Nachhaltiger Treibstoff

Die Airlines weltweit stehen unter Druck. Sie müssen die Weichen für mehr Klimaschutz stellen. Doch noch gibt es keinen Königsweg. Auch nachhaltig produzierter Treibstoff steht noch am Anfang der Entwicklung. Und inmitten der Lösungssuche gibt es neue Probleme – mal wieder Corona-bedingt.

„Das würde für fünf Tage reichen“


Für die Konzernchefs der großen Airlines war die Jahrestagung in Boston die erste seit dem Ausbruch der Corona-Krise. Nur langsam kommt der Luftverkehr wieder in Schwung. Einige Fluggesellschaften erreichen erst ein Fünftel des Vor-Corona-Niveaus, viele schreiben noch immer Verluste.

Doch schon erwartet die Luftfahrtbranche neue Probleme. Sollte es für Corona-Tests und andere Dokumente keine digitalen Verfahren bei der Passagierabfertigung geben, drohe ein Chaos an den Flughäfen. Vor der Pandemie hätten Reisende vor dem Abflug und nach der Ankunft im Schnitt eineinhalb Stunden in den Airports verbracht, sagte der Vizechef des Branchenverbands IATA, Conrad Clifford, bei der Tagung in Boston. Im ersten Halbjahr 2021 habe es in Spitzenzeiten bereits bis zu drei Stunden gedauert. „Und das Reiseaufkommen war gerade einmal bei 30 Prozent der Dimensionen vor Covid.“

Entsprechend könnten die Wartezeiten weiter anwachsen, wenn wieder mehr Menschen Flughäfen nutzen. „Unsere Modelle sagen vorher, dass man ohne Verbesserungen bei den Prozessen fünfeinhalb Stunden pro Reise an Flughäfen verbringen könnte“, so der IATA-Vertreter – bei 75 Prozent des Reisevolumens vor der Pandemie. Falls so viele Passagiere wie früher flögen, seien bis zu acht Stunden möglich. Neben dem zusätzlichen Aufwand für die Kontrolle von Corona-Tests seien längere Schlangen bei Passkontrollen nach der Ankunft das Problem.

Die Lösung sieht die IATA in einem bei ihr entwickelten digitalen „Travel Pass“. Die Grundidee ist, dass Passagiere Formalitäten und Kontrollen online per App erledigen können – und zwar schon, bevor sie zum Flughafen fahren. Bisher haben 76 Gesellschaften das Verfahren auf 286 Strecken getestet. Für die Einführung müsse sich aber jedes Unternehmen einzeln entscheiden, hieß es.

Staatliche Hilfen in den USA

Zugleich hat die Luftverkehrsbranche noch andere Problem zu bewältigen. Die Branche kommt nicht umhin, Weichen beim Klimaschutz zu stellen. Trotz einigen Murrens aus China gab die IATA bei der Tagung das Ziel aus, bis 2050 klimaneutral zu fliegen. Chinesische Airlines hätten das Jahr 2060 oder eine Bindung an jeweils nationale Vorgaben vorgezogen.

Flugzeuge verbrennen Kerosin, allein schon das macht das Ziel zur Herausforderung. Hinzu kommt, dass die Branche mit einem munteren Anstieg des Reiseverkehrs rechnet: von verhältnismäßig mageren gut 2 Milliarden Passagieren 2021 auf 5,6 Milliarden 2030 und über 10 Milliarden 2050. Bei heutigen Zuständen müsste sie dann für eine neutrale Klimabilanz 1,8 Gigatonnen CO2 ausgleichen, rechnete der IATA-Verantwortliche Sebastian Mikosz vor. „Der Feind sind nicht Reisen, sondern Emissionen“, gab er als Motto aus.

Die kurzfristige Lösung heißt nachhaltig produzierter Treibstoff. Prognosen zufolge sollen damit nahezu zwei Drittel der Einsparungen erzielt werden. Doch die Kapazitäten sind gering. „Der gesamte nachhaltig produzierte Treibstoff auf der Welt würde uns jetzt für fünf Tage reichen“, gab Lufthansa-Chef Carsten Spohr zu bedenken. Emirates-Chef Tim Clark verwies darauf, dass solcher Treibstoff derzeit zwei- bis dreimal so viel koste wie herkömmliches Kerosin.

In den USA können die inländischen Airlines mit staatlicher Hilfe rechnen. Die US-Regierung will 2050 genug nachhaltigen Treibstoff für den gesamten Bedarf heimischer Airlines herstellen, betonte Annie Petsonk vom Verkehrsministerium. Zugleich versicherte United-Chef Scott Kirby, sein Unternehmen werde keinen nachhaltigen Sprit verwenden, der aus Lebensmitteln wie Soja oder Getreide erzeugt wird. Grund sei die Agrarflächen-Konkurrenz von Nahrung und Energie.

Durch nachhaltig hergestellten Treibstoff können unterm Strich 80 Prozent weniger CO2-Emissionen in die Umwelt kommen. Viele Redner betonte jedoch, dass auf lange Sicht die CO2-Bilanz durch andere Maßnahmen verbessert werden müsste. Dazu gehörten das Herausziehen des Klimakillers aus der Luft oder neue Antriebstechniken.

Airbus etwa setzt große Hoffnungen in Wasserstoff, wie Konzernchef Guillaume Faury betonte. Er zeigte sich zuversichtlich, bis 2035 ein mit Wasserstoff betriebenes Flugzeug haben zu können. Der beim Konkurrenten Boeing für die Passagiersparte zuständige Stanley Deal erinnerte an die Herausforderungen der Wasserstoff-Antriebe. Unter anderen müsse man 18 Prozent mehr Treibstoff-Volumen mitnehmen und den Wasserstoff auch noch auf minus 250 Grad Celsius abkühlen.

Wegen der Klimaziele muss viel investiert werden – und das, nachdem der Verband Gesamtverluste von gut 200 Milliarden Dollar durch die Pandemie prognostizierte. Aber der Preis der Tatenlosigkeit könne noch höher sein, erklärte IATA-Verwaltungsratschef Robin Hayes – zum Beispiel, wenn man dann das Heft des Handelns an Regulierer abgeben oder die Einstellung der Verbraucher aus den Augen verlieren würde.

320°/dpa/sk

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