Interview mit Carsten Spohn

ITAD-Geschäftsführer Carsten Spohn über die Bedeutung der Abfallimporte für den deutschen Müllverbrennungsmarkt, die Entwicklung der Verbrennungspreise und die Risiken, die aus der hohen Auslastung der Anlagen resultieren.

„Entsorgungs-Sicherheit wird wieder ein Thema werden“


Die Auswirkungen der Abfallimporte auf den deutschen Müllverbrennungsmarkt sind umstritten. Die beiden Recyclingverbände bvse und BDSV machen die Importe für die hohe Auslastung der Müllverbrennungsanlagen (MVA) verantwortlich. Der Verband der MVA-Anlagenbetreiber ITAD hingegen glaubt nicht, dass ein Zusammenhang besteht. Er hat aktuell bei seinen Mitgliedsunternehmen die Daten für das erste Halbjahr abgefragt. Das Ergebnis ist aus Sicht von ITAD-Geschäftsführer Carsten Spohn eindeutig.

Herr Spohn, Sie kennen die Klagen über fehlende Entsorgungsmöglichkeiten in Müllverbrennungsanlagen. Wie ernst ist die Lage aktuell?

ITAD
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Wir können derzeit zweifelsohne von einer sehr guten Auslastung ausgehen. 90 Prozent der Anlagen haben nach unserer aktuellen Umfrage eine Auslastung von 95 bis 105 Prozent. Sieben Anlagen geben sogar an, dass ihre Auslastung mehr als 105 Prozent beträgt. Das sind also diejenigen, die ihre Anlagen bereits ein bisschen quälen, um die Abfallmengen zu bewältigen.

Eine solch hohe Auslastung ist aber nur temporär zu leisten, oder?

Ja, das kann man mal ein Jahr lang machen und in solchen Phasen dann auch mal eine Revision nach hinten verschieben. Aber damit ist immer auch ein Risiko verbunden, denn für die Technik sind solche Phasen eine Herausforderung. Wenn da mal Probleme auftreten, hat man schnell ein regionales Entsorgungsproblem, vor allem dann, wenn ein Anlagenstillstand in eine Phase fällt, in der andere Anlagen in der Standardrevision sind. Eine ungeplante Revision bringt dann eine Region schnell aus dem Tritt.

Ab welchem Zeitpunkt haben Sie festgestellt, dass die Auslastung signifikant steigt?

Eigentlich war es ein schleichender Vorgang. Das typische Winterloch, das es meist zum Jahreswechsel bzw. Beginn eines Jahres gibt, hat es in diesem Jahr nicht gegeben, was möglicherweise an dem vergleichsweise milden Winter lag. Seit diesem Zeitpunkt hat man schon gemerkt, dass die Abfallmengen stetig gestiegen sind. Ab März ist dann die Situation in manchen Regionen angespannter geworden.

Wie hoch war die Kapazitätsauslastung in den beiden Jahren zuvor?

Wir hatten im Jahr 2013 eine Kapazitätsauslastung von über 90 Prozent, die 2014 nochmal leicht gestiegen ist. Im ersten Halbjahr 2015 war dann ein stärkerer Anstieg zu verzeichnen.

Aus Ihrer Sicht sind die Abfallimporte für diesen Anstieg nicht verantwortlich. An welchen Zahlen machen Sie das fest?

Schauen Sie sich die Zahlen für 2014 an: Da hatten wir fast 1,3 Millionen Tonnen Abfallimporte. Die Kapazitätsauslastung ist im gleichen Jahr lediglich um etwa 2 Prozentpunkte gestiegen. Für das erste Halbjahr 2015 verzeichnen wir ca. 660.000 Tonnen, also fast genauso viel wie im ersten Halbjahr 2014. Zugleich ist die Auslastung aber signifikant gestiegen. An den Abfallimporten kann das folglich nicht liegen. Deshalb können wir die Aussage einiger Recyclingverbände auch nicht nachvollziehen.

Welche Größenordnung erwarten Sie für die Abfallimporte im Gesamtjahr 2015?

Wir werden uns voraussichtlich auf einem Niveau von 1,2 Millionen Tonnen bewegen, also ein paar Prozentpunkte weniger als in 2014.

Das heißt, Sie rechnen damit, dass die Abfallimporte im zweiten Halbjahr zurückgehen werden?

So sehen wir es, ja. Einige Anlagenbetreiber haben bereits auf die starke Auslastung der Anlagen reagiert und die Notifizierungen im Rahmen der vertraglichen Möglichkeiten zurückgefahren. Wir erwarten deshalb für das zweite Halbjahr einen Rückgang der Mengen.

Der bvse spricht von einer Verbrennungsblase am deutschen MVA-Markt, die schnell in sich zusammenfallen wird, wenn die geplanten Entsorgungsanlagen in Großbritannien fertiggestellt sind. Wie sehen Sie die Entwicklung?

Es ist richtig, dass man bei den Importmengen aus Großbritannien berücksichtigen muss, dass einige Behandlungsanlagen in der Planung sind. Andererseits darf man nicht vergessen, dass noch 14 Millionen Tonnen Abfälle zur energetischen Verwertung zur Verfügung stehen könnten, sofern sie denn nicht deponiert würden. Gemessen an der Anzahl der Anlagenprojekte und der dort erhobenen Deponiesteuer glaube ich, dass die Importmenge aus Großbritannien in den kommenden Jahren allenfalls leicht zurückgehen wird – wenn überhaupt. Von einer Verbrennungsblase kann keine Rede sein, schon deshalb nicht, weil es entsprechend unserer aktuellen Zahlen keinen Zusammenhang zwischen höherer Auslastung und Abfallimporten gibt.

Wie viele Mengen kamen im ersten Halbjahr aus Großbritannien?

Nach unseren Zahlen entfielen in den ersten 7 Monaten von den importierten ca. 700.000 Tonnen rund 250.000 Tonnen auf Großbritannien. Etwas mehr als 5.000 Tonnen kamen aus Italien, knapp 300.000 Tonnen aus den Benelux-Ländern, hier insbesondere aus den Niederlanden, und etwa 150.000 Tonnen aus Frankreich und dem angrenzenden Osten.

Wenn es nicht an den Abfallimporten liegt, dass die Auslastung der Müllverbrennungsanlagen im ersten Halbjahr gestiegen ist, woran liegt es dann?

Wir stellen fest, dass durch die Bank hinweg Gewerbeabfälle und Siedlungsabfälle angestiegen sind. Einen „Verantwortlichen“ kann man hier nicht ausmachen. Hier spielen viele Gründe eine Rolle, die man nicht mit Zahlen greifen kann.

Ist einer der Gründe die gute Konjunktur?

Ja, vermutlich. Die gute Konjunktur dürfte für die gestiegenen Gewerbe- und Industrieabfälle verantwortlich sein. Hinzu kommt, dass die privaten Haushalte aufgrund des höheren privaten Konsums mehr Abfall produzieren. Inwieweit ausländische Entsorgungsmärkte für die Entwicklung verantwortlich sein können, ist schwer zu sagen, da uns in der Regel keine verlässlichen Zahlen vorliegen, wie viele Abfälle möglicherweise nicht mehr im Ausland abgesetzt werden können und deshalb den Weg über Sortieranlagen als Sekundärabfall zu unseren Mitgliedern finden.

Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob der Anteil stofflich verwertbarer Abfälle aufgrund gestiegener Verbrennungspreise nun zurückgegangen ist?

Das ist pauschal schwer zu sagen. Aber eigentlich müsste es derzeit eine große Zufriedenheit der stofflichen Verwerter geben. Denn die Rahmenbedingungen, die viele Recycler vor acht oder neun Monaten gefordert hatten, sind heute erfüllt. Einige Mitglieder berichten aber, dass vereinzelt hochkalorische Fraktionen, die früher in die Mitverbrennung gegangen sind, am Spotmarkt verfügbar sind. Das lässt auf eine angespannte Marktlage bei der Mitverbrennung schließen, aber die Gründe dafür erschließen sich uns nicht. Wir hören von einigen Mitgliedsunternehmen, dass sie schon überlegen, eine Vorsortieranlage vor die Müllverbrennung zu schalten, um die Abfallmengen zu reduzieren, die in die Verbrennung gehen.

Es gibt auch Klagen, manche Müllverbrennungsanlagen würden vertraglich zugesicherte Kontingente nicht einhalten.

Ja, die sind uns auch bekannt. Wir haben deshalb unsere Mitglieder gefragt, ob sie bestehende Verträge im Einzelfall nicht einhalten können. Die Antwort lautet nein. Bis auf wenige Fälle sind sie demnach immer in der Lage gewesen, die zugesicherten Kontingente zu erfüllen. Wenn es in Einzelfällen trotzdem zu solchen Situationen kommt, dann lag es fast immer an einem technischen Problem. Solche technischen Probleme könnten allerdings zunehmen, wenn die Anlagen jetzt zum großen Teil über 100 Prozent laufen. Man muss außerdem auch die Qualität bei den Kontingentverträgen unterscheiden. Einige Anlieferer haben auch nur Rahmenverträge mit festgelegten Preisen, müssen aber keine gewissen Mengen liefern. Hier heißt es dann schnell: „die MVA erfüllt die Verträge nicht!!“ Was die Umfrage allerdings auch ergeben hat, ist, dass die kommunale Mengen absoluten Vorrang haben, weil diese Mengen vertraglich abgesichert sind oder in vielen Fällen die Kommunen Anteilseigner der Verbrennungsanlage sind. Der Bürger braucht somit sicherlich keine Angst haben, dass in Deutschland der Entsorgungsnotstand ausbricht, aber insbesondere gewerbliche Anlieferer, die auf den Spotmarkt setzen, müssen sich gegebenenfalls auf zum Teil längere Wartezeiten einstellen.

Ihre Mitgliedsunternehmen rechnen mit einer anhaltend hohen Auslastung. Rechnen sie auch mit weiter steigenden Preisen?

Hinsichtlich der Kapazitätsauslastung sind die Erwartungen unserer Mitglieder eindeutig: 96 Prozent erwarten für das Jahr 2016 eine vergleichbare Situation, wie sie derzeit vorherrscht. Und 76 Prozent auch für das Jahr 2017. Insofern rechnen wir stark damit, dass das Thema Entsorgungssicherheit wieder ein Thema werden wird in Deutschland. Entsorgungssicherheit wird man sich künftig über längerfristige Verträge sichern müssen. Dann kommt man auch nicht in die schwierige Situation, dass man keine Absteuerungsmöglichkeit für seine Abfälle findet. Was die Preise betrifft, so kann man nur feststellen, dass diese immer entsprechend der allseits bekannten Marktmechanismen reagiert haben und dies auch jetzt tun. Die ITAD fragt allerdings keine Marktpreise ab, sodass wir hier konkret keine Aussagen treffen können. Verfolgt man aber die aktuellen Pressemeldungen, so zeichnet sich ab, dass es zumindest mittelfristig einen Marktpreis gibt bzw. geben wird, der deutlich über dem liegt, was in den vergangenen Jahren erzielt wurde. Für extreme Preissteigerungen dürfte jedoch die Luft nach oben fehlen. Außerdem gehe ich fest davon aus, dass die gesamte Branche verantwortungsbewusst mit der Situation umgehen wird.

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