Mangel an Kohlensäure

Wegen der hohen Energiepreise sinkt die Düngemittelproduktion und damit die Herstellung von CO2. Die Folge: Die Getränkeindustrie hat weniger Kohlensäure zur Verfügung. Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger sucht nach Alternativen.

Aiwanger will CO2 von Zementwerken für Brauereien nutzen


Als Reaktion auf den sich zuspitzenden Mangel an Kohlensäure will Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger Kohlenstoffdioxid (CO2) aus Zementwerken als Rohstoffquelle für Brauereien nutzen. Es gebe auch in Bayern Werke, die bisher jährlich hunderttausende Tonnen CO2 über die Schornsteine als Abfallprodukte in die Luft abgäben, betonte der Freie-Wähler-Chef nach der Kabinettssitzung am Montag in München.

Um die Möglichkeiten der CO2-Abscheidung zur weiteren Verwendung, wie beispielsweise in der Getränkeindustrie, auszuloten, steht Aiwanger dem Ministerium zufolge im engen Austausch mit bayerischen Zementwerken. Es gebe zudem Pilotprojekte, bei denen pro Tag rund zwei Tonnen Kohlendioxid abgeschieden und umgewandelt würden.

Weniger Düngemittel gleich weniger Kohlensäure

Der Grund für den aktuellen CO2-Mangel liegt in der Düngemittelindustrie. Weil die energieintensive Herstellung von Düngemitteln, bei der Kohlendioxid als Nebenprodukt entsteht, eingeschränkt wurde, sind nach Schätzungen der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie nur noch 30 bis 40 Prozent der üblichen CO2-Liefermengen verfügbar. Immer mehr Unternehmen der Getränkewirtschaft müssen daher ihre Produktion einschränken.

Kohlensäure wird in der gesamten Ernährungsindustrie für Produktions- und Verpackungsprozesse dringend gebraucht. Sie ist auch in der Gastronomie nötig, um Bier und andere Getränke beim Zapfen aus den Fässern zu drücken. Kohlensäure entsteht durch die Reaktion von Kohlendioxid und Wasser. Brauereien brauchen sie vor allem, um Tanks, Flaschen und Fässer „vorzuspannen“, damit das Bier beim Füllen nicht mit Luft in Kontakt kommt und beim Abfüllen nicht schäumt. Viele Brauereien stellen auch alkoholfreie Getränke her, für die umso mehr Kohlensäure nötig ist.

Nicht zuletzt haben auch Mineralwasserhersteller ernsthafte Probleme. „An einzelnen Stellen wurde die Produktion schon zurückgefahren“, sagt der Sprecher der Genossenschaft Deutscher Brunnen, Tobias Bielenstein. Viele Hersteller bekämen zurzeit weniger CO2, als sie bestellt haben, weil Hersteller von Düngemittel ihre Produktion zurückgefahren hätten.

Früher habe es im Sommer, wenn weniger Dünger hergestellt werde, immer mal Phasen mit Engpässen bei Kohlensäure gegeben, erklärt Bielenstein. Aber diesmal sei es deutlich schlimmer. „Wenn das so weitergeht in den nächsten Wochen, dann spitzt sich die Lage zu“, warnt der Verbandssprecher. „Dann sind weitere Produktionsrückgänge zu erwarten. So eine Situation haben wir noch nie gehabt.“

Kohlensäuremangel trifft nicht alle gleich

Der Geschäftsführer der Augsburger Brauerei Riegele, Sebastian Priller, sagt, die Situation habe sich seit Beginn des Sommers deutlich verschärft. „Wir gehen auch davon aus, dass es eher schlechter als besser wird.“ Solange die Energiekosten hoch blieben oder noch steigen sollten, werde es zu einer weiteren Verknappung kommen.

Die Aktienbrauerei Kaufbeuren hat die Produktion schon eingeschränkt. „Seit vergangener Woche stellen wir keine Limonade mehr her“, sagt Geschäftsführer Gottfried Csauth. „Weil Limonade sehr viel Kohlensäure braucht und wir nur noch geringe Mengen hatten, ging es nicht anders.“ Csauth rechnet nicht damit, dass sich die Lage bald bessert. Die Bierproduktion läuft aber weiter – trotz erheblicher Kostensteigerungen.

Der Kohlensäuremangel trifft nicht alle gleich: Die zum Oetker-Konzern gehörende Radeberger-Gruppe mit Biermarken wie Jever, Clausthaler oder Schöfferhofer sieht noch keine Probleme: „Da wir vornehmlich Gärungskohlensäure aus unserer eigenen Produktion in unseren Brauereien einsetzen, sehen wir kurzfristig kein Ausfallpotenzial.“

Auch bei den Mineralwasserherstellern müssen sich manche keine Sorgen machen: „Bei der Abfüllung des Gerolsteiner Mineralwassers setzen wir ausschließlich natürliche Quellkohlensäure ein“, sagt Ulrich Rust aus der Geschäftsführung der Gerolsteiner Brunnen. Das Unternehmen sei nicht von Lieferengpässen betroffen.

Täglich neue Hilferufe

Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes, sieht die Gefahr, dass die Situation noch schlimmer wird. Vor allem bei der Herstellung von Erfrischungsgetränken und Wasser sei zu befürchten, dass durch den zunehmenden Mangel an Kohlensäure die Produktion und Abfüllung immer häufiger unterbrochen werden müsse.

„Uns erreichen täglich neue Hilferufe aus der Branche“, sagt er. Die Bundesregierung müsse dringend Maßnahmen ergreifen, um eine bevorzugte Belieferung der kritischen Infrastruktur der Ernährungsindustrie mit bezahlbarem Kohlendioxid sicherzustellen. „Und wir brauchen wirksame Schritte, um die eigentliche Ursache des CO2-Engpasses zu beseitigen – die explodierenden Energiepreise.“

320°/dpa/re

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