Abfallende für Altpapier

Der langwierige Gesetzgebungsprozess für Abfallende-Kriterien für Papier war beinahe vollendet - bis das EU-Parlament die Bremse gezogen hat.

Sturz auf der Zielgeraden


Jahrelang haben sich Verwerter, Verbände und Juristen mit der Frage herumgeschlagen, wann genau Abfall kein Abfall mehr ist. Nachdem der europäische Dachverband der Papierindustrie CEPI den End-of-Waste-Prozess mehrere Jahre gefordert und forciert hatte, änderte der Verband plötzlich seinen Kurs um 180 Grad. Seitdem agierte CEPI vehement gegen das vorzeitige Ende der Abfalleigenschaft.

Mit Erfolg, wie sich gezeigt hat. Die Europäische Kommission hatte im September eine Beschlussvorlage verabschiedet, nur noch das Europäische Parlament musste darüber abstimmen. Dessen Zustimmung galt als sicher und jeder ging davon aus, dass die Abfallendekriterien Anfang Januar dieses Jahres in Kraft treten würden. Einen Monat davor aber gab es die große Überraschung: Das Parlament hat den Vorschlag der EU-Kommission für Abfallende-Kriterien für Altpapier mit überwältigender Mehrheit abgelehnt; mit 606 zu 77 Stimmen.

Die vorgeschlagene Verordnung sollte regeln, unter welchen Bedingungen Altpapier nach der Sammlung und Sortierung nicht mehr als Abfall gegolten hätte. Die Abgeordneten befürchteten allerdings, dass die End-of-Waste-Regelung zu Lasten des Altpapierrecyclings gehen könnte und stimmten gegen den Kommissionsvorschlag. Damit folgten die Parlamentarier dem Votum des Umweltausschusses und auch der Argumentation des Verbands der europäischen Papierindustrie CEPI sowie des Verband Deutscher Papierfabriken (VDP) und anderer nationaler Verbände.

„Nun hat sich bewahrheitet, was sich schon im letzten Jahr seit der unglücklichen Hinzunahme von beschichtetem Altpapier als erlaubtem Inputmaterial andeutete: Eine europäische Verordnung zum Abfallende von Altpapier wird es zunächst nicht geben.“ Mit diesen Worten kommentierte Reinhold Schmidt, Vizepräsident des Bundesverbands Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse) und Vorsitzender des bvse-Fachverbandes Papierrecycling, die Ablehnung des Kommissionsvorschlags. Das EU-Parlament habe jedoch zugleich mit seiner Ablehnung angeregt, dass die Kommission diesen Entwurf überdenke und verbessere. Damit besteht nach Ansicht von Schmidt zumindest mittelfristig noch eine Chance für die Verordnung in qualitativ verbessertem Gewand. Auch Peter Kurth, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE), bedauert, dass die grundsätzlich von allen Beteiligten gewünschte Abfallende-Verordnung für Altpapier nicht in Kraft gesetzt werden kann.

Auslöser für diesen Umschwung vom enthusiastischen Herbeiwünschen einer Abfallende-Verordnung in eine Enttäuschung gab es im Kommissionsvorschlag mehrere. Beispielsweise die Einbeziehung von Verbundkarton. Diese wäre mit einem großzügig bemessenen Fremdstoffanteil von 30 Prozent einhergegangen. Bei herkömmlichem Altpapier waren die Kommissare bezüglich des Anteils von Nicht-Papier-Bestandteilen dagegen wesentlich strenger – 1,5 Prozent wären maximal erlaubt gewesen. Dieser Grenzwert ist nach Ansicht der Verbände zu knapp bemessen, denn in der Praxis schwankt dieser Wert zwischen 1 und 5 Prozent. Insbesondere für Post-Consumer-Papierabfälle, die höhere Verunreinigungen aufweisen, wäre es für die Betriebe nur mit einem erheblichen zusätzlichen Sortieraufwand möglich, den Grenzwert einzuhalten.

Was die Verbände der Papierindustrie aber noch erheblich mehr störte, war die Festlegung des Zeitpunkts, zu dem Altpapier kein Abfall mehr ist, sondern ein Produkt. So sträubten sich CEPI und der VDP vor allem dagegen, dass das Abfallende bereits beim Sortierer erreicht werden kann. Sollten die Abfalleigenschaften von Altpapier enden, bevor dieses ordnungsgemäß recycelt und aufbereitet wurde, könnte sich das negativ auf die Recyclingraten in der EU auswirken und zu höheren Verunreinigungen im Altpapier führen, warnte CEPI.

Nach Einschätzung des VDP hätte durch den Entwurf der Kommission insbesondere das Abfließen großer Altpapiermengen in alternative und weniger hochwertige Verwendungszwecke auch außerhalb von Europa gedroht. Als Folge wäre der hohe Grad an Altpapierrecycling in Europa gefährdet worden und der Altpapiereinsatz von derzeit 47 Millionen Tonnen auf 37 Millionen Tonnen gefallen. Werksschließungen und Verluste von Arbeitsplätzen wären die Folge gewesen. Zudem wäre auch durch die unzureichenden Anforderungen des Verordnungsentwurfes die Qualität des Papierrecyclings massiv gefährdet worden.

Die von CEPI am Tag der Ratsentscheidung geäußerte Kritik am Ende der Abfalleigenschaft von Altpapier weist der bvse jedoch entschieden zurück. Die Behauptung, dass im Falle von End of Waste der dann dem Aufbereiter rein definitorisch zufallende Status als „Recycler“ zu einer höheren Verunreinigung im Altpapier führen werde, nennt bvse-Geschäftsführer Thomas Braun „absurd“. Das Gegenteil sei richtig: „Die nur mit großem Einsatz erfüllbaren, anspruchsvollen Vorgaben der Abfallende-Verordnung bringen ein qualitativ erstklassiges Produkt Altpapier hervor, das dann in der Papierfabrik als Rohstoff eingesetzt werden kann. Dies verbessert und fördert den Recyclingaspekt.“

Altpapier-Experte Braun vermutet, dass es CEPI wohl eher darum gehe, Altpapier so lange wie möglich im Abfallregime zu halten. Die Papierindustrie verspreche sich davon, leichter auf Exportbeschränkungen für Altpapier hinwirken zu können und somit den freien Handel über die Grenze Europas hinweg auszuschalten.

Vorerst bleibt es somit beim Status Quo der Abfallgesetzgebung. Nach dem Nein des EU-Parlaments hat die EU-Kommission mitgeteilt, dass sie ihren Verordnungsvorschlag zurückziehen werde. Ob es der Kommission gelingt, schnell einen verbesserten Entwurf einzubringen, mag dahingestellt sein. Die Hängepartie wird also auf vorerst unbestimmte Zeit weitergehen.

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