noch mehr Schwierigkeiten mit sich bringen.

„Vor allem wegen des abnehmenden Bedarfs an Edelstahl“, erklärt Joost van Kleef, Vorsitzender der Fachsparte Edelstahl & Speziallegierungen des Weltrecyclingverbands BIR, im aktuellen Quartalsbericht. Diese Entwicklung sei bereits seit Mai zu beobachten. „Zudem werden die aktuellen Skandale in der Automobilbranche rund um Dieselmotoren früher oder später einen immensen Einfluss auf die Edelstahl-Nachfrage haben“, ist sich van Kleef sicher. Denn Abgassysteme würden „attraktive Mengen“ an Edelstahl verbrauchen.

Daneben könnten auch die aktuellen Preise für Edelstahlschrott im dritten und vierten Quartal noch zum Verhängnis werden. „Die Preise sind im Vergleich zu Primärrohstoffen überhöht; das bedeutet, dass es höchstwahrscheinlich in Kürze zu einem weniger attraktiven Preisumfeld kommt“, schreibt der Oryx-Stainless-Manager van Kleef. Nicht zuletzt exportiere China mal wieder seinen Überschuss an Edelstahl.

Italien: Einkaufspreise teilweise höher als Verkaufspreise

Vor allem der italienische Markt hatte in den ersten beiden Quartalen mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Wie Ruggero Ricco vom italienischen Unternehmen Nichel Leghe Spa im BIR-„World Mirror“ schreibt, lag der Bedarf der Edelstahlwerke an Schrott weiterhin auf einem sehr hohen Niveau. Allein die drei größten Produzenten hätten pro Monat rund 50.000 Tonnen nachgefragt. „Eine Menge, die weit über dem liegt, was der einheimische Markt zu den geltenden Preisen anbieten kann.“

Die Gemengelage aus einem Kollaps des Chrom-Richtwerts, einem niedrigen Nickelpreis und aus einem schwächeren US-Dollar hätte die Vermarktung von Schrott für alle inländischen Marktteilnehmer erschwert. „Gleichzeitig seien die meisten Händler und Dienstleistungsanbieter sehr spekulativ eingestellt gewesen“, berichtet Ricco.

Durch all diese Faktoren sei es bei den Zulieferern der Edelstahlwerke zu einem Einbruch bei den Mengen gekommen. Vor allem die Lieferpreise hätten ihr Scherflein dazu beigetragen. „Im April und Mai waren die Einkaufspreise für Schrott teilweise höher als die Verkaufspreise“, wie Ricco mitteilt.

Massiver Abfluss von Schrott nach Italien

Problematisch war laut Ricco zudem, dass der Inlandsmarkt nicht mehr in der Lage war, den Bedarf zu stillen. Daher sei massiv Schrott aus ganz Europa eingeführt worden. Die Preise, die die italienischen Betreiber gewillt waren zu bezahlen, hätten die Transportkosten kompensiert, was den Abfluss von Schrotten nach Italien noch vergrößert habe. Wegen der Verknappung von Edelstahlschrott und um ihren Bedarf decken zu können, hätten die Produzenten im Rest Europas ebenfalls ihre Einkaufspreise anheben müssen.

„Mit ziemlicher Sicherheit setzt sich diese Situation im ganzen dritten Quartal weiter fort“, sagt Ricco. Es sei denn, dass durch große Zugewinne bei Nickel Material freigesetzt wird, das bislang auf Lager gehalten wird.


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USA: Primärnickel könnte Game-Changer werden

In den USA spiegelt sich in den Ankaufsprogrammen der Edelstahlwerke für Juli und August der Bedarf an Schrott wider. „Die Auftragsbücher sind gut und nachhaltig gefüllt“, wie die beiden US-Marktexperten Rick Dobkin von Shapiro Metals und Barry Hunter von Hunter Alloys im „World Mirror“ schreiben. Importe von fertigen Materialen seien weiterhin rückläufig, was die Erwartung auf eine steigende US-Produktnachfrage am Ende der Sommerperiode bis ins vierte Quartal hinein schüre.

Im Fall einer Unterversorgung mit Schrott könnte die zeitnahe Verfügbarkeit von Primärnickel zum Game-Changer werden. prognostizieren die beiden Marktexperten. Zumindest was die Verfügbarkeit angeht, die über die bereits bestehende fest kontrahierte hinausgeht. Denn diese sei nicht oder nur kaum vorhanden.

Asien: Abwarten und Tee trinken heißt die Devise

Die asiatischen Märkte unterliegen derzeit relativ wenigen Schwankungen. „Es wird auch nicht sonderlich aggressiv Schrott gekauft – anders als in Europa“, wie Mahiar Patel von Cronimet Singapur im BIR-„World Mirror“ schreibt. Im Fernen Osten würden sich allerdings die stark gefallenen Richtpreise für Chrom bemerkbar machen. In Asien hätten diese einen größeren Einfluss als auf den europäischen Märkten.

„Die asiatischen Edelstahlwerke haben ihre Einkaufspreise signifikant nach unten korrigiert, um die gesunkenen Richtpreise zu kompensieren“, berichtet Patel. „Das erschwert es ihnen, um Schrott zu konkurrieren.“ Schrotthändler hätten ebenfalls Position bezogen und würden ihre Materialien nicht auf den Markt geben. Sie würden hoffen, in wenigen Wochen anständige Gewinnspannen erzielen zu können.

Edelstahlwerke in Fernost würden darüber hinaus mit einem Konjunkturabschwung in Indien rechnen. Der Grund hierfür sei die vor kurzem durchgeführte Reform des Gesetzes über die Steuer auf Waren und Dienstleistungen, die für große Unsicherheiten in Indien sorge. „Die Edelstahlhersteller dachten insgeheim, dass sie die Einkaufspreise für Schrott in Asien unter starken Druck setzen können“, beschreibt Patel die Situation. So weit sei es zwar nicht gekommen; aber das alles habe zu einem Rückgang beim Gesamthandelsvolumen geführt. Denn alle Beteiligten würden erst einmal abwarten und den Markt beobachten.

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