Novelle der Verpackungsverordnung

Am Mittwoch berät das Bundeskabinett über die Novelle der Verpackungsverordnung. Ein Überblick von 320° zeigt, wie das System der Verpackungsentsorgung funktioniert und wo die Probleme liegen. Für alle, die das System schon lange nicht mehr durchschauen.

10 Antworten zur Verpackungsentsorgung


1. Wer muss welche Verpackungen bei wem lizenzieren?

Jeder, der in Deutschland Verkaufsverpackungen in den Verkehr bringt, muss sich auch darum kümmern, dass diese am Ende ihrer Verwendung eingesammelt und verwertet werden. Dazu müssen die Inverkehrbringer – beispielsweise Hersteller oder Händler – bei einem der zehn dualen Systeme angeben, welche Verpackungsmengen sie genau auf den deutschen Markt bringen. Der Anbieter eines dualen Systems bietet dem Inverkehrbringer dann an, sich stellvertretend für ihn um die ordnungsgemäße Entsorgung zu kümmern. Dafür zahlt der Inverkehrbringer ein Lizenzentgelt an den Systembetreiber. Die dualen Systeme organisieren die Sammlung der Verpackungen entweder über die gelbe Tonne, den gelben Sack oder Bring-Systeme. Dazu schließen sie vor Ort Verträge mit Sammlern, Sortierern und Verwertern.

2. Wie wird die Verpackungsentsorgung im Idealfall finanziert?

Hinter der Verpackungsverordnung steht der Gedanke der Produktverantwortung. Demnach ist der Inverkehrbringer für die Entsorgung verantwortlich, Die Kosten schlägt er auf den Verkaufspreis drauf, so dass letztlich der Verbraucher zahlt.

Im Idealfall schließt der Inverkehrbringer mit einem dualen System einen Vertrag über eine bestimmte Menge und zahlt dafür die Lizenzierungsgebühren. Alle dualen Systeme sind wiederum in der sogenannten Gemeinsamen Stelle organisiert, wo sie angeben, welche Mengen sie unter Vertrag haben. Diese Meldungen geben sie einmal pro Quartal ab. In der Gemeinsamen Stelle wird dann ausgerechnet, welcher Systembetreiber welchen Marktanteil an der Gesamtmenge hat. Anhand dieser Marktanteile beteiligen sich die einzelnen Systeme dann an den Kosten für die Entsorgung. Mit der Sammlung und Sortierung der Verpackungen beauftragen die Systembetreiber Entsorgungsfirmen, die sich zuvor um die Sammlung und Sortierung der Verpackungen in einem oder mehreren Entsorgungsgebieten beworben haben.

3. Wieso sprechen dann so viele von einer massiven Unterfinanzierung?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist der Wettbewerb zwischen den Systemen immer härter geworden, durch den Preiskampf verdienen die Systembetreiber weniger als früher. Außerdem klafft bei den Systembetreibern ein Lücke zwischen Einnahmen (Lizenzentgelte der Inverkehrbringer) und Ausgaben (Kosten für die tatsächlich entsorgten Mengen). Jahr für Jahr werden die angemeldeten und lizenzierten Mengen weniger. So lautet eine aktuelle Hochrechnung, dass für 2014 etwa 822.424 Tonnen Leichtverpackungen (LVP) bei den Systemen angemeldet und bezahlt werden. Im Jahr zuvor waren es noch rund 200.000 Tonnen mehr. Die Menge der gesammelten Verpackungen dagegen geht nicht zurück. Somit muss mit weniger Lizenzeinnahmen die gleiche Entsorgungsleistung bezahlt werden.

4. Die Lizenzierung ist Pflicht. Wie kann es dann sein, dass immer weniger Mengen angemeldet werden?

Hier kommt zum einen das Trittbrettfahrerproblem ins Spiel. Damit sind die Inverkehrbringer gemeint, die ihre Verpackungen nicht lizenzieren. Seit Jahren wird versucht, diesem Trend Einhalt zu gebieten. Doch es scheitert am fehlenden Vollzug. Zwar müssen die Inverkehrbringer beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag in einer Vollständigkeitserklärung angeben, welche Mengen sie lizenziert haben. Dafür gibt es aber Schwellenwerte: Inverkehrbringer mit kleinen Mengen sind dazu nicht verpflichtet. Außerdem wird nur kaum geprüft, ob ein Inverkehrbringer seiner Lizenzierungspflicht auch tatsächlich nachkommt.

Ein zweiter Grund für die immer kleineren Mengen sind die Eigenrücknahme und die Branchenlösung. Diese beiden Instrumente bieten die Möglichkeit, bestimmte Mengen entweder erst gar nicht bei einem dualen System anzumelden oder sie im Nachgang wieder abzumelden. Insgesamt wurden für das erste Quartal 2014 rund 25 Prozent weniger LVP-Mengen angemeldet als im Vorjahresquartal. Das sei auf das ganze Jahr gerechnet ein finanzieller Verlust von fast 130 Millionen Euro, heißt es.

5. Wie funktioniert die Eigenrücknahme?

Grundsätzlich müssen für die Verpackungsmengen, die über die Eigenrücknahme gesammelt werden, zunächst ganz normal Lizenzgebühren gezahlt werden. Grob gesagt fallen diejenigen Verpackungsmengen unter Eigenrücknahme, die dort wo sie vom Verbraucher gekauft werden, auch gleich wieder gesammelt werden. Ein Beispiel dafür sind Sammelboxen, die im Einzelhandel hinter der Kasse stehen. Dort können Verbraucher Teile ihrer Verpackungen gleich im Laden zurück lassen – häufig wird hier von „Point-of-Sale-Mengen“ (PoS-Mengen) gesprochen. Unter Eigenrücknahme fallen aber auch Verpackungen, die die Deutsche Bahn in ihren Zügen sammelt oder die auf Jahrmärkten zurückgelassen werden. Wer diese Mengen sammelt und nachweisen kann, dass er sich um deren Verwertung gekümmert hat, kann sich an ein duales System wenden und die zuvor gezahlte Lizenzierungsgebühr zurückverlangen. Als Grundlage dafür dient ein Wiegeschein, den der Entsorger ausstellt.

Werden am Point-of-Sale mehr Verpackungen gesammelt, als der betreffende Händler zuvor lizenziert hat, können die sogenannten Fremdmengen geltend gemacht und auch dafür Geld von den Systemen zurückgefordert werden.

6. Was hat es mit der Branchenlösung auf sich?

Die Verpackungsmengen aus der Branchenlösung müssen erst gar nicht bei einem dualen System lizenziert werden. Die Lizenzierungspflicht entfällt, wenn Hersteller und Vertreiber von Verkaufsverpackungen an Anfallstellen liefern, die eine eigene Erfassung organisieren und einem privaten Haushalt gleichgestellt werden können. Beispiele hierfür sind Verpackungen, die an Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser, Kasernen oder Kfz-Werkstätten geliefert werden. Dort werden sie an Ort und Stelle verbraucht und auch gesammelt. Die Branchenlösung wird nicht nur von dualen Systemen angeboten. So gibt es beispielsweise Sammelsysteme für Altölkanister oder für Verpackungen aus der Landwirtschaft. Anbieter von Branchenlösungen erstellen dann auch Mengenstromnachweise. Ein Inverkehrbringer kann mithilfe von Quoten entweder durchschnittlich oder individuell berechnen, welche Menge an Verpackungen er über Branchenlösungen abrechnet und sie so bei der klassischen Lizenzierung abziehen.

7. Warum stehen die beiden Instrumente so in der Kritik?

In den vergangenen Jahren haben die PoS-Mengen und die Branchenlösungen massiv zugenommen: Im Bereich Branchenlösung hat sich die LVP-Menge allein innerhalb der letzten zwei Jahre verdoppelt, die Eigenrücknahme ist sogar 2,5 Mal so hoch. Was wirklich über diese Möglichkeiten entsorgt wird, lässt sich schwer bis gar nicht kontrollieren. Die Verwertungsnachweise werden als „beliebig“ kritisiert. Über den klassischen Entsorgungsweg Tonne, Sack oder Bringsystem haben sich die Mengen jedenfalls kaum verändert – ein Zeichen dafür, dass die Angaben in Branchenlösungen und Eigenrücknahme nicht stimmen können.

Neben der Schuldzuweisung an die „tricksenden“ Inverkehrbringer kritisieren sich auch die Systembetreiber gegenseitig. Gibt ein Systembetreiber einem Sammler von PoS-Mengen nämlich sein Geld zurück, kann er gleichzeitig seinen Mengenanteil in der gemeinsamen Stelle nach unten korrigieren – er muss also weniger Geld an die Entsorger bezahlen. Teilweise ist der Wegfall der Entsorgungskosten höher als die Rückforderungen der Inverkehrbringer. Die PoS-Mengen lohnen sich also, entziehen aber dem Gesamtsystem weiteres Geld.

8. Was soll mit dem Vorstoß aus Nordrhein-Westfalen erreicht werden?

In der Bundesrats-Initiative aus dem Umweltministerium in Nordrhein-Westfalen wird gefordert, dass die Eigenrücknahme mit der sechsten Novelle der Verpackungsverordnung komplett und ersatzlos abgeschafft wird. Für die Branchenlösung sollen deutlich schärfere Regeln gelten. Sie soll nur noch dann möglich sein, wenn der Inverkehrbringer eine direkte Lieferbeziehung mit der Anfallstelle nachweise kann. Das heißt, dass diese Verpackungen ohne Zwischenhändler direkt angeliefert werden müssten. Schätzungen gehen davon aus, dass damit über 90 Prozent der jetzigen Branchenlösungen wegfallen würden. Durch die Streichung und die Einschränkung sollen wieder deutlich mehr Verpackungen über den klassischen Weg lizenziert werden.

9. Wie groß sind die Chancen, dass die VerpackV tatsächlich deutlich geändert wird?

Die betroffenen Marktteilnehmer reagierten Ende vergangen Jahres gemischt auf die Änderungsforderung aus Nordrhein-Westfalen. Einige sprachen von einem „Schnellschuss“, andere begrüßten vor allem die Abschaffung der Eigenrücknahme. Gegner des Vorstoßes argumentierten aber, dass die Eigenrücknahme kostengünstig, verbraucherfreundlich und umweltschonend sei. Auch bei der Modifizierung der Branchenlösung war das Echo zunächst geteilt. Sie würde ein gut gemeintes Instrument zu sehr einschränken, hieß es.

Die neuesten extrem reduzierten Mengenmeldungen der dualen Systeme haben nun viel Öl ins Feuer gegossen. Die Front der Unterstützer der Bundesratsinitiative wird breiter. Mehrere Verbände und sogar Systembetreiber selbst sprechen sich inzwischen dafür aus, dass die Politik in die beiden Instrumente regulierend eingreift. Eine Änderung der VerpackV wird also immer wahrscheinlicher.

10. Wie wird es nun weiter gehen?

Eigentlich ist die Novelle der sechsten Verpackungsverordnung fast schon durch – die Zustimmung der Bundesregierung und des Bundestages gilt als so gut wie sicher. Doch im Bundesrat können noch Änderungsanträge wie der aus Nordrhein-Westfalen eingebracht werden. Laut Plan berät der Bundesrat im April über die Novelle. Wenn der Bundesrat den Änderungen zustimmt, ist es wahrscheinlich, dass wiederum Bundestag und die Bundesregierung die Modifizierungen durchwinken.

Mehr zum Thema
Mehr Rezyklate, weniger Plastik: Was Apple bislang erreicht hat
Wird die Energie- und Antriebswende ausgebremst?
Herstellerverantwortung: Reconomy mit neuem Service für Textilien
Was bislang zum EU-Batteriepass bekannt ist
Batteriepaket der Raumstation ISS schlägt in Wohnhaus ein
Neue Marke: Heraeus bietet Produkte aus recycelten Edelmetallen an
Einweg-E-Zigarette mit abnehmbarem Akku
Kreislaufwirtschaft: Deutschland und China vereinbaren Aktionsplan
Alternative Papiersorten: Wie gut sind die Top Ten wirklich?
Der längste Streik in der Geschichte der IG Metall
Mehr Fernwärme aus Abfällen: Neue Technologie in MVA Borsigstraße