Mündliche Verhandlung

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat die in Tübingen eingeführte Verpackungssteuer für unwirksam erklärt. Oberbürgermeister Palmer erwägt, in die Revision zu gehen. Der VKU fordert eine bundesweite Lösung.

Gericht erklärt Tübinger Verpackungssteuer für unwirksam


Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat die in Tübingen eingeführte Verpackungssteuer für unwirksam erklärt. Die Klage einer Inhaberin einer McDonalds-Filiale war damit erfolgreich, wie ein Sprecher am Mittwoch in Mannheim mitteilte. Es wurde Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.

Die Begründung des Urteils liegt noch nicht vor. Sie soll voraussichtlich im April bekannt gegeben werden. Die Entscheidung der Richter erging im Anschluss an die mündliche Verhandlung vor dem Gericht am Dienstag.

Der Vorsitzende Richter hatte am gestrigen Verhandlungstag erklärt, dass hauptsächlich die Frage zu klären sei, ob durch die Verpackungssteuer eine örtliche Verbrauchssteuer vorliege. Solche Steuern könnten nur dann erhoben werden, wenn sie nicht gegen bundesrechtliche Regelungen verstoßen. Die Stadt Kassel hatte im Jahr 1991 eine ähnliche Steuer erlassen, diese war aber im Jahr 1998 vom Bundesverfassungsgericht gekippt worden, mit eben jener Begründung, sie verstoße gegen Bundesrecht.

„Selbstbetrugsveranstaltung“

Die Verpackungssteuer in Tübingen gilt seit Jahresanfang. Sie bezieht sich auf Einweggeschirr und Coffee-to-go-Becher: Für jeden Einweggetränkebehälter sowie für Einweggeschirr und -speiseverpackungen sind 50 Cent fällig. Für jedes Einwegbesteck-Set 20 Cent. Pro Einzelmahlzeit werden maximal 1,50 Euro kassiert. Die Steuern müssen die Verkaufsstellen zahlen, die in den Einwegverpackungen Speisen und Getränke für den sofortigen Verzehr oder zum Mitnehmen ausgeben. Etwa 440 Betriebe beteiligen sich.

Gegen die Verpackungssteuer geklagt hatte die Inhaberin einer Tübinger Filiale von McDonalds. Begründung. Die Filialbetreiberin argumentierte, dass sie bereits Lizenzgebühren zahle für ihre Beteiligung am Dualen System. Die Verpackungssteuer führe zu einer zusätzlichen, erheblichen Belastung. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) meinte, das Duale System sei eine „Selbstbetrugsveranstaltung“ und sei keine echte Verwertung.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte am Dienstag vor dem VGH gegen die Klage protestiert. DUH-Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz forderte die Klägerin auf, die Klage zurückzunehmen. „Wir glauben, dass die Verpackungssteuer Müll massiv reduzieren kann. Es ist erschreckend, dass McDonalds da nicht mitmacht“, sagte Metz. McDonalds verursache in Deutschland 51.000 Tonnen Müll pro Jahr. Dies seien 2.200 Müllwagen. Die DUH überreichte der Klägerseite eine Petition mit rund 92.000 Unterschriften mit dem Ziel, die Klage zurückzuziehen.

Die DUH sieht die Tübinger Verpackungssteuer als Erfolgsmodell, das deutschlandweit Einzug halten sollte. Laut Palmer gab es in der Stadt eine zunehmende Vermüllung durch Einwegverpackungen. Seit Einführung der Steuer hätten die ausufernden Müllberge deutlich abgenommen. Nach einer Mitteilung der Stadt von Anfang Februar wurden im Januar 2022 rund 30,74 Tonnen Abfall im gesamten Tübinger Stadtgebiet entsorgt. Das seien zwischen fünf und 15 Prozent weniger als im entsprechenden Vorjahreszeitraum.

VKU fordert bundesweite Lösung

Tübingens Oberbürgermeister Palmer bedauerte die Entscheidung. Die Steuer funktioniere in der Praxis, sagte er. Überall in Tübingen breiteten sich Mehrweg-Konzepte aus, die Stadt werde sauberer. Der Gemeinderat solle nun entscheiden, ob die Stadt das Urteil annehme oder vor dem Bundesverwaltungsgericht in Revision gehe. Die Verpackungssteuer sei nicht außer Kraft gesetzt, bevor das Urteil rechtskräftig werde, betonte Palmer. Gehe die Stadt in Revision, gelte die Regelung bis zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts weiter.

Der Kommunalverband VKU bedauert das Gerichtsurteil ebenfalls. Allerdings hatte der Verband bereits in der Vergangenheit die Befürchtung geäußert, dass die Tübinger Lösung in der Praxis zu einem Flickenteppich unterschiedlicher kommunaler Steuersatzungen geführt hätte. „Wir würden daher gerade jetzt eine bundesweite Lösung begrüßen, wie sie das Umweltministerium mit dem Gesetz für einen Einwegkunststofffonds in der letzten Woche vorgelegt hat“, erklärt der Verband.

Ein bundesweiter Einwegkunststofffonds habe den Vorteil, dass die finanzielle Beteiligung der Hersteller an den Reinigungskosten gezielt denjenigen zugutekomme, die vor Ort die Reinigungsleistungen erbringen. „Littering ist ein bundesweites Problem und sollte daher auch vom Bundesgesetzgeber angepackt werden“, so der VKU. „Wichtig ist es natürlich nun, dass der Einwegkunststofffonds ab 2023 auch ausreichend von den Herstellern finanziert wird.“

320°/dpa/re

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