Bürgerproteste in Karlsruhe

Die Karlsruher Verwaltung erntet heftigen Gegenwind zur geplanten Einführung der Papiertonne. Nun rudert sie zurück. Auch bezüglich der gewerblichen Sammlungen.

Streit um Blaue Tonne


In Karlsruhe herrscht derzeit heftiger Unmut in weiten Kreisen der Bevölkerung, seit bekannt wurde, dass die Verwaltung Ende 2014 in ganz Karlsruhe die Papier-Mono-Tonne einführen will. „Damit haben wir nicht gerechnet“ bestätigte auch Bürgermeister Klaus Stapf, zuständig für die Abfallwirtschaft im Stadtgebiet von Karlsruhe. Der Dezernent erfährt in den letzten Tagen sein sprichwörtliches „blaues Wunder“ mit unzähligen Leserbriefen, die bei den regionalen Zeitungen eingehen, und entrüsteten Anrufen von Bürgerinnen und Bürgern bei der Stadtverwaltung.

Anlass für die Aufregung ist ein Beschluss des Gemeindesrats im Dezember 2013. Mit einer knappen Mehrheit (24 Ja-Stimmen, 21 Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen) stimmten die Kommunalpolitiker für die Einführung einer Papier-Monotonne. Zur Begründung verwies der Juristische Dienst der Stadt Karlsruhe auf Paragraf 14 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes, der das getrennte Sammeln von Papier „alternativlos“ fordere.

Dabei können die Karlsruher Haushalte ihr Altpapier schon vielen Jahren bequem abholen lassen. Bereits Ende der 80er Jahre hat die Stadt als eine der ersten Kommunen die Wertstofftonne eingeführt. Darin können die Bürger alle Arten von Papier, Pappe, Kartonagen, Kunststoffe, Metall, Holz und Verpackungen einwerfen. Die Abholung erfolgt im Vollservice alle zwei Wochen. Dieses System ist seither unveränderte Praxis, doch der Altpapieranteil in der Wertstofftonne hat seither kontinuierlich abgenommen.

Grund ist die Erlaubnis an die Vereine, eigene Sammlungen durchzuführen. Dadurch werden bei einem jährlichen Aufkommen von rund 30.000 Tonnen PPK etwa 10.000 Tonnen abgeschöpft. Weitere 11.000 Tonnen werden in der Sortieranlage ausgesondert, der Rest verteilt sich auf Selbstanlieferer bei den Wertstoffstationen, Anteile der Systembetreiber und gewerbliche Sammlungen. Letztere führt seit sechs Jahren in der Hauptsache die Karlsruher Niederlassung Kühl auch in Kooperation mit einigen Vereinen durch.

Dass die Stadt die Sammlung nun selbst durchführen will, hat auch Kostengründe. Die Verwaltung hat ausgerechnet, dass sie bei der Sortierung der Wertstofftonne jährlich2,7 Millionen Euro sparen würde. Allerdings würde der Leerungsrhythmus der Wertstofftonne von bisher vierzehntäglich auf vierwöchentlich erweitert und im Wechsel mit der Papiertonne von statten gehen. Vor allem diese Tatsache rief den Protest bei vielen Bürgern hervor. Während die Verwaltung vorrechnet, dass sich der bisherige Wertstoff nach Einführung der Papiertonne von 21.500 Tonnen auf 6.500 Tonnen reduziere, setzen die Bürger dagegen, dass Gewicht und Volumen des Inhalts stark differieren. Schon heute sei bei den Haushalten, die bisher ihr Papier an die Vereine geben, die Wertstofftonne alle zwei Wochen voll. Zusätzliche Tonnenstellplätze bei mehr oder größeren Wertstofftonnen seien oft nicht möglich oder auch aus ästhetischen, stadtbildprägenden Gründen nicht erwünscht.

Inzwischen fand auch ein Bürgerversammlung statt. Bürgermeister Stapf, der Leiter des Amtes für Abfallwirtschaft Stefan Kaufmann und Petra Becker vom Zentralen Juristischen Dienst mussten sich den Vorwurf gefallen lassen, ohne konkrete Zahlen und ohne die vorherige Einbindung der Bevölkerung vorgeprescht zu sein. Wer bisher schon sorgfältig sortiert hat, werde bestraft, lautet einer der Vorwürfe. Vorgehalten wurde außerdem, dass die Verwaltung nur in ökonomischem Interesse bei hohen Papier-Abnahmepreisen handele. Platzmangel an den Abstellplätzen, Einbußen bei den Vereinen und mangelnde Transparenz auf dem Rücken der Bürger lauteten die weiteren Vorwürfe.

Die Proteste zeigen Wirkung: Das Dezernat und das Amt für Abfallwirtschaft sind inzwischen zurückgerudert. „Vereinssammlungen werden nach wie vor durchgeführt, daneben sind gewerbliche Sammlungen möglich“, geht aus einer jüngeren Vorlage hervor. Außerdem untersuche man, ob eine zweiwöchige Leerung der verbleibenden Wertstofftonne möglich sei. Dies würde zwangsläufig zu einer erheblichen Minderung bis zum Verlust des errechneten Gewinns führen, der eigentlich der Gebührenstabilität dienen sollte. Hierzu würden in den kommenden Wochen alle Empfänger von Gebührenbescheiden befragt.

Die benachbarten Landkreise beobachten die Entwicklung in Karlsruhe unterdessen sehr genau. Sie sehen allerdings noch keine Veranlassung, das bestehende Konzept der Wertstofftonne aufzubrechen. „Wir sehen noch keine Alternative zur Wertstofftonne, außerdem liegt für eine solche weitreichende Entscheidung noch keine ausreichende Grundlage vor, da bis heute nicht klar ist, wie die geplante bundeseinheitliche Wertstoffsammlung ausgestaltet sein wird“, führt der Landrat des Landkreises Karlsruhe, Christoph Schnaudigel, aus. Deshalb wird es im Landkreis vorerst keine separate Altpapiertonne geben.

Keinen Grund zur Änderung des bestehenden Systems aus Restmüll-, Bio- und Wertstofftonne sieht auch die Geschäftsführerin der AVR Rhein-Neckar, Katja Deschner. „Wir erfüllen alle Anforderungen an das Kreislaufwirtschaftsgesetz und berufen uns außerdem auf die kommunale Selbstverwaltung und das im Koalitionsvertrag vereinbarte künftige Wertstoffgesetz. Diesbezüglich stehen wir in engem Kontakt und Austausch mit dem Bundesministerium“, betont Deschner.

Stadt- und Landkreis Karlsruhe und der Rhein-Neckar-Kreis sind allerdings nicht die einzigen Kommunen in Baden-Württemberg, die noch keine gesonderte Altpapiersammlung haben. Auch der Enzkreis in der Region Pforzheim und der Landkreis Ludwigsburg sammeln Altpapier noch nicht separat.

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