Brandbrief von Verbänden

Die schlechte Verfügbarkeit von Schiffscontainern macht der Wirtschaft immer stärker zu schaffen. Industrieverbände werfen der Schifffahrtsindustrie Versäumnisse vor. Die weist die Vorwürfe zurück.

Verzögerungen im Container-Verkehr: Industrie fürchtet um Aufschwung


Die deutsche Industrie sorgt sich angesichts starker Verspätungen in der weltweiten Containerschifffahrt um den Wirtschaftsaufschwung. „Es muss unbedingt vermieden werden, durch künstliche Engpässe der Transportkapazitäten in den maritimen Lieferketten den Hochlauf der Industrie ins Stottern zu bringen“, heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Brandbrief an die Bundesregierung. „Die seeverladende Industrie leidet seit langem unter einer rapiden Verschlechterung der Zuverlässigkeit und Qualität der Transportdienstleistungen im Container-Seeverkehr, insbesondere auf den Strecken zwischen Asien, Nordamerika und Europa.“

Konkret ist in dem Schreiben der Industrieverbände die Rede von mangelnder Verfügbarkeit von Containern, fehlenden Transportkapazitäten, unpünktlichen Schiffsankünften sowie Qualitätsdefiziten bei stark ansteigenden Transportkosten. Diese beeinträchtigten die Lieferketten und teilweise auch die Produktionsabläufe. Unterzeichnet ist das Schreiben an die Minister Peter Altmaier (CDU/Wirtschaft) und Andreas Scheuer (CSU/Verkehr) unter anderem vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sowie den Branchenverbänden der Autoindustrie, des Maschinenbaus und der Chemie.

Bei Hapag-Lloyd, mit einer Flotte von 241 Schiffen und einer Gesamttransportkapazität von 1,7 Millionen Standardcontainern (TEU) einer der weltweit wichtigsten Linienreedereien in der Containerschifffahrt, stößt der Vorstoß der Industrieverbände auf wenig Verständnis. Hapag-Lloyd spreche regelmäßig mit allen Beteiligten über die Situation. „Dabei reden wir lieber miteinander als übereinander“, sagte ein Sprecher. „Wir kennen die Herausforderungen der Industrie – und sie sind letztlich auch die unseren. Gemeinsam muss die Industrie – ob Schifffahrt, Häfen, Inlandtransporteure und Versender – an einem Strang ziehen.“ Brandbriefe seien nicht das geeignete Mittel, um die Situation zu verbessern.

Nachwirkungen von Corona

Tatsächlich stellt sich die Frage, ob der Schifffahrtsindustrie einen Vorwurf zu machen ist oder vielmehr eine Verkettung unglücklicher Umstände vorliegt. In Branchenkreisen wird auf die Corona-Pandemie verwiesen, die die Linienpläne auf den maritimen Schlagadern rund um den Globus kräftig durcheinandergewirbelt hat. Der tagelange Stau im Suezkanal – ausgelöst durch die Havarie des Containerfrachters „Ever Given“ beeinträchtigte die ohnehin angespannten Lieferketten zusätzlich.

Als neuestes Problem kam ein Corona-Ausbruch in China hinzu, der im riesigen Hafen von Yantian in der chinesischen Provinz Shenzen Reedereien zu Planänderungen zwingt. Der weltweite Branchenprimus Maersk rechnet im Hafen von Yantian beispielsweise mit Schiffsverspätungen von mehr als 16 Tagen.

Seeschiffe müssen wegen der Corona-Pandemie in Häfen ohnehin teils lange auf das Laden oder Löschen ihrer Ladung warten. Ein hohes Ladungsaufkommen führt verbunden mit einer coronabedingt geringeren Produktivität in den Häfen sowie Kapazitätsengpässen bei Bahn und Lastwagen zu teils erheblichen Verzögerungen. Als große Herausforderung der Schifffahrtsindustrie gilt zudem aktuell die Bereitstellung von genügend Containern, die wegen der gestörten Abläufe nicht immer dort zur Verfügung stehen, wo sie gebraucht werden. „Hapag-Lloyd hat in den vergangenen Monaten alles getan, um die Kapazitäten zu erhöhen – sowohl Schiffskapazitäten als auch im Hinblick auf Leercontainer“, hieß es am Donnerstag bei der Reederei.

Der BDI sieht das anders. „Auf ein zügiges Wiederhochfahren infolge einer gestiegenen Nachfrage nach Schiffsraum war der Markt augenfällig nicht vorbereitet“, kritisiert der Industrieverband in einem Positionspapier. Außerdem gebe es schon längere Zeit Defizite, „die auf ein abnehmendes Wettbewerbsniveau“ im maritimen Transportmarkt hindeuteten.

Absprachen zwischen Unternehmen, die den Wettbewerb beeinträchtigen könnten, sind durch EU-Recht im Prinzip untersagt. Ausnahmen können aber gemacht werden, wenn diese der Herstellung oder Verteilung von Gütern zum Wohle von Herstellern und Verbrauchern dienen. Die entsprechenden Spielregeln sind in einer sogenannten Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) für den Seeverkehr geregelt.

Die GVO erlaubt unter bestimmten Bedingungen beispielsweise die Abstimmung von Fahrplänen oder die gemeinsame Nutzung von Schiffen und Hafenanlagen. Ähnlich wie in der Luftfahrtindustrie gibt es auch in der Containerschifffahrt drei große globale Allianzen, in denen die größten Player kooperieren. Die Industrie fordert die Bundesregierung dazu auf, in Brüssel dafür zu sorgen, dass die EU-Regelungen zur Zusammenarbeit von Reedereien in puncto Qualität und Zuverlässigkeit nachgebessert werden.

320°/dpa/sr

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