Stahlproduktion in Deutschland
Chinesischer Billigstahl, eine schwache EU-Außenhandelspolitik, härtere Klimaauflagen: Die Stahlproduktion könnte künftig aus Europa verdrängt werden, warnen Experten. Auch in Deutschland wächst der Druck für Stahlproduzenten.
Druck auf die Stahlindustrie wächst
Gleich zu Beginn machte Hans Jürgen Kerkhoff deutlich, wie es derzeit um die Branche steht: „Wir erleben dramatische Verwerfungen auf den internationalen Stahlmärkten“, sagte der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl beim Pressegespräch anlässlich der Jahrestagung der Stahlindustrie in Düsseldorf. Auf Dauer, so Kerkhoff, „kann sich auch die Stahlindustrie in Deutschland nicht dem immer schärfer werdenden globalen Gegenwind entziehen“.
Noch lässt sich der Ernst der Lage an den aktuellen Zahlen der WV Stahl nicht ablesen. So lag die Rohstahlproduktion in den ersten zehn Monaten 0,3 Prozent über dem Vorjahresniveau. Die Elektrostahlproduktion hingegen ist in den ersten neun Monaten um 3,5 Prozent gesunken. Insgesamt beläuft sich die Kapazitätsauslastung der Stahlwerke auf 88 Prozent.
Aber der Druck auf die deutschen Produzenten wächst. So ist der Auftragseingang im bisherigen Jahresverlauf um 5 Prozent und im im dritten Quartal sogar um 11 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurückgegangen. Die Ursachen sieht der WV Stahl-Präsident vor allem in der Flut chinesischer Stahlausfuhren. „Trotz wachsender Verluste der chinesischen Stahlindustrie klettern die Stahlexporte aus China auf immer absurder werdende Höhen an. Im September erreichten sie auf das Jahr hochgerechnet ein neues Rekordniveau von 134 Millionen Tonnen“, erläuterte Kerkhoff. Damit komme inzwischen jede dritte Tonne, die weltweit exportiert wird, aus dem Reich der Mitte.
Ein Problem, das sich im kommenden Jahr noch verschlimmern dürfte. Die WV Stahl erwartet, dass sich die Überkapazitäten in den chinesischen Stahlwerken von aktuell 381 Millionen Tonnen um weitere 30 Millionen Tonnen auf rund 410 Millionen Tonnen erhöhen werden. Dies reiche aus, um die Stahlnachfrage in der gesamten OECD zu bedienen.
„EU ist zu schwerfällig“
Kerkhoff fordert deshalb Gegenmaßnahmen. Die EU Handelsschutz-Verfahren müsste konsequenter angewendet und schneller durchgeführt werden, sagte er. Gegen unfaire Einfuhren setzt die Europäische Union bisher auf Antidumping- und Antisubventionsmaßnahmen. Dieses Instrumentarium sei jedoch „in der EU im Vergleich zu anderen Ländern deutlich zu schwerfällig“, so Kerkhoff.
So dauere es häufig anderthalb Jahre, bis über Handelsklagen entschieden werde. Das sei mehr als doppelt so lange wie in den Vereinigten Staaten. Dort seien zudem die Anzahl der laufenden Maßnahmen sowie die Höhe der durchschnittlichen Zölle wesentlich höher als in der EU. Sollte das EU-Antidumping-Instrumentarium nicht verbessert werden, befürchtet die Wirtschaftsvereinigung Stahl für die deutsche Stahlindustrie eine ähnliche Entwicklung wie in Großbritannien.
Dort sind allein in den vergangenen vier Wochen umfangreiche Kapazitätsstilllegungen angekündigt worden. Die Folge wird ein Verlust von insgesamt etwa 6.000 Arbeitsplätzen sein. Bereits Anfang Oktober berichteten britische Medien, dass der Stahlproduzent SSI UK Insolvenz angemeldet hat. Großbritanniens größter Stahlkonzern Tata Steel will angeblich 1.200 Stellen streichen.
Schwerwiegende Wettbewerbsnachteile
Einen zusätzlichen Standortnachteil gegenüber China befürchtet die WV Stahl durch die aktuelle Energie- und Klimapolitik der EU. „Vor dem Hintergrund der schwierigen Lage in der europäischen Stahlindustrie können keine weiteren Belastungen durch die Energie- und Klimapolitik verkraftet werden“, betonte Kerkhoff. Die Herstellungsprozesse der Stahlindustrie in Deutschland seien hinsichtlich des Kohlenstoffverbrauchs bereits so weit optimiert, dass sie am verfahrenstechnischen Minimum arbeiteten. Neue Verfahren hingegen bräuchten Zeit – die jedoch zunehmend knapp wird.
Denn die EU-Kommission plant die Verschärfung des Emissionsrechtehandels bereits ab 2021. „In der Folge würden für die Stahlindustrie in Deutschland im Jahr 2021 jährliche Zusatzkosten von über 600 Millionen Euro, im Jahr 2030 sogar über 900 Millionen Euro fällig“, so Kerkhoff. Schwerwiegende Wettbewerbsnachteile seien die Folge.
Auch der Bestandsschutz für Eigenstromanlagen ist laut WV Stahl durch die EU-Kommission in Gefahr. Bis zum Jahr soll die Bundesregierung die Regelung überprüfen. Die Kommission fordert künftig eine anteilige Belastung auch bestehender Eigenstromanlagen mindestens mit 20 Prozent der EEG-Umlage. „Für die Stahlindustrie drohen damit zusätzliche Kosten von rund 120 Millionen Euro im Jahr“, befürchtet die WV Stahl.
Mengenmäßige Erholung
Für das laufende Jahr 2015 geht die Wirtschaftsvereinigung Stahl davon aus, dass die Rohstahlerzeugung nicht über das Vorjahresniveau von 42,9 Millionen Tonnen hinauskommen wird. Für das kommende Jahr prognostizierte Kerkhoff in Düsseldorf allerdings eine Erholung der Stahlkonjunktur in Deutschland.
So sei das Geschäftsklima im Verarbeitenden Gewerbe zuletzt stabil geblieben und habe sich in der Automobilindustrie sogar leicht erhöht. Zudem erwarte er in den kommenden Monaten einen Aufwärtstrend in der Produktion. „Wir rechnen daher weiterhin damit, dass die Stahlnachfrage in Deutschland 2016 leicht zulegen wird“, sagte Kerkhoff abschließend.