Kapitalströme werden umgelenkt
Prognosen zufolge wird China in den kommenden Jahren Hunderte Milliarden Dollar im Ausland investieren. Europa ist zu einer der Haupt-Zielregionen geworden. Deutsche Technik ist besonders gefragt.
Chinesische Investoren zielen auf Europa
Chinesische Direktinvestitionen in Europa wachsen weiter rasant. Zu Jahresbeginn schwappte eine neue Welle chinesischen Kapitals nach Europa: Allein in den vergangenen Wochen wurde eine Reihe chinesischer Übernahmen bekannt, die vom Aufkauf des schweizerischen Agrarkonzerns Syngenta bis zum Erwerb des MVA-Betreibers Energy from Waste EEW reichen. Bei der Übernahme Syngentas durch das chinesische Staatsunternehmen ChemChina handelt es sich um die bislang größte Auslandsinvestition eines chinesischen Unternehmens, die mit 43 Milliarden US-Dollar zu Buche schlagen wird. Für EEW zahlte der chinesische Staatskonzern Beijing Enterprises 1,44 Milliarden Euro.
Im vergangenen Jahr hatten chinesische Übernahmen in Europa mit einem Volumen von rund 20 Milliarden Euro einen neuen Rekord erreicht. Dies entspricht einer Steigerung um 44 Prozent im Vergleich zu 2014, rechnet das Mercator Institute for China Studies (MERICS) vor. China sei zu einer treibenden Kraft globaler Kapitalströme geworden und gehöre schon heute zu den drei größten Auslandsinvestoren weltweit, wie die beiden Institutsvertreter Thilo Hanemann und Mikko Huotari bei ihrer Analyse der neuesten Trends chinesischer Direktinvestitionen in Deutschland und der EU feststellen.
Europa als Haupt-Zielregion
Allein in den kommenden fünf Jahren wird China hunderte von Milliarden US-Dollar im Ausland investieren, schätzen Marktbeobachter. Laut Merics ist Europa zu einer der Haupt-Zielregionen geworden, da chinesische Investoren sich zunehmend von Entwicklungs- und Schwellenländern in Richtung Industrieländer orientieren. Der enorme Zuwachs von Investitionen in Europa um 44 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gehe größtenteils auf die Übernahme des italienischen Reifenherstellers Pirelli durch ChemChina (7 Milliarden Euro) zurück. In den vergangenen fünf Jahren habe China durchschnittlich 10 Milliarden Euro pro Jahr in Europa investiert. In den fünf Jahren zuvor beliefen sich die Investitionen noch auf 1 Milliarde Euro.
Dies unterstreiche, dass es sich nicht nur um einen vorübergehenden Trend handelt, schreiben die beiden Merics-Autoren. Die Auslandsinvestitionen spiegelten im vergangenen Jahr eine vielfältige Mischung wider – von Technologie über Dienstleistungen bis zu Marken und Konsumgütern. Laut Merics machten die Investitionen in den Automobilsektor den größten Anteil aus, gefolgt von Immobilien, Hotels, IT und Finanzdienstleistungen. Auffällig sei, dass chinesische Investitionen insbesondere auch in den Bereichen ansteigen, die in China für ausländische Investoren nicht frei zugänglich sind, wie z.B. der Finanzsektor. Dies sollte die EU-Regierungen darin bestärken, gleiche Bedingungen für den Marktzugang in China zu fordern, so die Autoren der Studie.
Konstanter Kapitalfluss nach Deutschland
Der Großteil aller chinesischen Investitionen innerhalb Europas floss 2015 nach Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Diese Länder verzeichneten in den vergangenen fünf Jahren durchschnittlich vier bis acht Milliarden Euro pro Jahr, so Merics. Deutschland verzeichnete in den zurückliegenden fünf Jahren von allen EU-Staaten den konstantesten Zustrom von chinesischem Kapital. Im vergangenen Jahr sank der Wert leicht auf 1,2 Milliarden Euro (2014: 1,4 Milliarden Euro), doch Deutschland hat laut Merics nichts von seiner Anziehungskraft auf chinesische Investoren verloren.
So zogen allein die deutsche Automobilindustrie und die Industrie- und Anlagentechnik im vergangenen Jahr 400 Millionen Euro an. Zu den größten Deals gehörte die Übernahme des Automobilzulieferers WEGU Holding and Quin sowie Weichais erneute Steigerung seiner Anteile an KION. Auffallend sei dabei, dass Deutschland zunehmend attraktiv ist für chinesische Finanzinvestoren, betont Merics. 2015 erwarb der Staatsfond CIC einen Anteil an Deutschlands größtem Tankstellenanbieter Tank und Rast, und die Fosun-Gruppe investierte in KTG Agrar. Rekord-Investitionsprojekte in den Maschinenbauer Krauss Maffei, den Finanzanbieter Hauck & Aufhaeuser sowie in das Umwelttechnologie-Unternehmen EEW Energy sind ebenfalls in trocken Tüchern. Die Autoren rechnen damit, dass Deutschland auch künftig von der chinesischen Investitionswelle profitieren wird. Dies gelte insbesondere angesichts der Unterstützung durch die chinesische Regierung und des Ausbaus von Finanzierungsinstrumenten wie dem neuen „Industrie 4.0-Fonds“.