Interview zum Eckpunktepapier
BellandVision-Geschäftsführer Thomas Mehl über das Eckpunktepapier zum Wertstoffgesetz, die Auswirkungen auf Sammelkosten und Recyclingziele – und warum die Clearingstelle noch immer keinen Beschluss zu pauschalen Mengenabzügen gefasst hat.
„Wettlauf um die goldene Entsorgung“
Herr Mehl, die Eckpunkte für das geplante Wertstoffgesetz liegen inzwischen vor. Wie lautet Ihre erste Einschätzung?
Grundsätzlich begrüßen wir, dass es höhere Recyclingquoten, eine Zentrale Stelle für die Vollzugsüberwachung und eine Ausweitung der Wertstoffsammlung auf stoffgleiche Nichtverpackungen geben soll. Die Details der Eckpunkte jedoch sind aus unserer Sicht enttäuschend.
Sie meinen die Einflussmöglichkeiten der Kommunen?
Ja, Sie müssen sich doch nur einmal die vier Seiten des Eckpunktepapiers ansehen. Nur die erste Seite behandelt ökologische Ziele, die Zentrale Stelle und die Ausweitung der Wertstoffsammlung; die übrigen drei Seiten beschreiben die Einflussmöglichkeiten der örE. In vielen Bereichen ein reines „Wünsch Dir Was“ für die Kommunen. Nach Monaten der politischen Diskussion hätten wir uns insgesamt ein ausgewogenes Ergebnis gewünscht.
Welche Punkte sehen Sie besonders kritisch?
In erster Linie lehnen wir die geplante Einflussnahme der Kommunen auf die Erfassungsstruktur, die Erfassungsbehälter und die Abholrhythmen ab. Das geht weit über das hinaus, was zu vertreten ist. Denn damit können die Kommunen nicht nur unmittelbar in die Kostenstruktur der dualen Systeme eingreifen, sondern auch den Recyclingerfolg der dualen Systeme erheblich beeinflussen.
Sie befürchten, dass die Sammelkosten infolge der kommunalen Einflussnahme steigen werden?
Zumindest ist es vorstellbar. So wie die Eckpunkte formuliert sind, wird den dualen Systemen in entscheidenden Bereichen die Möglichkeit zur wirtschaftlichen Optimierung und die Einflussnahme zur Erhöhung der Recyclingquote genommen. Und das, obwohl es die dualen Systeme sind, die für Kosteneffizienz und Quotenerfüllung verantwortlich sind.
Im Eckpunktepapier heißt es aber auch, dass die Kommunen keine unnötig hohen Anforderungen an die dualen Systeme stellen dürfen. Und wenn doch, müssen die Kommunen die Kosten selbst tragen.
Wie genau die Politik sich eine solche Regelung in der Praxis vorstellt, ist mir schleierhaft. Sollen die dualen Systeme künftig die Gerichte mit langwierigen Prozessen und schwierigen Beweislagen beschäftigen? Wir wissen doch aus der Vergangenheit, dass die Aufsicht über die Aktivitäten der Kommunen nur selten funktioniert. Wer will, der kann hier mit seinen Wünschen und Argumenten auch Kosten erzeugen, deren Ausmaße in den Eckpunkten nicht gedeckelt sind. Wir erwarten hier den kommunalen Wettlauf um die „goldene Entsorgung“.
Angenommen, die Sammelkosten würden tatsächlich steigen: Bei wem würden die höheren Kosten hängenbleiben? Bei den dualen Systemen, dem Handel oder den Verbrauchern?
Am Ende des Tages sind es die Verbraucher, die die kommunale Zeche zahlen müssen, wenn es Industrie und Handel gelingt, die Lizenzentgelterhöhung über höhere Produktpreise weiterzugeben. Alle Kostenerhöhungen müssen die dualen Systeme zwangsläufig über höhere Lizenzentgelte an ihre Kunden weiterbelasten.
Sie fürchten auch um die Erfüllung höherer Recyclingquoten. Warum?
Weil die dualen Systeme gemäß dem Eckpunktepapier nahezu keinen Einfluss auf die Sammlung und Bürgerinformation haben werden. Die Erweiterung der Wertstofferfassung um stoffgleiche Nichtverpackungen ist nur dann sinnvoll, wenn man auch die über Jahre aufgebaute und optimierte Logistik der Systembetreiber für die Erfassung nutzt. Wenn die Recyclingquoten steigen sollen, muss man den dualen Systemen auch die Möglichkeit geben, die höheren Quoten durch entsprechende Gestaltung des Systems zu erreichen. Für ein kosteneffizientes, qualitativ hochwertiges Recycling mit hohen Quoten muss man den gesamten Prozess in einer Hand behalten und diesen auch verantwortlich steuern können – von der Information der Bürger, über die Erfassung und Sortierung bis hin zur Verwertung. Wenn man aber entscheidende Teilaufgaben den Kommunen ohne jede Kosten- und Erfolgsverantwortung übergibt, dann hat der duale Systembetreiber weder die Sammelmenge noch die Sammelkosten in seinem Einflussbereich.
Ihr Punkt ist also: Sie tragen die Verantwortung, also wollen Sie auch die Kontrolle?
Hier geht es nicht um „wollen“. Wir müssen die Steuerung und Kontrolle aller Prozesse des Gesamtsystems behalten, um die ambitionierten Quoten überhaupt sicherstellen zu können.
Das Problem ist jedoch, dass die dualen Systeme im vergangenen Jahr viel Vertrauen verloren haben. Nur deswegen hat die Diskussion über die Abschaffung der dualen Systeme überhaupt erst begonnen. Vor diesem Hintergrund hätten die dualen Systeme in der Diskussion um die Ausgestaltung des Wertstoffgesetzes auch leer ausgehen können.
Den über 20jährigen Erfolg der dualen Systeme auf ein schwieriges Jahr zu reduzieren, halte ich für viel zu kurz gegriffen. Wir wissen doch alle, dass bestimmte kommunale Kreise seit Jahren nichts unversucht lassen, ihre Interessen durchzusetzen. Da geht es aber nicht um Recyclingziele oder um Ökologie, sondern nur um finanzielle Aspekte, die man sich selbst schön redet. Ich habe nicht ernsthaft befürchtet, dass sich die Forderung nach Abschaffung der dualen Systeme durchsetzen kann, auch weil es hierzu keine adäquate Alternative gibt, die diesen wichtigen Part der privatwirtschaftlichen Recyclingaktivität nur annähernd erfolgreich und kosteneffizient umsetzen kann. Für eine Abschaffung gibt es auch gar keinen Grund. Die dualen Systeme hatten Schwierigkeiten, das ist richtig. Zwischenzeitlich sind diese überwunden. Nach den letzten Zahlen für das 3. Quartal werden wir vermutlich 1,5 Millionen Tonnen Leichtverpackungen in diesem Jahr lizenzieren. Das gab es noch nie. Von daher müssen wir uns über die Finanzierung keine Sorgen machen.
Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptgründe für die bessere Entwicklung?
Geholfen hat neben der 7. Novelle der VerpackV vor allem der neue Clearingvertrag. Damit haben die dualen Systeme diverse Kontroll- und Prüfmechanismen geschaffen, unter anderem auch mit dem Wirtschaftsprüfer-Pool, der dafür sorgt, dass gleichermaßen geprüft wird. Darüber hinaus haben wir erreicht, dass die Mengenabzüge deutlich zurückgegangen sind. Hier gilt es aber kurzfristig noch nachzuarbeiten, insbesondere mit einer zeitnahen Implementierung der APV-Vorgaben von diesem Jahr und der kommenden neuen M 37 in den Clearingvertrag, damit die letzten dualen Mengenabzüge, insbesondere die „pauschalen Abzüge“ mancher Systeme endlich unmöglich werden. In Konsequenz können dann auch die Lizenzgebühren für alle Lizenznehmer weiter reduziert werden.
Hätte damit der Interpretationswettbewerb, von dem DSD-Chef Michael Wiener gesprochen hat, ein Ende?
Wenn alle Punkte sauber geregelt sind, sicher.
Andere sprechen nicht von einem Interpretationswettbewerb, sondern von Betrug.
Ob verordnungskonformer Interpretationswettbewerb oder Betrug, will ich an dieser Stelle nicht bewerten. Dies war und ist Aufgabe der Prüf- und Kontrollbehörden und gegebenenfalls der Gerichte. Die Kontrolle der Einhaltung der Gesetzgebung sowie entsprechende Aktionen oder Sanktionen bei Nichteinhaltung obliegen den Behörden. Sicher war in manchen Bereichen der Verpackungsentsorgung eine ausreichende Kontrolle – aus welchen Gründen auch immer – nicht ausreichend gewährleistet, so dass viele Interpretationen im Laufe der Zeit überzogen werden konnten und gegebenenfalls auch an Betrug gegrenzt haben.
Wie groß ist aktuell die Gefahr, dass sich Betrugsfälle wiederholen können?
Nun, leider kann man Betrug nie zu hundert Prozent ausschließen, weder im Privatleben, noch in der privaten oder in der kommunalen Wirtschaft. Wenn die zuständigen Prüfbehörden nun noch ihren Kontrollaufgaben ausreichend nachgehen können, sollten eventuelle Betrügereien auf ein Minimum begrenzt werden können. Nicht zuletzt wurde die VerpackV auch deshalb deutlich verschlankt, damit die Behörden die Einhaltung besser kontrollieren können. Dazu gehört auch, dass zum Beispiel pauschale Mengenabzüge künftig nicht mehr möglich sind. Hier sind durch entsprechende Interpretationen leider immer noch Einfallstore gegeben, um Verpackungsmengen der dualen Lizenzierung zu entziehen, obwohl sich die Länder über den APV ausdrücklich gegen diese Abzugsmöglichkeit ausgesprochen haben.
Das Thema Mengenabzüge steht schon seit einiger Zeit auf der Agenda der Clearingstelle. Wieso gibt es hierzu noch keine Einigung?
Weil wir für jede Vertragsanpassung in der Clearingstelle ein einstimmiges Votum aller Systembetreiber benötigen. Die große Mehrheit der Systembetreiber hat sich dafür ausgesprochen, den APV-Beschluss der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall eins zu eins umgehend in den Clearingvertrag zu übernehmen. Einzig das System RKD hat bis heute Bedenken, den APV-Beschluss in den Clearingvertrag beziehungsweise in die Prüfkriterien zu übernehmen, ansonsten wäre diese – sicher berechtigte – Forderung des Länderarbeitskreises Produktverantwortung (APV) aus dem Januar längst vertragsmäßig verankert worden.
Mit welcher Begründung lehnt RKD den APV-Beschluss ab?
RKD vertritt scheinbar die Auffassung, dass der APV-Beschluss nicht von der VerpackV abgedeckt wird und deshalb nicht umgesetzt werden muss. Dies entspricht so nicht unserer Auffassung. Wir meinen, dass die Länder bzw. zuständigen Behörden – wie auch Gerichte – die Auslegungsbefugnis der VerpackV haben. Andere Systembetreiber sehen das ebenso. Zudem sollten auch alle Erstinverkehrbringer – also die Kunden der dualen Systeme und Lizenzzahler – bei ihren dualen Systemen generell einfordern, dass gemäß APV-Beschluss keine pauschalen Mengenabzüge vorzunehmen sind. Helfen würden sicherlich auch weitere deutliche Signale aus den Bundesländern, dass künftig auf Grundlage des APV-Beschlusses und der neuen M37 die Mengenströme der dualen Systeme geprüft werden.
Neben den pauschalen Mengenabzügen gibt es auch immer noch das Problem der Trittbrettfahrer …
… die gar nicht lizenzieren oder nur zum Teil, völlig richtig. Das sind nach wie vor große Mengen, die den dualen System fehlen, damit nicht zur Finanzierung beitragen und die Ehrlichen zusätzlich finanziell belasten. Das ist eine Aufgabe, die die Länder dringend lösen müssen. Und mit dem neuen Wertstoffgesetz muss dies auch eine wesentliche Aufgabe einer Zentralen Stelle werden. Zur Sicherstellung einer erfolgreichen Zentralen Stelle muss nach unserer Auffassung die gesamte beteiligte Kette der privatwirtschaftlichen Wertstoffsammlung einbezogen werden. Momentan sind leider nur der Handel und die Industrie involviert und neuerdings sollen auch die Kommunen mitwirken. Die dualen Systeme und privaten Entsorger sind bisher außen vor. Auf deren jahrelange Erfahrung sollte man aber auf keinen Fall verzichten. Wir vertreten die Auffassung, dass eine gegenseitige funktionierende Kontrolle die Beteiligung aller erfordert, bei der Entwicklung des Regelwerks sowie auch bei der Besetzung der Zentralen Stelle. Ein nachhaltiger Erfolg dieser Stelle kommt dann auch allen Beteiligten zu Gute! Wir jedenfalls stehen für konstruktive Gespräche und fachliche Mitarbeit immer zur Verfügung.