Appell an Scholz

Mehrere Umweltverbände fordern Kanzler Scholz auf, sich einer Klage gegen die EU-Kommission anzuschließen. Damit soll verhindert werden, dass Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke als nachhaltig eingestuft werden. Ein Rechtsgutachten stützt die Verbände.

Umweltverbände: Deutschland soll gegen Taxonomie-Pläne klagen


Umweltverbände haben die Bundesregierung aufgefordert, gegen die umstrittenen Pläne der EU-Kommission für ein „grünes Label“ für Atom- und Gaskraftwerke zu klagen. In einem offenen Brief von Umwelt- und Klimaorganisationen an Kanzler Olaf Scholz (SPD) heißt es: „Schließen Sie sich der von Österreich und Luxemburg geplanten Klage gegen den Delegierten Rechtsakt vor dem Europäischen Gerichtshof an. Setzen Sie sich für eine Erweiterung der Klage auch gegen die Aufnahme von Erdgas ein.“

Der Brief ging auch an verschiedene Bundesminister. Er stammt unter anderem vom Deutschen Naturschutzring, der Deutschen Umwelthilfe, der Klima-Allianz Deutschland, dem Naturschutzbund Deutschland und dem WWF Deutschland.

In dem Schreiben begrüßen die Umweltverbände, dass die Bundesregierung die Aufnahme von Atomenergie in die Taxonomie ablehne. Zugleich fordern sie noch weitergehende Schritte. „Damit Deutschland und Europa ihre Klimaziele erreichen können, muss die Nutzung fossiler Energieträger schnellstmöglich beendet statt ausgebaut werden. Deshalb braucht es eine ebenso konsequente Ablehnung von Erdgas in der Taxonomie.“ Über diese Frage gibt es unterschiedliche Meinungen in der Koalition.

Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP ist festgehalten, dass bis zur Versorgungssicherheit durch erneuerbare Energien noch Gaskraftwerke notwendig seien. Deutschland steigt bis Ende 2022 aus der Atomkraft aus. Die Ampel will den bisher bis 2038 geplanten Kohleausstieg „idealerweise“ auf 2030 vorziehen.

Rechtsgutachten stärkt Umweltverbände

Die Umweltverbände vertreten die Ansicht, dass fossiles Gas kein nachhaltiger Energieträger sei, da entlang der Förder-, Transport- und Nutzungskette große Mengen an klimaschädlichen Treibhausgasen ausgestoßen würden. Sie fordern Scholz auf, zügig stringente Kriterien für den im Koalitionsvertrag angekündigten Zubau von Erdgas-Kraftwerken auf nationaler Ebene zu erarbeiten: „Diese Kriterien müssen weitaus strenger ausfallen als die Vorschläge der EU-Kommission und verbindlich regeln, dass neue Gasturbinen und gasbetriebene Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen ausschließlich in zeitlich eng begrenztem Umfang und zur Absicherung von Engpässen bis zur raschen Vollversorgung mit erneuerbaren Energien genehmigungsfähig sind.“

Unterstützung bekommen die Umweltschützer von einem Rechtsgutachten, das die Deutsche Umwelthilfe in Auftrag gegeben und am Montag veröffentlicht hat. Danach sind die von der EU-Kommission vorgelegten Regelungen für den Neubau fossiler Gaskraftwerke nicht mit den Vorgaben aus dem europäischen Recht sowie mit dem Vorsorgeprinzip aus den europäischen Verträgen vereinbar. Die Umwelthilfe verweist zum einen auf das Klimaurteil aus dem vergangenen Jahr, wonach künftige Grundrechtseinschränkungen durch zu hohe Treibhausgasemissionen vermieden werden müssen. Genau das könnten die Regelungen zur Aufnahme von neuen Gaskraftwerken als grüne Technologie aber bewirken, warnt der Umweltverband.

Zum anderen habe das Bundesverfassungsgericht bereits 2016 in einem Urteil zum Atomausstieg klargestellt, dass eine Beschleunigung des Atomausstiegs dem Schutz der Lebensgrundlagen künftiger Generationen diene. „Dem widersprechen die Regelungen in der Taxonomie, die sogar Laufzeitverlängerungen alter grenznaher Meiler im Ausland zulassen würden“, so die Umwelthilfe. „Darüber hinaus fehlt den vorgelegten Regelungen die Rechtsgrundlage: Laut Taxonomie-Verordnung ist die Frist für den Erlass eines delegierten Rechtsakts bereits abgelaufen.“

„Der Handlungsauftrag aus dem Grundgesetz an Bundeskanzler Olaf Scholz ist klar: Er muss die rechtswidrige Aufnahme von Atom und fossilem Gas in die EU-Taxonomie ablehnen“, betont Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH. „Eine Enthaltung Deutschlands bei dieser wichtigen Abstimmung im Europäischen Rat kommt nicht in Frage. Die Bundesregierung steht beim Atomausstieg in einer besonderen Verantwortung. Dieser wird in 2022 mit der Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland vollendet. Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn im selben Jahr ein sozialdemokratischer Kanzler der Atomkraft ein grünes Mäntelchen umhängen würde.“

320°/dpa

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