Konjunktur

Die Prognose ist düster: Führende Wirtschaftsforscher erwarten mit der schrumpfenden Wirtschaftsleistung auch herbe Wohlstandsverluste in Deutschland - und dies nicht nur vorübergehend.

Deutschland steuert in Rezession: „Das wird uns länger beschäftigen“


Deutschland steuert nach Einschätzung führender Wirtschaftsforschungsinstitute direkt in eine Rezession – mit Wohlstandsverlusten und heftigen Folgen für Verbraucher. „Der Wohlstandsverlust durch den Abfluss von Einkommen durch die höheren Energiepreise wird auch längerfristig Bestand haben“, sagte Wirtschaftsforscher Torsten Schmidt vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung am Donnerstag in Berlin. „Das ist kein vorübergehendes Phänomen, das wird uns länger beschäftigen.“

In ihrem Herbstgutachten sagen die Wirtschaftsforscher mehrerer Institute eine Rezession für Deutschland voraus: Drei Quartale hintereinander werde die Wirtschaft schrumpfen, im zu Ende gehenden Sommerquartal, im Herbst und Anfang 2023. Für das Gesamtjahr 2022 rechnen die Experten wegen des besseren ersten Halbjahrs noch mit einem kleinen Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent, für 2023 sagen sie dann einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent voraus.

„Die Hauptbelastung findet derzeit bei den privaten Haushalten statt, die einen massiven Kaufkraftverlust hinnehmen müssen. Und der wird sich im Laufe des nächsten Jahres noch verstärken“, sagte Schmidt. Die meisten Unternehmen dagegen könnten die Energiepreisschocks bislang noch recht gut verkraften.

„Kein vorübergehendes Phänomen“: Wirtschaftsforscher Torsten Schmidt bei der Vorstellung des Herbstgutachtens. (Foto: picture alliance / Flashpic | Jens Krick)

Damit bewerten die Forscher die wirtschaftliche Lage deutlich schlechter als noch im Frühjahr. Ihre Prognose für 2022 halbieren sie nahezu. Im April hatten sie noch mit einem Wachstum der deutschen Wirtschaft von 2,7 Prozent im laufenden Jahr und von 3,1 Prozent im kommenden Jahr gerechnet. Erst für 2024 erwarten die Forscher eine nachlassende Spannung auf den Energiemärkten und damit auch eine wirtschaftliche Erholung.

Die Gaspreise seien der entscheidende Faktor, der die deutsche Wirtschaft in die Rezession treiben werde. Und die Spitze sei hier noch nicht erreicht, hieß es. Die höchsten Energiepreise für Verbraucher würden Mitte des kommenden Jahres erwartet. „Das heißt, dieser Schock, der derzeit die Wirtschaft getroffen hat, der wird noch sehr lange fortwirken“, sagte Schmidt.

Mit einem Gasmangel rechnen die Institute dagegen derzeit nicht. „Im Mittel ist keine Gasknappheit in Deutschland zu erwarten im kommenden Winter“, sagte Schmidt. Die Versorgungslage bleibe aber äußerst angespannt, was die Preise in die Höhe treibe.

Grafik: picture alliance/dpa-Infografik

Aus Sicht der Wissenschaftler kann der Wohlstandsverlust der Bevölkerung nicht durch staatliche Hilfspakete ausgeglichen werden. „Das kann man wirtschaftspolitisch begleiten, aber sicher nicht ausgleichen“, sagte Schmidt. Wichtig sei mehr Angebot an Strom und Gas, etwa durch Flüssiggas und einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke „nicht nur jetzt über den Winter, sondern bis wirklich alternative Stromerzeugungskapazitäten in Deutschland geschaffen wurden“.

Mit den steigenden Energiepreisen wird sich auch die Inflation weiter verstärken. Für das aktuelle Jahr rechnen die Institute mit einer Teuerungsrate von durchschnittlich 8,4 Prozent, für 2023 mit 8,8 Prozent. Für 2024 gehen sie von sinkenden Energie- und Rohstoffpreisen und damit einer Inflation von 2,2 Prozent aus.

Die Experten warnen zudem vor einer allzu expansiven Finanzpolitik, um die Inflation nicht zusätzlich anzuheizen. „Man kann diesem Kostenschock eben durch eine Nachfragestimulierung nicht adäquat entgegenwirken.“ Deshalb müsse man staatliche Unterstützungen gezielt ausrichten – nicht mit dem Ziel, die Nachfrage zu stimulieren, sondern so, dass die Bürger ihre Strom- und Gasrechnungen bezahlen könnten. „Darüber sollte man auch nicht hinausgehen.“

320°/dpa

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