Marktchancen für ausländische Technologieanbieter

Für deutsche Anbieter von Umwelt- und Recyclingtechnologien war Russland lange Zeit der Zukunftsmarkt schlechthin. Die russische Abfallwirtschaft bietet großes Potenzial und deutsche Technik genießt einen guten Ruf. Allerdings stehen den Herstellern derzeit einige Hürden im Weg. Profitieren könnte die Konkurrenz aus Asien.

Russlands Entsorgungsmarkt: Großes Potenzial, aber schwierige Zeiten


Russland bietet Maschinen- und Technologieproduzenten eigentlich optimale Voraussetzungen: Das Abfallaufkommen und der Bedarf an geeigneter Umwelttechnik sind riesig. Jährlich fallen in Russland 90 Milliarden Tonnen Industrie- und Haushaltsabfälle an, schätzt Germany Trade & Invest (gtai). Doch nur weniger als 40 Prozent der Industrieabfälle und nur 10 Prozent des Haushaltsmülls werden umweltgerecht entsorgt, der große Rest landet unbehandelt auf den Deponien.

Allen Verantwortlichen ist inzwischen klar, dass es ein Weiter so nicht geben kann. Vor allem in den Ballungsräumen und Metropolregionen steigt der Druck, sich verstärkt um Mülltrennung und Recycling zu kümmern. Dort stoßen die Deponien bereits an ihre Kapazitätsgrenzen, und die Grundstückspreise für eine flächenmäßige Erweiterung sind hoch. „Darüber hinaus sind neue Deponien auch mit erheblichen Investitionen verbunden. Im Unterschied zu den bestehenden Deponien müssen sich neue Deponien am Stand der Technik und auch den nicht eben einfach zu erfüllenden technischen Regularien orientieren“, erklärt Sven Flasshoff, Geschäftsführer des Moskauer Büro des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA).

statistic_id215688_wachstum-des-bruttoinlandsprodukts--bip--in-russland-bis-2-quartal-2015„Werden zukünftig Abfallprojekte zur Ausschreibung kommen, gehen wir stark davon aus, dass in den Metropolregionen eine Reduzierung des letztendlich auf die Deponie verbrachten Mülls angestrebt wird“, führt Karl Rottnick, Referent im VDMA-Fachverband Abfall- und Recyclingtechnik, weiter aus. Mit anderen Worten: Das Recycling soll verstärkt werden. Für ausländische Technologieanbieter ist das eine gute Nachricht. Denn das Abfallmanagement und die Entsorgungs- und Recyclingtechnologien stehen in der Russischen Föderation nach wie vor auf einem niedrigeren Entwicklungsstand. Das Land ist also auf ausländisches Know-how angewiesen.

Bei höherwertiger Technik ist ausländisches Know-how gefragt

Allerdings ist das Potenzial nicht für alle Verwertungstechnologien gleich groß. Vor allem der Kostenfaktor spielt hier eine Rolle. So auch bei der Müllverbrennung. Aktuell gibt es laut gtai nur 40 Müllverbrennungsanlagen in Russland. Dass in den kommenden Jahren ein Verbrennungsboom einsetzt, ist weniger wahrscheinlich. „Die Kosten sind für einen landesweiten Einsatz der Müllverbrennung einfach noch zu hoch“ sagt der VDMA-Russlandexperte Flasshoff. Erst nach dem Ausbau der Abfallsortierung und einer deutlichen Vorreduzierung der Abfallmengen könnte eine Müllverbrennung als weitere Option zur Minimierung der zu deponierenden Abfälle in größerem Maßstab zum Einsatz kommen.

Anders als die Müllverbrennung werden dafür Sortiertechnologien aller Art in den kommenden Jahren eine große Rolle zur Reduzierung der Abfallströme spielen. „Die Investitionskosten sind deutlich niedriger, und mit den aussortierten Fraktionen lassen sich auch in Russland Erlöse erzielen“, erklärt Flasshoff. Zur Mülltrennung und -sortierung gibt es laut gtai derzeit 53 Großanlagen. „Ein Großteil der vorhandenen Sortieranlagen setze auf das Prinzip manuelle Sortierung, ein kleiner Teil der Anlagen sortiere halbautomatisch. In Kostroma in der Nähe Moskau soll gegenwärtig die erste vollautomatische Sortieranlage im Bau sein“, so Flasshoff.

Zwar gebe es bereits mehrere heimische Anbieter von Technik zum Sortieren von Abfällen. In der Regel handele es sich aber dabei um einzelne Stufen des Sortierprozesses wie zum Beispiel Siebanlagen, Förderbänder, oder teilweise auch Pressen. Bei höherwertiger Technik zum Separieren, aber auch zum Teil bei Abfallpressen, sei man hingegen auf ausländische Technik angewiesen.

Wettbewerb mit asiatischen Anbietern verschärft sich

Doch Lieferungen von kompletten, schlüsselfertigen Abfallbehandlungsanlagen aus Deutschland nach Russland wird es in Zukunft vermutlich kaum geben. „Allein schon aus Kostengründen sind zum Beispiel Stahlbau oder Förderbänder auf dem lokalen Markt einfach günstiger zu haben“, sagt Flasshoff. Ein deutscher Anlagenbauer muss also fast zwangsläufig auf lokal produzierte Komponenten zurückgreifen. „Dazu braucht er entweder einen qualifizierten lokalen Engineering-Partner oder aber eine eigene Struktur auf dem russischen Markt, über welche die Komplettierung mit lokalen Komponenten abgewickelt werden kann“, erklärt Flasshoff. Die Alternative: „Man beschränkt sich darauf, als Zulieferer für in Russland entwickelte Projekte aufzutreten.“

statistic_id171409_wichtigste-importlaender-fuer-russland-2012Größere Chancen könnten sich Herstellern jedoch bei technisch anspruchsvolleren Anlagenkomponenten bieten. Nach Einschätzung des VDMA-Fachmanns wird es in den nächsten Jahren keinen schlagkräftigen Wettbewerb mit lokalen Herstellern geben. Wohl aber mit Herstellern aus asiatischen Ländern. „China mag zwar qualitativ nicht unbedingt immer top sein, und auch Wartung und Service chinesischer Maschinen mag in Russland problematisch sein, aber im Einkauf sind chinesische Maschinen und Anlagen oft unschlagbar günstig.“

Sanktionen beeinträchtigen Geschäftschancen

Bevor es zu Geschäftsabschlüssen kommen kann, müssen aber noch zwei weitere Hürden genommen werden. Erstens die Politik der Importsubstitution – die Antwort Russlands auf die Wirtschaftssanktionen des Westens. Das bedeutet, dass das Land großflächig versucht, westliche Industrieprodukte durch Eigenproduktion oder Importe aus Ländern zu ersetzen, die sich den westlichen Sanktionen nicht angeschlossen haben. Das sind vorwiegend asiatische Länder.

Und zweitens die aktuellen Zahlungsschwierigkeiten der öffentlichen Hand. Finanzielle Unterstützung von Abfallwirtschaftsprojekten hätte eigentlich eine Ende 2014 verabschiedete Gesetzesnovelle bringen sollen. Diese regelt die Entsorgung der Siedlungsabfälle in der Russischen Föderation komplett neu. Unter anderem werden Warenhersteller und –importeure laut gtai dazu verpflichtet, eine Umweltabgabe in Höhe von 1,5 bis 4,5 Prozent vom Warenwert zu entrichten oder alternativ ein eigenes System der Rückführung und Entsorgung zu implementieren beziehungsweise eine spezialisierte Firma damit zu beauftragen. Damit sollten russlandweit Gelder für Entsorgungs- und Verwertungsprojekte bereitgestellt werden.

Doch die Abgabe wurde wegen der aktuellen wirtschaftlichen Problematik bis zum Jahr 2019 verschoben. „Das Finanzministerium hatte in seiner Budgetplanung für 2015 schon vorab eine Gesamteinnahme von 30 Milliarden Rubel aus dieser neuen Abgabe vorgesehen. Je nach Wechselkurs sind das immerhin 400 bis 450 Millionen Euro, die jetzt nicht mehr für Projekte im Abfallbereich zur Verfügung stehen“, bedauert Flasshoff.

Nach Einschätzung des VDMA gibt es dennoch Grund, zuversichtlich zu sein. „Grundsätzlich haben die deutschen Hersteller der Abfall- und Recyclingtechnik einen sehr guten Ruf bei den russischen Entscheidungsträgern“, betont VDMA-Referent Rottnick. Gerade in den Bereichen Zuverlässigkeit, Langlebigkeit und Service hätten die deutschen Hersteller einen großen Vorsprung gegenüber dem asiatischen Wettbewerb. Nur die aktuelle Lage in Russland sei eben schwierig. „In Zeiten von Wirtschaftskrise und Sanktionen werden derzeit nur sehr wenige Projekte ausgeschrieben und letztendlich vergeben.“

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