Interview

Das Thema Fernwärme spielt für MVA-Betreiber eine immer größere Rolle. Etliche Projekte seien in der Pipeline, weitere in der Planung, sagt ITAD-Vertreter Martin Treder im Interview mit 320°. Aber es gibt auch andere Ansätze, die Wärme innovativ zu nutzen – beispielsweise um Gewächshäuser zu versorgen.

„Wenn das kommt, sind MVA-Betreiber im Vorteil“


Die Einspeisung von Fernwärme wird für die Betreiber der rund 100 Abfallverbrennungsanlagen in Deutschland immer wichtiger – nicht nur um die Erlöse zu steigern, sondern auch im Sinne einer nachhaltigen Arbeitsweise. Auch viele Kommunen haben das Potenzial erkannt und bauen ihr Fernwärmenetz aus. Wie die MVA-Betreiber mit dem Thema Wärmenutzung umgehen, erklärt Martin Treder im Interview mit 320°. Treder ist stellvertretender Geschäftsführer der Interessengemeinschaft der Thermischen Abfallbehandlungsanlagen Deutschland (ITAD) und zuständig für den Bereich Energie, Klima und Nachhaltigkeit.

Herr Treder, der Mannheimer Energiekonzern MVV hat vor Kurzem angekündigt, das MHKW in Mannheim an das Fernwärmenetz anzuschließen. Wie ist die Maßnahme in Mannheim zu bewerten: Als Trend, der sich zunehmend durchsetzen wird?

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Zum Ausbau in Mannheim muss man erst einmal Folgendes festhalten: Dort gibt es bereits ein Prozessdampf-Netz, mit dem die MVV ihre Industriekunden versorgt. Was nun hinzukommt, ist ein Fernwärmenetz, um die Gebäude in Mannheim zu versorgen. Generell gilt, dass überall dort, wo eine Wärmesenke vorhanden ist, die Anlagenbetreiber und Fernwärmenetzbesitzer auch prüfen, ob sie zusätzliches Potenzial erschließen können. Um Ihre Frage zu beantworten: Der Ausbau der Fernwärme ist kein Einzelfall, sondern seit Jahren übliche Praxis.

Wie viele Abfallverbrennungsanlagen in Deutschland speisen bereits Fernwärme ein?

Wir haben ungefähr 100 thermische Abfallbehandlungsanlagen in Deutschland. Davon koppeln 93 Prozent Fernwärme und Prozessdampf aus. Sieben Prozent der Anlagen erzeugen derzeit nur Strom. Aber dieser Anteil wird weiter sinken, beispielsweise durch den Anschluss der EEW-Anlage in Hannover an das Fernwärmenetz.

Das heißt, dass alle Anlagen, die Prozessdampf auskoppeln, den Dampf auch als Fernwärme einspeisen?

Nun ja, das kommt darauf an. Bei denjenigen Anlagen, die Prozessdampf liefern, ist es nicht immer ganz eindeutig, in welchem Ausmaß der Prozessdampf auch als Fernwärme eingesetzt wird. Etwa zehn Anlagen in Deutschland koppeln Prozessdampf an benachbarte Kohlekraftwerke aus, der als Fernwärme bzw. Strom genutzt wird. Und etwa 13 Anlagen liefern Dampf an einen Industriepark, wo der Dampf von den Unternehmen teilweise auch wieder verstromt wird. Unterm Strich haben wir also rund 70 Prozent eigenständige Kraft-Wärme-Kopplung (KWK)-Anlagen, die an ihrem Standort Strom und Fernwärme liefern.

Abgesehen vom MHKW Mannheim, welche Anlagen beabsichtigen noch den Anschluss an ein Fernwärmenetz?

Was bislang publik geworden ist, sind Großprojekte. Da wären zum Beispiel der Ausbau des MHKW in Wuppertal mit 360 Gigawattstunden zusätzlich und die Stadtwerke Herten, die derzeit den Anschluss an die Fernwärmeschiene Ruhr planen mit 600 Gigawattstunden. Dann gibt es noch das Projekt der EEW in Hannover, die 300 Gigawattstunden Fernwärme ins Netz einspeisen wollen. Darüber hinaus sind weitere Projekte, etwa in Krefeld, Ingolstadt, Hamburg und Leuna, in der Pipeline. Weitere Projekte werden folgen, denke ich. Gerade läuft in Nordrhein-Westfalen ein großes Forschungsprojekt, in dem Wärmequellen und Wärmesenken identifiziert werden, mit dem Ziel ein Wärmekataster zu erstellen. Ähnliche Vorhaben gibt es in anderen Bundesländern.

Was ist der Haupttreiber bei diesen Vorhaben: die zusätzlichen Erlöse oder eher der Imagegewinn?

Dafür muss man zunächst die Beteiligten unterscheiden. Da sind zum einen die Betreiber thermischer Abfallbehandlungsanlagen und zum anderen die Netzbetreiber und Kommunen. Für den Anlagenbetreiber gibt es mit der 17. BImSchV zum einen die rechtliche Vorgabe. Außerdem hat der Betreiber ein großes Eigeninteresse, weil er einfach weniger Kosten hat, erzeugte überschüssige Wärme an die Umgebung abzugeben. Zudem hat er die Möglichkeit, über den Wärmeverkauf auch höhere Einnahmen zu erzielen. Ein Treiber in den letzten Jahren war sicherlich auch die Steigerung der R1-Kennzahl. Außerdem spielt das Thema nachhaltige Betriebsführung eine immer größere Rolle, entweder aus eigener Überzeugung bzw. aus Imagegründen.

Und bei den Netzbetreibern?

Bei den Netzbetreibern – das sind meistens Stadtwerke – haben wir die politischen und rechtlichen Vorgaben, zum Beispiel den Klimaschutzplan 2050. Dann spielt der Primärenergiefaktor eine Rolle, der für Abwärme aus Müllverbrennungsanlagen besonders vorteilhaft ist. Zudem wird der geringere CO2-Emissionsfaktor zunehmend wichtig, insbesondere bei Industrieprozessen. Und dann haben wir noch die Kommunen, die im Spannungsfeld Standortpolitik, Klimaschutz und Luftemissionen operieren. Letzteres wird immer mehr zum Thema: Denn je mehr Kilowattstunden wir aus den Abfallverbrennungsanlagen einspeisen kann, desto mehr sinken an anderer Stelle die Luftemissionen.

Lohnt sich die Anbindung an das Fernwärmenetz auch betriebswirtschaftlich?

Das hängt von den Voraussetzungen vor Ort ab. Möglicherweise wird es sich nicht überall lohnen. Volkswirtschaftlich betrachtet lohnt es sich aber in jedem Fall, weil wir sehr geringe CO2-Vermeidungskosten haben. Das heißt, um eine Tonne CO2 zu vermeiden, ist der Fernwärmeanschluss im Vergleich zu anderen Methoden sehr einfach und häufig kostengünstig.

Die Entscheidung zugunsten Fernwärme wird durch diverse Förderprogramme erleichtert. Reichen die aus?

Was die Förderung angeht, sind wir im Großen und Ganzen zufrieden. Zum einen ist die Förderung des Fernwärmeausbaus durch das KWK-Gesetz geregelt. Dort ist für uns insbesondere der Punkt Leitungsausbau interessant. Zum Beispiel wird jeder Meter neu verlegte Wärmeleitung mit einem Durchmesser von 100 Millimetern mit 100 Euro gefördert. Des Weiteren ist festgelegt, dass maximal 40 Prozent der Gesamtinvestitionssumme gefördert wird und der Zuschuss insgesamt auf 20 Millionen Euro gedeckelt ist. Dann gibt es noch Bund-Länder-Programme, die in dem Bereich greifen. Zudem konnten wir gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Fernwärme erreichen, dass unsere Mitglieder auch in den Genuss des Förderprogramms 494 der Kreditbank für Wiederaufbau kommen. Dort gibt es je nach Konstellation Investitionszuschüsse von 30 bis 50 Prozent. Eine Entwicklung, die wir weniger gut finden, ist die im vergangenen Jahr in Kraft getretene KWK-Ausbauförderungsverordnung und das Förderprogramm ‚Wärmenetze 4.0‘. Darin wird behauptet, dass Abwärmenutzung nicht innovativ ist. Das können wir nicht nachvollziehen.

In der Schweiz wird Abwärme aus Kehrrichtverbrennungsanlagen dafür genutzt, Gewächshäuser zu versorgen. Ist das innovativ?

Es ist zumindest ein gangbarer Weg. Die Menge an Kondensationswärme, die bislang verloren geht, entspricht mehr als die ausgekoppelte Fernwärme, natürlich auf einem niedrigeren Temperaturniveau. Um diese Energie zu nutzen, bräuchte man Niedertemperaturwärmenetze. Die sind allerdings in Deutschland nicht weit verbreitet, in Skandinavien, insbesondere in Dänemark hingegen schon. Die Kondensationswärme stattdessen für Gewächshäuser zu nutzen, ist in jedem Fall eine Alternative.

Auch für Deutschland?

In Deutschland gab es hierzu schon mehrere Projekte. Die stillgelegte Pyrolyseanlage in Burgau hat einmal ein Gewächshaus mit Wärme beliefert. Dann hatten wir Projektierungen im Abfallheizkraftwerk Geiselbullach in Olching in der Nähe von München und bei der MVA Hamm. Aktuell gibt es ein im Bau befindliches Projekt in Ostdeutschland, was aber nicht öffentlich ist. Deswegen kann ich dazu nichts Näheres sagen. Wichtig sind generell der politische Wille und die geographische Voraussetzung. Das heißt, dass man in der Umgebung der Anlage größere Felder benötigt. Damit sich das wirtschaftlich lohnt, sind mindestens sieben bis zehn Hektar Fläche notwendig.

Und wie oft kommt das in Deutschland vor?

Ganz sicher mehr als nur ein Mal. Ich schätze, dass die Abwärme aus thermischen Abfallbehandlungsanlagen für rund 1.000 Hektar Gewächshausfläche genutzt werden könnte. Für die Gewächshausbetreiber ist das wirtschaftlich interessant. Und aus technischer Sicht ist es ebenfalls kein Problem, die Kondensationswärme lässt sich problemlos nutzen. Wünschenswert wäre hierzu ein Modellvorhaben, dass die Sektorkopplung ‚Thermische Abfallbehandlungsanlage-Gewächshaus‘ betrachtet, dann wüssten wir noch mehr.


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[su_spoiler title=“Fernwärme für Gewächshäuser – Am Beispiel Schweiz“]

  • In der Schweiz liefern mehrere Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA) Fernwärme an Gewächshäuser. Eine der Anlagen ist die Kehrichtverwertung Zürcher Oberland (KEZO), die ihren Standort 30 Kilometer südöstlich von Zürich hat. Als Wärmequelle nutzt die Anlage Kondensationsenergie vom Abdampf der Dampfturbine. Die Abwärme hat eine Temperatur von 45 Grad Celcius und wird seit 2008 bzw. 2015 an zwei Gewächshäuser geliefert.
  • Die beiden Gewächshäuser haben eine Fläche von je 40.000 Quadratmeter mit einem Verbrauch von je circa 20.000 Megawattstunden pro Jahr. Die Gewächshäuser werden auch durch ein separates Abwärmenetz mit Warmwasser beliefert.
  • „Unsere Erfahrungen zeigen, dass der Gewächshausbetreiber und auch wir sehr zufrieden sind, mit den generierten Erträgen“, sagt KEZO-Geschäftsführer Daniel Böni. „Da wir die Energie pauschal verrechnen, kann er deren Einsatz optimal auf den Pflanzenwachstum abstimmen.“ Laut Böni ist es von Vorteil, wenn die Leitungen kürzer als 1 Kilometer sind und es sich um größere Gewächshauseinheiten handelt.
  • Das zweite Beispiel ist die Kehrichtverbrennungsanlage Oftringen, die etwa 60 Kilometer westlich von Zürich liegt. Als Wärmequelle dient der Wäscherkreislauf der Rauchgasreinigungsanlage. Die Abwärme wird für ein Gewächshaus (Salatanbau) ausgekoppelt. Das Gewächshaus hat eine Fläche von 13.000 bis 14.000 Quadratmeter mit einem Verbrauch von rund 3.200 Megawattstunden pro Jahr.
  • „Wir befinden uns in einer ländlichen Umgebung, die Verrechnung erfolgt pauschal und alle Beteiligten sind sehr zufrieden“, sagt KVA-Geschäftsführer Jacques Hartmann. Aktuell werde geprüft, wie die Abwärme für die eigene Gebäudeheizung verwendet werden kann.
  • Darüber hinaus gibt es in der Schweiz weitere Projekte. Daniel Böni zufolge versorgt die Kehrichtverbrennungsanlage Giubiasco in der Regio Bellinzona ein Gewächshaus über den Rücklauf der Fernwärme mit Energie. Zudem seien derzeit drei andere Projekte konkret in der Diskussion.

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Es gab auch Ansätze, mobile Wärmespeicher zu nutzen. Hat sich das durchgesetzt?

Es gibt den mobilen Wärmespeicher per Lkw der Müllverbrennungsanlage Hamm. Das Projekt ist sehr positiv verlaufen. Allerdings besteht noch Optimierungsbedarf, was die Kosten angeht. Außerdem hat der bisherige Abnehmer nun eine KWK-Anlage gebaut. Daher sucht man dort nach einem Folgenutzungsprojekt. Es gibt auch einige andere Ansätze.

Welche meinen Sie?

Bei der Müllverbrennungsanlage in Wesel beispielsweise werden Holzhackschnitzel mit der Abwärme aus dem Kesselhaus getrocknet. Ein weiteres schönes Projekt ist die Beheizung mit Abwärme des Freibads Neuenhof in Wuppertal, selbst im Winter. Momentan diskutiert wird darüber hinaus, wie Kälte aus Fernwärme stärker genutzt werden kann. Aktuell läuft so etwas bei der MVA Ingolstadt im Regelbetrieb. Die MVA speist Fernwärme ins Netz ein und an den entsprechenden Stellen sind dann Absorptionskältemaschinen eingebaut, die daraus Kälte produzieren.

Das klingt alles gut, aber dennoch spielt Fernwärme bei der Wärmeerzeugung in Deutschland noch immer eine untergeordnete Rolle.

Ja, aber ich bin mir sicher, dass sich das ändern wird. Denn um die Klimaschutzvorgaben der Bundesregierung zu erreichen, ist ein weiterer Fernwärmeausbau unumgänglich. Die immer mal wieder diskutierte vollständige Elektrifizierung ist nicht zielführend, weil weiterer Bedarf an Wärme besteht. Vielmehr müssen die Netze verdichtet werden, um mehr Wärme absetzen zu können.

Wollen Sie eine Schätzung machen, wie stark die Fernwärme bei Thermischen Abfallbehandlungsanlagen zulegen wird?
Wenn ich die angelaufenen Projekte und die Projekte betrachte, die in der Pipeline sind, gehe ich davon aus, dass man eine um 20 Prozent höhere Fernwärmenutzung in den kommenden Jahren erreichen wird. Das größte Hindernis dabei sind fehlende Wärmesenken und noch nicht abgeschriebene Anlagen etwa Kohle- oder Gaskraftwerke, die bisher einspeisen. Ein weiteres Hindernis ist die fehlende CO2-Bepreisung von fossilen Energieträgern im Verkehrs- und Gebäudesektor. Aktuell wird aber in den Koalitionsverhandlungen diskutiert, dass Deutschland mit Frankreich eine entsprechende Initiative startet. Wenn das kommen wird, sind MVA-Betreiber im Vorteil, weil sie Abwärme einsetzen. Das dürfte dann dazu führen, dass Fernwärme attraktiver wird.

 

© 320°/bs | 15.02.2018

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