Interview mit AWN-Geschäftsführer Mathias Ginter

Ist eine Abfallwirtschaft ohne Restmülltonne möglich? Ja, durchaus, sagt Mathias Ginter. Der Geschäftsführer der Abfallwirtschaft im Neckar-Odenwald-Kreis testet das System bereits seit geraumer Zeit. Im Interview erklärt er, welche Vorteile es hat und wie sich das Modell auf die erfassten Abfallmengen ausgewirkt hat.

„Fast niemand will zum alten System zurück“


Im Jahr 2006 haben die Verantwortlichen der Abfallwirtschaftsgesellschaft des Neckar-Odenwald-Kreises (AWN) erstmals geprüft, ob die Abfallwirtschaft vor Ort auch ohne Restmülltonne funktionieren könnte. Vier Jahre später startete ein erster Praxisversuch in der Gesamtgemeinde Rosenberg. 2013 folgte die Kerngemeinde Hardheim. Das Konzept der AWN sieht eine Bioenergietonne (BET) für organische Abfälle und eine trockene Wertstofftonne (TWT) für trockene, sortierfähige Abfälle vor – eine Restmülltonne gibt es nicht mehr. Das Projekt stößt bundesweit auf Interesse. Auch Bundesumweltministerium Barbara Hendricks hat sich im vergangenen Jahr vor Ort über das Modell der „restmüllarmen Abfallwirtschaft“, wie sie es formuliert, informiert.

Herr Ginter, Sie haben inzwischen in zwei Gemeinden das Pilotprojekt ‚Restmüllfreie Abfallwirtschaft’ gestartet. Fällt dort tatsächlich kein Restmüll mehr an?

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Ja, das ist in der Tat so. Das System funktioniert wirklich hervorragend. Wir haben natürlich Fehlwürfe, aber das ist bei anderen System auch so. Insgesamt erleben wir eine hohe Akzeptanz in der Bürgerschaft. Fast niemand will zum alten System zurück.

Aber es gibt doch sicherlich Abfälle, die weder in die nasse Bioenergietonne noch in die trockene Wertstofftonne hineingehören?

Nicht unbedingt. Unser ursprüngliches Konzept hat alle im Haushalt anfallenden Abfälle abgebildet. Im ersten Schritt hatten wir unsere Verfahrensweisen darauf ausgerichtet, dass nicht sortierbare Abfälle wie beispielsweise Asche, Staubsaugerbeutel, Putzlappen, Windeln und Kleintierstreu für die „nasse“ Bioenergietonne bestimmt sind. Als wir mit dem Projekt begonnen haben, war ja ausschließlich eine energetische Nutzung der nassen Abfälle vorgesehen. Das neue Kreislaufwirtschaftsgesetz gab es noch nicht.

Das heißt, was früher in der Restmülltonne gelandet ist, wurde nach der Umstellung über die nasse Bioenergietonne erfasst und energetisch verwertet?

Das gilt für die nasse beziehungsweise organische Fraktion, dass heißt überwiegend Küchen- und Speiseabfälle. Fehlwürfe spielten aufgrund der energetischen Verwertung, Vergärung mit nachgelagerter Verbrennung, nur eine untergeordnete Rolle.

Aber der Restmüll an sich ist nach wie vor vorhanden – nur dass er nun über die Bioenergietonne erfasst wird.

Der Restmüll besteht, das zeigen alle Sortieranalysen, vor allem aus verwertbaren Stoffen. Und dieses Potential wollen wir möglichst vollständig erschließen.

Ist es gerechtfertigt, von einer restmüllfreien Abfallwirtschaft zu sprechen, wenn der bisherige Restmüll weiterhin anfällt?

Wir können auch sehr gut damit leben, von einer „restmüllarmen“ Abfallwirtschaft zu sprechen. Diese Begrifflichkeit wurde im Übrigen auch von Frau Umweltministerin Dr. Hendricks bei ihrem Besuch in unserem Haus aufgegriffen.

Was hat sich nun mit dem neuen Kreislaufwirtschaftsgesetz für Sie geändert?

Mit den neuen Vorgaben des Kreislaufwirtschaftsgesetzes müssen wir den Inhalt der Bioenergietonne nun auch stofflich verwerten.

Die genannten Abfälle müssen also wieder separat gesammelt werden?

Ja, wir planen ab kommendem Jahr eine Sacksammlung von Störstoffen. Wir gehen davon aus, dass dies pro Einwohner und Jahr nicht mehr als 20 Kilogramm sein werden. Mit dem Sack können wir dann neben Windeln und Staubsaugerbeuteln auch Spritzen, Alt-Medikamente und ähnliches erfassen.

Was passiert mit diesen Abfällen danach?

Diese Stoffströme zählen ganz typisch zum Restmüll und gehen somit in Müllheizkraftwerke, also in die Verbrennung.

Welche Vorteile hat dann das neue System der Sacksammlung noch gegenüber der Restmülltonne?

Die Sacksammlung ist deutlich unbequemer und steht auch nicht mehr im Mittelpunkt des abfallwirtschaftlichen Systems – im Mittelpunkt nun steht die Abfallvermeidung.

Bei der Bioenergietonne hat Ihnen das Kreislaufwirtschaftsgesetz einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ist das Gleiche auch für Ihre trockene Wertstofftonne zu erwarten, weil sie möglicherweise nicht mit der geplanten einheitlichen Wertstofftonne konform ist?

Davon gehen wir nicht aus. Derzeit geht unsere Tonne in die klassische Wertstoffsortierung, wie sie auch von den Dualen Systemen genutzt wird.

Wie hat sich das Zwei-Tonnen-Konzept insgesamt auf die erfassten Abfallmengen ausgewirkt?

Alles in allem ist die Sammelmenge nach oben gegangen, sowohl was die organischen Abfälle als auch die trockenen Wertstoffe angeht. Dies ist immer so, da mit der Umstellung zusätzliches Behältervolumen geschaffen wurde und das wird von den Bürgerinnen und Bürgern auch genutzt. Wir sammeln etwa 90 bis 100 Kilogramm nasse Abfälle pro Einwohner und Jahr. Das ist schon beachtlich, wenn man bedenkt, dass das fast nur Küchen- und Speiseabfälle sind. BET und TWT zusammen genommen, sammeln wir in Summe rund 10 bis 15 Prozent mehr Abfall oder Wertstoffe als vorher. Grüngut wird ja in den Gemeinden separat erfasst, etwa 180 Kilogramm pro Einwohner und Jahr. Trockene Wertstoffe erfassen wir rund 70 bis 80 Kilogramm pro Einwohner und Jahr. Vor allem die Menge kunststoffhaltiger Abfälle ist gestiegen. Hier kommen 18 Kilogramm pro Einwohner und Jahr zusammen, dreimal so viel Material für die stoffliche Verwertung wie vorher. Zusätzlich erfassen wir natürlich mehr metallhaltige Abfälle.

Wie geht es mit dem Projekt weiter?

Wir führen das Projekt in den jetzigen Gemeinden fort und ergänzen es um die Störstoffsammlung ab Frühjahr 2016. Wenn die ein Dreivierteljahr gelaufen ist, und gut angenommen wird, dann bilanzieren wir noch einmal.

Können Sie sich vorstellen, das neue Modell dauerhaft auf den gesamten Neckar-Odenwald-Kreis zu übertragen?

Da ist erst einmal die Kommunalpolitik gefragt. Es gibt schon einige Signale, aber noch nichts Konkretes. Sie dürfen nicht vergessen, dass wir die ersten sind, die ein solches System in der Größenordnung probieren. Aber natürlich wollen wir das System mit Akzeptanz der Bürger dauerhaft und überall einführen. Unsere Bewertungsmaßstäbe sind: Ökologie, Ökonomie und Akzeptanz in der Bevölkerung.

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