Gemeinsamer Appell

69 Unternehmen aus verschiedenen Sektoren fordern die neue Bundesregierung auf, ein Maßnahmenpaket für Klimaneutralität vorzulegen. Die Firmen wollen die Klimaneutralität zum Markenzeichen der deutschen Wirtschaft machen.

Klimaneutralität soll zum Markenzeichen werden


Zahlreiche deutsche Unternehmen haben von der neuen Bundesregierung deutlich mehr Tempo beim Klimaschutz verlangt. Dazu gehöre ein beschleunigter Ausbau des Ökostroms und ein Ausstieg aus der Kohleverstromung „deutlich vor 2038“. Es sei keine Zeit mehr zu verlieren, um der Erderwärmung entschlossen entgegenzutreten, heißt es in einem Schreiben, das von der Unternehmerinitiative „Stiftung zwei Grad“ initiiert und von 69 Unternehmen aus verschiedenen Sektoren unterzeichnet wurde.

Damit die Transformation Deutschlands zum klimaneutralen Industrieland bis 2045 gelinge, bräuchten Firmen „unbedingt“ politische Rahmenbedingungen, die klimafreundliche Technologien wirtschaftlich machen und langfristige Planungssicherheit bieten, fordern die Unterzeichner. Dafür müssten der Ausbau erneuerbarer Energien, der Ausbau klimafreundlicher Industrieanlagen und Verkehrsinfrastrukturen sowie die energetische Gebäudesanierung vorangetrieben werden. Der Ausbau von Schlüsseltechnologien und Infrastrukturen dürfe „nicht durch langwierige und umständliche Planungs- und Genehmigungsverfahren ausgebremst werden“.

Die neue Bundesregierung solle in den ersten 100 Tagen eine „Umsetzungsoffensive für Klimaneutralität“ vorlegen. „Der Klimaschutz war bei der Bundestagswahl das wahlentscheidende Thema und muss von den Parteien bei der Bildung einer neuen Bundesregierung ganz oben auf die Agenda gesetzt werden“, sagt Michael Otto, Präsident der Stiftung und Aufsichtsratsvorsitzender der Otto Group. „Die neue Bundesregierung muss jetzt den Rahmen setzen, damit wir als Unternehmer Klimaneutralität zum Markenzeichen der deutschen Wirtschaft machen können.“

„Ausbaupfade deutlich anheben“

Der Appell kam passend zu Beginn der vertieften Sondierungsgespräche von SPD, Grünen und FDP über eine mögliche neue Regierung. Ebenfalls am Montag haben verschiedene Forschungsinstitute – darunter das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt und diverse Fraunhofer-Institute – die Klima-Studie «Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045» vorgelegt. Darin heißt es: „Die Klimaschutz-Ziele für 2030 und 2045 sind extrem herausfordernd und können nur mit massiven Investitionen, zusätzlichen politischen Maßnahmen und Infrastrukturaufbau in allen Sektoren erreicht werden.“

Die starke Beschleunigung der Energiewende bis 2030 sei von „besonderer Relevanz“. „Ohne enorme Dekarbonisierungs- und Infrastrukturmaßnahmen in diesem Jahrzehnt werden die Klimaschutzziele für 2030 verfehlt – damit würde auch das Erreichen des Langfristziels der Klimaneutralität 2045 hochgradig unwahrscheinlich werden.“

Die Stromerzeugung aus Wind und Sonne müsste laut Studie bis 2030 etwa 50 Prozent größer sein als bislang angepeilt. Die Politik müsse die Ausbaupfade deutlich anheben und Genehmigungsverfahren beschleunigen. Wie es in der Studie weiter heißt, mache der zur Erreichung der Klimaziele notwendige CO2-Preis eine weitere Kohleverstromung zunehmend unwirtschaftlich: „Es scheint daher hochgradig unplausibel, dass bei gleichzeitiger Einhaltung der Klimaziele Kohlekraftwerke gemäß Kohleausstiegsgesetz noch über 2030 hinaus substantiell zur Stromversorgung beitragen.“ Um die Versorgungssicherheit sicherzustellen, würden zusätzliche gas- oder wasserstoffbefeuerte Spitzenlastkraftwerke benötigt.

Benzinpreis von 2,50 Euro

Als eines der größten Sorgenkinder wird der Verkehrsbereich beschrieben. Um Klimaneutralität im Jahr 2045 im Verkehr zu schaffen, ist laut Modellierung ein starkes CO2-Preissignal nötig. Im Modell liegt der CO2-Preis 2025 bei 100 Euro pro Tonne, bisher geplant ist aber nur ein Preis von 55 Euro. 2030 liegt der Modell-CO2-Preis bei 300 Euro, im Jahr 2045 dann bei 500 Euro.

„Im Modell resultierte daraus eine Erhöhung des Benzinpreises bis auf durchschnittlich 2,50 Euro im Jahr 2030“, erklärt Florian Koller vom Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Um einkommensschwache Haushalte nicht zu belasten, sollten daher die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an die privaten Haushalte zurückverteilt werden.

Darüber hinaus seien aber noch weitere Maßnahmen nötig. Koller nennt als Beispiel die Verteuerung von reinen Verbrennerfahrzeugen über ein Bonus-Malus-System. Und auch die Verschärfung von Flottengrenzwerten sei nötig. Sonst sei das Klimaziel 2030 nicht zu erreichen.

320°/dpa

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