Sorge vor Engpässen

Es ist ein Dilemma: Stoppt Deutschland Gaslieferungen aus Russland, hat das schwere Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft. Die Kunststoffindustrie macht da keine Ausnahme. Eine Lösung könnte mehr Recycling sein – doch auch die Recycler ächzen unter der momentanen Lage.

„Wir hängen mittel- und unmittelbar am Gas“


Der mögliche Stopp von Gaslieferungen aus Russland hätte auch für die Kunststoffindustrie in Nordrhein-Westfalen schwerwiegende Folgen. „Wenn die Versorgungssituation dazu führen würde, dass hier Anlagen stillstehen, hätte das Konsequenzen für alle, die in der Prozesskette folgen“, warnt Ron Brinitzer, Geschäftsführer beim Netzwerk Kunststoffland NRW, das die Interessen der Unternehmen vertritt. „Die gesamte Wertschöpfungskette, die aus vielen mittelständischen Verarbeitern, Maschinenbauern und Dienstleistern sowie am Ende Recyclern besteht – hängt unmittelbar oder mittelbar am Gas.“

Mit über 1.000 Unternehmen, mehr als 145.000 Beschäftigten und rund 37 Milliarden Euro Umsatz ist NRW nach Verbandsangaben der Kunststoffstandort Nr. 1 in Europa. Ausfälle in der Branche hätten schwere ökonomische und soziale Konsequenzen. Das Netzwerk appelliert daher an die Verantwortlichen, mögliche Schritte sehr genau abzuwägen. „Eine Versorgung insbesondere der chemischen Industrie müsse auf jeden Fall sichergestellt werden“, so der Verband.

Alternativen müssen her – nur welche?

Unstrittig ist laut Netzwerk, dass Alternativen zu russischem Gas gefunden werden müssen – allerdings sei Gas für die chemische Industrie und insbesondere für die Produktion von Basischemikalien ein wesentlicher Bestandteil und daher, wenn überhaupt, nur langfristig eingeschränkt substituierbar.

Auswege bestünden darin, die Versorgung über andere Lieferanten abzuwickeln und auf verflüssigtes Erdgas LNG umzusteigen. Ebenso müssten die erneuerbaren Energien weiter ausgebaut werden, damit grüner Wasserstoff nicht nur eine theoretische Option bleibe.

Eine kurzfristigere Lösung sei, das Recycling von Kunststoffabfällen zu intensivieren. „Jeder Joghurtbecher ist Rohstoff und mindert unsere Abhängigkeiten von Rohstoffimporten, wenn es gelingt, ihn wiederzuverwerten“, sagt Brinitzer.

90 Prozent teurere Ballenware

Die Kunststoffrecycler stecken allerdings selbst in Schwierigkeiten. Neben den steigenden Energiekosten macht ihnen auch die Verteuerung bei Ballenware zu schaffen, erklärt der Entsorgerverband bvse. Um bis zu 90 Prozent hätten sich die Preise für die Ballen im Vergleich zu September 2021 erhöht.

Betroffen seien vor allem die Recyclingunternehmen, die formstabiles PP und HDPE aufbereiten. „Es gelingt den Recyclingunternehmen nicht mehr vollumfänglich, diese Kosten weiterzugeben, da manche Kunden die eigentlich notwendigen Preiserhöhungen nicht verkraften“, sagt Dirk Textor, Vorsitzender des bvse-Fachverbandes Kunststoffrecycling. „Das lässt die zum Teil knappen Margen wie Schnee in der Sonne schmelzen.“

„Wir befürchten, dass diese Entwicklung, die bisher vor allem die PP und HDPE-Aufbereiter trifft, erst der Anfang ist“, so Textor. Je länger diese Situation andauere, desto stärker gerate der Mittelstand unter Druck.

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