Gerichtsurteil

Bei Glatteisbildung müssen Kommunen auf wenig befahrenen Straßen keinen Winterdienst durchführen. Das ist der Tenor eines Gerichtsurteils, mit dem ein erstinstanzliches Urteil abgeändert wurde. Das Gericht hat einige Grundsätze für die kommunale Räum- und Streupflicht aufgestellt.

Glatteis verpflichtet Kommune nicht zum Winterdienst


Allein die Meldung von Glatteisbildung verpflichtet eine Kommune nicht zum Winterdienst auf Straßen mit geringer Verkehrsbedeutung. Das hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18.11.2016 entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Hagen abgeändert (AZ: 11 U 17/16).

Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Ehefrau des Klägers aus Lüdenscheid fuhr im Januar 2013 mit dem PKW des Klägers kurz nach 16:00 Uhr auf der Straße „Horringhausen“ in Lüdenscheid. Diese wenig befahrene und außerhalb geschlossener Ortschaften liegende Straße schließt einige Häuser mit ca. 40 Bewohnern an das allgemeine Straßennetz an. Aufgrund bestehender Glatteisbildung verlor die Ehefrau des Klägers auf der bergab und kurvig verlaufenden Straße die Kontrolle über das Fahrzeug, welches von der Fahrbahn abkam, sich überschlug und auf der Seite liegen blieb.

Etwa ein bis zwei Stunden vor dem Unfall hatte eine Bürgerin beim zuständigen Straßenreinigungsamt der beklagten Stadt Lüdenscheid angerufen, die Glättebildung auf der Straße gemeldet und um Abhilfe gebeten. Die Beklagte hatte am Unfalltag auf der besagten Straße, auch nach der genannten Meldung, keinen Winterdienst durchgeführt. Der Kläger vertrat die Auffassung, die Beklagte habe dadurch ihre Räum- und Streupflicht verletzt. Von der Beklagten hatte er deswegen ca. 11.300 Euro Reparaturkosten für das beschädigte Fahrzeug verlangt.

Entscheidend sind die konkreten Umstände

In der 1. Instanz wurde die Beklagte zum Schadensersatz verurteilt, in der Berufung hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm die Klage jedoch abgewiesen. Dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch zu, so der Senat. Die Beklagte habe ihre Amtspflichten nicht verletzt, indem sie am Schadenstage bis zum Zeitpunkt des Unfalls keinen Winterdienst auf der Straße „Horringhausen“ durchgeführt habe.

Inhalt und Umfang der einer Kommune obliegenden winterlichen Räum- und Streupflicht richte sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, betonten die Richter. Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges seien zu berücksichtigen, ebenso seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Ergebe sich hieraus eine Räum- und Streupflicht, stehe sie bei Kommunen sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, so dass es auch auf ihre Leistungsfähigkeit ankomme.

Zudem habe sich jeder Verkehrsteilnehmer gerade im Winter den gegebenen Straßenverhältnissen anzupassen. Ausgehend hiervon sei schon im Bereich geschlossener Ortschaften anerkannt, dass eine Räum- und Streupflicht eine allgemeine Glättebildung voraussetze und nicht nur das Vorhandensein vereinzelter Glättestellen. In einer derartigen Situation seien zunächst die Fahrbahnen der Straßen an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen zu bestreuen. Erst danach seien weniger bedeutende Straßen- und Wegestrecken zu sichern.

Außerhalb geschlossener Ortslagen seien lediglich die für den Kraftfahrzeugverkehr besonders gefährlichen Stellen zu bestreuen, erklärte das Gericht. Auf wenig befahrenen Straßen bestehe deswegen grundsätzlich keine Räum- und Streupflicht, sofern nicht besonders gefährliche Stellen bekannt seien, auf die sich ein Straßenbenutzer nicht einstellen könne.

Kleine Pflichtverletzung der Stadt

Bei Anwendung dieser Grundsätze ergebe sich im zu entscheidenden Fall keine Räum- und Streupflicht und damit keine Pflichtverletzung der beklagten Stadt. Die Straße „Horringhausen“ befinde sich außerhalb geschlossener Ortschaften. Als wenig befahrene Straße, die nur wenige Häuser mit dem Straßennetz verbinde, fehle ihr die Verkehrswichtigkeit. Am Unfalltage habe es zudem lediglich an einzelnen Stellen Glatteisbildung gegeben. Aufgrund der untergeordneten Verkehrsbedeutung habe die Beklagte daher von einem Winterdienst auf der Straße – auch nach der gemeldeten Glatteisbildung – absehen dürfen.

Die Beklagte habe davon ausgehen dürfen, dass sich die Anwohner den winterlichen Verhältnissen anpassen und notfalls Schneeketten anlegen oder vom Befahren der Straße Abstand nehmen und zu Fuß gehen würden. Sehe man das anders, wäre die Beklagte in dem durch zahlreiche Höhenunterschiede geprägten Gemeindegebiet gehalten, eine Vielzahl von Straßen mit geringer Verkehrsbedeutung abzustreuen. Dieser Aufwand sei ihr nicht zumutbar.

Die Beklagte sei schließlich auch nicht gehalten gewesen, einen Winterdienst in der Weise vorzuhalten, dass dieser von Gemeindeangehörigen durch eine bloße Meldung von Glatteisbildung abgerufen werden könne, ohne dass es auf die genannten Kriterien zur Verkehrsbedeutung der gemeldeten Straße ankomme. Aufgrund der am Unfalltag erfolgten Meldung habe die Beklagte zudem keine zwingenden Anhaltspunkte dafür gehabt, dass es einem aufmerksamen und vorsichtigen Benutzer der Straße „Horringhausen“ nicht mehr möglich sein würde, die Straße ohne Schaden zu nutzen und den Gefahrenstellen auszuweichen.

Dass die getroffene Entscheidung der Beklagten vertretbar gewesen sei, werde auch dadurch gestützt, dass es einer anderen Anwohnerin vor und nach dem Unfall gelungen sei, die nicht abgestreute Straße unfallfrei zu befahren.

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