EU-Abfallverbrennungsmärkte im Umbruch
Noch weist der britische Abfallverbrennungsmarkt die größte Dynamik innerhalb Europas auf. Hier könnten sich auch in den kommenden Jahren gute Geschäftschancen bieten. Langfristig könnte aber Frankreich zum WtE-Wachstumstreiber werden.
MVA-Märkte: Frankreich mit großem Erneuerungsbedarf
Der Markt der Abfallverbrennung läuft in Europa nur noch auf Sparflamme. Seit gut fünf Jahren sehen sich Hersteller von Verbrennungsanlagen und -technologien mit einer nachlassenden Nachfragedynamik konfrontiert. Der einzige Wachstumstreiber in den Jahren 2012 bis 2014 war Großbritannien. Das Vereinigte Königreich hat die Branche aufgefangen, als der Ausbau der Verbrennungskapazitäten in Ländern wie Deutschland oder den Niederlanden auslief.
In diesen drei Jahren dominierte Großbritannien die Kapazitätsvergabe in Europa: „Der Marktanteil bei der Kapazitätsvergabe lag bei 58 Prozent“, wie Johannes Martin, Geschäftsführer des Münchner Anlagenbauers Martin, bei der Berliner Abfallwirtschafts- und Energiekonferenz Ende Januar berichtete. Im vergangenen Jahr habe das Land rund 1,1 Millionen Jahrestonnen an Waste-to-Energy-Kapazitäten (WtE) vergeben – das ist mehr als doppelt so viel wie im Rest Europas kontrahiert wurde. Außerhalb von Großbritannien seien 2015 nur drei Vergaben von WtE-Projekten zu verzeichnen gewesen: Je eines in Frankreich, Deutschland und Polen mit insgesamt etwas weniger als 500.000 Jahrestonnen.
Kapazitätswachstum um mehr als 20 Millionen Tonnen
In Polen, Skandinavien und in der Türkei befinden sich laut Martin zwar vereinzelt Neuanlagen in konkreter Planung beziehungsweise mit zu erwartender Vergabe. Doch Großbritannien sticht auch hier deutlich hervor. „Die Zahl der Projekte für thermische Abfallbehandlungsanlagen, für die bereits Planungsgenehmigungen erteilt wurden, kumuliert sich von 2009 bis Mitte 2015 auf 44 WtE-Anlagen und ebenso viele Advanced-Conversion-Technology-Anlagen.“ Letzteren Begriff erklärt Martin vereinfacht als „eine Technologie zur thermischen Abfallbehandlung, die nicht ‚konventionelle Abfallverbrennung auf Rostfeuerungen‘ ist“.
Für die Verbrennungsbranche bieten sich daher in naher Zukunft die größten Geschäftschancen auf den britischen Inseln. Gestützt wird diese Annahme durch die Prognose der Green Investment Bank. In ihrem Marktreport „The UK residual waste market“ aus dem Jahr 2014 erwartet die Bank, dass die thermische Abfallbehandlung von 20 Prozent im Jahr 2012 bis auf 56 Prozent im Jahr 2020 steigen wird. Die zusätzlich erwartete Verbrennungskapazität werde im selben Zeitraum um mindestens 22,4 Millionen Jahrestonnen steigen. Im günstigsten Fall soll die Kapazität sogar um 26,5 Millionen Jahrestonnen anwachsen.
Zweifelhafte Technologien
Dennoch scheint ein allzu großer Optimismus nicht angebracht zu sein. „Denn auch in Großbritannien sind deutliche Marktveränderungen spürbar“, erklärte Martin. „Seit 2015 stagniert der Markt.“ Es gebe zwar noch ausreichend Abfälle, die moderner Behandlungsmethoden bedürfen, und viele Projekte, welche einer abschließenden Entwicklung bedürfen. Allerdings setze die Politik derzeit stark auf neue Technologien, sprich auf ACT-Technologien (ACT: Advanced-Conversion-Technology), und weniger auf die etablierten Abfallverbrennungsmethoden.
„Aktuell gibt es 54 ACT-Projekte mit einer Gesamtkapazität von 6,6 Millionen Jahrestonnen“, sagt Martin. Sieben davon befänden sich im Bau, drei hätten bereits den Betrieb aufgenommen. Diese Anlagen hätten eine Gesamtkapazität von 1,284 Millionen Tonnen respektive von 150.000 Jahrestonnen. Eine Anlage mit einer Kapazität von 60.000 Jahrestonnen sei bereits wieder stillgelegt worden.
Die Hälfte der zehn im Bau oder Betrieb befindlichen ACT-Projekte basieren auf der Technologie der Gasification, in drei Anlagen kommt die Pyrolyse zum Einsatz und in zwei Anlagen Plasma-Technologie. „50 Prozent der ACT-Durchsatzleistung soll von nur einer Plasma-Vergasungsanlage behandelt werden“, wie Martin betont. Auch die ACT-Projekte mit eingereichter oder bereits erteilter Planungsgenehmigung basieren zu einem Großteil auf Vergasungstechnologien, nämlich zu rund 70 Prozent, beziehungsweise bezogen auf die Kapazität zu 76 Prozent.
Nach Martins Einschätzung sind Vergasungs- oder Entgasungsverfahren für Haushaltsabfälle eigentlich unnötig. „Es gibt zahlreiche Ver- und Entgasungsverfahren auf dem Markt, die schlichtweg nicht funktionieren – zumindest mit Haushaltsabfällen. Die meisten Verfahren erlauben nur geringe Einheitengrößen. Zudem ist das Betreiber- und Anlagenbauerrisiko erhöht und die Bereitschaft von Kapitalgebern zur Finanzierung nur sehr gering. Nicht zuletzt sind die Folgekosten einer Vergasungs-/Entgasungsanlage gegenüber konventionellen Verbrennungsanlagen oft deutlich erhöht – auch wenn manchmal der Invest geringer ausfällt.“
Französischer Markt bietet langfristig große Chancen
Vielversprechender als der WtE-Markt in Großbritannien könnte auf lange Sicht der französische Markt werden. Denn dort bietet sich im kommenden Jahrzehnt ein großes Erneuerungspotenzial, da der bestehende Anlagenbestand in die Jahre kommt. „Im Jahr 2023 werden 62 Prozent des französischen Hausmülls in 82 Anlagen verbrannt, die älter als 30 Jahre sind. 37 Prozent werden in 36 Anlagen verbrannt, die älter als 40 Jahre sind“, sagt Martin.
Um den Status quo zu erhalten, müssten jährlich 500.000 bis 850.000 Tonnen Verbrennungskapazität ersetzt werden. Und das nicht nur wegen des fortgeschrittenen Alters der Anlagen. „Die Mehrzahl der Anlagen erreicht die R1-Kennzahl nicht“, betont Martin. Mit der R1-Formel wird die Energieeffizienz einer Siedlungsabfallverbrennungsanlage berechnet und ist das unabdingbare Kriterium für die Einstufung als Verwertungsanlage.
Weltweit teuerste WtE-Anlage entsteht in Hongkong
Der mit Abstand größte Markt für WtE ist aber nach wie vor außerhalb Europas zu finden, und zwar in China. Hier ist ein dynamisches Marktgeschehen zu verzeichnen, mit vielen Vergaben und neuen Projekten. „Derzeit sind circa 120 Müllverbrennungsanlagen (MVA) im Bau, darüber hinaus sind rund 100 MVA-Projekte in Verhandlung beziehungsweise vor der Vergabe“, berichtet Martin. Zusätzliche 25 bis 30 Projekte befänden sich in konkreter Vorbereitung zur Ausschreibung.
Klingt ausgesprochen verlockend, allerdings bleiben diese Projekt für ausländische Anbieter wohl außer Reichweite. Das bestätigt auch Martin: „Diese Projekte sind weitestgehend nur für lokale Anbieter erreichbar. Ausländische Anbieter nehmen als Lizenzgeber am Marktgeschehen teil oder liefern bei den wenigen ‚international‘ ausgeschriebenen Projekten einzelne Komponenten.“
Eine Ausnahme ist Hongkong. Hier läuft derzeit die Präqualifikation für ein Großprojekt, an dem auch nicht-chinesische Unternehmen in größerem Umfang beteiligt sind. „Das Projekt wird die teuerste WtE-Anlage, die jemals realisiert wurde“, betont Martin. Das Budget soll sich 2,3 Milliarden Euro belaufen, wovon zwischen 700 und 800 Millionen Euro für den 15-jährigen Betrieb eingeplant sind. Die extremen Baukosten erklären sich wegen der Lage der Anlage auf einer künstlichen Insel. Mit dem Bau soll Ende 2017 begonnen werden, Mitte 2023 soll die Anlage den Betrieb aufnehmen. Laut Martin sollen im Vierschichtbetrieb pro Tag 3.000 Tonnen Siedlungsabfälle energetisch verwertet werden.