Interview mit SRH-Chef Rüdiger Siechau
Rüdiger Siechau, Chef der Stadtreinigung Hamburg, über die Hamburger Recyclingoffensive, die Schwierigkeiten, das Recycling voranzutreiben, und den Wunsch, die Recyclingquoten für Hamburg neu zu definieren.
„Das Potenzial ist begrenzt“
Die Stadt Hamburg hat im Jahr 2011 eine Recyclingoffensive begonnen. Seitdem gelten neue Entsorgungsgebühren, die stärkere finanzielle Anreize für eine konsequente Abfalltrennung setzen. Das Ziel sind höhere Recyclingquoten. Durch mehr Getrenntsammlung und den Ausbau des Recyclings konnte die Menge des jährlich thermisch zu behandelnden Restmülls aus privaten Haushaltungen bereits deutlich gesenkt werden. Der Chef der Stadtreinigung Hamburg, Professor Rüdiger Siechau, erklärt im Interview mit 320°, welche Fortschritte im vergangenen Jahr erzielt wurden – und warum das Potenzial begrenzt ist.
Herr Professor Siechau, die Stadtreinigung Hamburg hat 2011 die Recyclingoffensive ins Leben gerufen. Die Fortschritte fallen jedoch bescheiden aus, wenn man sich die Zahlen für 2014 ansieht: Altpapier zeigt nach unten, das Aufkommen an Wertstoffen und Bioabfall kommt gerade mal auf ein Plus von je 2 Prozent. Woran liegt es, dass Sie nicht mehr Recycling erreichen?
Nun, zum einen muss man sehen, was die Ausgangslage war, als wir 2011 anfingen. Wir haben quasi in fast allen Bereichen bei null angefangen. Vor diesem Hintergrund können wir feststellen, dass sich die Zahl der Behälter für Bioabfall und Altpapier in relativ kurzer Zeit rasant nach oben entwickelt hat. Darüber hinaus muss man auch sehen, dass die Recycling-Offensive verschiedene Elemente hatte, die wir umgesetzt haben, wie etwa die Veränderung der Gebührenstruktur, die Umverteilung der Müllverbrennungskapazitäten, die Schaffung von Verwertungs- und Vermarktungswegen und eine Öffentlichkeitsarbeit zur Förderung der Getrenntsammlung. Aber es stimmt, wir haben die Mengenziele, die wir uns für 2012 gesetzt hatten, in einigen Bereichen auch 2014 nicht erreicht.
In welchen Bereichen genau?
Beim Altpapier wollten wir im Vergleich zu 2007, mit 77.000 Tonnen, bis 2012 30.000 Tonnen mehr sammeln. Tatsächlich haben wir eine Erhöhung von 16.000 Tonnen erreicht, Stand 2014. Bei der Wertstofftonne wollten wir eine Gesamtsammelmenge von 12.000 Tonnen erreichen, davon haben wir bislang knapp die Hälfte geschafft. Beim Bioabfall dagegen sind wir deutlich besser als geplant: Da wollten wir 20.000 Tonnen mehr sammeln, erreicht haben wir fast 50 Prozent mehr. Sehr positiv ist übrigens auch die Entwicklung beim Restmüll, hier haben wir fast 100.000 Tonnen weniger Aufkommen als in 2007. Das ist auch der Grund, warum wir nun unsere 40 Jahre alte Müllverbrennungsanlage Stellinger Moor schließen konnten.
Woran liegt es, dass die Altpapiersammlung nicht die gewünschten Ergebnisse bringt?
Das liegt im Wesentlichen daran, dass immer weniger Leute gedruckte Zeitungen lesen. Es ist einfach weniger Zeitungspapier im Umlauf. Was dagegen zunimmt, ist das Aufkommen an minderwertigen und voluminösen Kartonverpackungen. Dies resultiert aus der Zunahme des Online-Versandhandels. Aber unter dem Strich ist die Menge des Papiers, das in Umlauf gebracht wird, rückläufig. Der Mengenrückgang des gesammelten Altpapiers liegt also nicht daran, dass wir die Getrenntsammlung nicht bewerben oder dem Bürger keine entsprechenden Angebote machen. Es ist einfach weniger Material vorhanden.
Und das, was Ihnen noch bleibt, ist auch noch weniger wert?
Ja, die Altpapierpreise sind schlechter geworden. Der mittlere Preis lag Ende 2014 bei 28 Euro pro Tonne, 2011 lag der Preis noch bei 100 Euro. Das ist aus unserer Sicht natürlich problematisch, weil unsere Papiersammlung dann ein Zuschussgeschäft wird.
Etwas besser als bei Altpapier sieht es bei der Hamburger Wertstofftonne aus. Dort verzeichnen Sie ein Plus, wenn auch ein kleines.
Die Hamburger Wertstofftonne ist das erste Sammelsystem für stoffgleiche Nichtverpackungen in Deutschland, das keine operative Verbindung mit den dualen Systemen hat. Das System funktioniert hier im Prinzip so, wie es im Sinne des geplanten Wertstoffgesetzes bundesweit funktionieren könnte. Die Bürger haben das System auch gut angenommen und seit der Einführung im Jahr 2011 – da sind wir erst im Mai gestartet – haben wir ganz ordentliche Zuwächse. Die 5.600 Tonnen, die wir 2014 erfasst haben, entsprechen etwa 3 Kilogramm pro Einwohner und Jahr…
…das ist gut die Hälfte dessen, was man sich bundesweit von einer Wertstofftonne zusätzlich verspricht…
…richtig, wobei man hier auch sehen muss, dass wir in Hamburg mehr Säcke als Behälter haben. Und je mehr gelbe Säcke man im Vergleich zu festen Behältern hat, umso niedriger ist in der Regel auch die Menge der stoffgleichen Nichtverpackungen, die man beim Bürger erfassen kann. Der Bürger wirft sein Bobbycar oder sein altes Backblech lieber in einen festen Behälter als in einen Sack. Das ist nun mal so. Deshalb haben wir in Hamburg einiges dafür getan, von Säcken auf feste Behälter umzustellen. In Hamburg gibt es aber einfach auch sehr viele Gebiete, die dicht besiedelt sind. In diesen Bereichen können wir derzeit noch keine Behälter stellen, sondern müssen in Säcken sammeln.
Halten Sie es dennoch für möglich, die 5 bis 6 Kilogramm, die bundesweit angepeilt werden, zu erreichen?
Ich glaube, dass es möglich ist, aber es wird noch eine Zeit dauern, bis es soweit ist. Wir werden weiter Steigerungen erreichen können.
Das alles klingt nach einem begrenzten Recyclingpotenzial in Hamburg.
Ja, ich denke schon, dass das Potenzial begrenzt ist. Aber das ist nicht nur in Hamburg so, sondern bundesweit. Bislang hat doch keiner in nennenswertem Umfang stoffgleiche Nichtverpackungen gesammelt. Deshalb ist auch der Streit um die Wertstofftonne aus meiner Sicht schwer nachzuvollziehen.
Was ist mit dem Altpapier, das sich nach wie vor im Restmüll befindet?
Nach unseren Analysen sind im Restmüll aus den privaten Haushalten noch 15 Prozent Altpapier. Wenn man davon ausgeht, dass rund die Hälfte davon stofflich nutzbar ist, dann wären in Hamburg noch 40.000 Tonnen und somit rund 20 Kilogramm pro Einwohner und Jahr zusätzlich abzuschöpfen. Dann kämen wir vielleicht auf eine Größenordnung von 70 Kilogramm Altpapier pro Kopf und Jahr. Wie eingangs schon erwähnt, liegt der Grund dafür nicht in mangelnden Sammelangeboten der Stadtreinigung Hamburg, sondern an dem allgemeinen Rückgang von bestimmten Papierfraktionen.
Wie kommt es, dass Sie 2014 dennoch die stoffliche Verwertung gesteigert haben?
Wir haben sowohl haushaltsnah als auch auf unseren Recyclinghöfen und in den Depotcontainern die Sammelmengen 2014 im Vergleich zu 2013 erhöhen können. Gleichzeitig optimieren wir natürlich auch ständig die Vermarktungs- und Verwertungswege. Recycling ist nicht nur eine Frage der quantitativ erfassten Mengenströme. Auch die Qualität der getrennt erfassten Fraktionen und die Qualität der Verwertungswege ist von großer Bedeutung. Wir konnten die stofflich verwerteten Mengen um insgesamt 14.000 Tonnen auf 280.600 Tonnen steigern. Die Verwertungsquote ist damit in Summe auf 37 Prozent gestiegen. Wenn wir noch die Metalle und Schlacken aus der Müllverbrennung zum Recycling hinzurechen, dann landen wir bei 55 Prozent. Damit haben wir die 65 Prozent, die das Kreislaufwirtschaftsgesetz fordert, noch nicht erreicht, aber wir sind auf einem guten Weg.
Aber Metalle und Schlacken aus der Müllverbrennung zählen per Definition nicht zum Recycling.
Leider nicht, aber das sollte sich unbedingt ändern. Wir sind aktuell mit unserer rot-grünen Regierung in Hamburg im Gespräch, um die Definition der Recyclingquoten in diese Richtung anzupassen. Und da wir die Schlacke aus der Müllverbrennung zum Beispiel im Straßenbau verwerten und auch die Metalle aus der MV-Schlacke für die stoffliche Verwertung rückgewinnen, wäre das auch gerechtfertigt. Zumal die Metalle nach dem Verbrennungsprozess sogar eine bessere Qualität haben als vorher, weil die Anhaftungen durch die Verbrennung entfernt worden sind. Übrigens ist die EU auch auf dem Weg, im Recycling die Qualität vor die Quantität zu setzen. Insgesamt stellt sich somit Hamburg im Recycling bei Weitem nicht so negativ dar, wie eingangs angenommen.