UN-Klimakonferenz
Minimalkonsens auf Kosten der Geschwindigkeit: Im Kampf gegen die sich zuspitzende, gefährliche Erderwärmung hat die Weltklimakonferenz in Ägypten kaum Fortschritte gemacht. Was die Staaten beschlossen haben – und was Wissenschaftler davon halten.
Forscher zweifeln an Durchschlagskraft von Klimagipfeln
Angesichts der wenigen Fortschritte im Kampf gegen den drohenden Klimakollaps zweifeln Wissenschaftler an der Durchschlagskraft von UN-Klimakonferenzen in ihrer derzeitigen Form. Eine Allianz der größten Verursacher von Treibhausgasen sei möglicherweise effizienter, als mit so vielen Ländern wie möglich um Einigungen zu ringen, sagte der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Johan Rockström, nach dem Ende des Mammuttreffens im ägyptischen Scharm el Scheich der Deutschen Presse-Agentur. Rockström beklagte zudem, dass die Wissenschaft eine „viel zu schwache Stimme“ in den Verhandlungen habe.
Die zweiwöchigen Verhandlungen in Ägypten hatten lediglich bei den Finanzhilfen für ärmere Staaten einen echten Fortschritt gebracht. Bei der dringend notwendigen Senkung klimaschädlicher Treibhausgase dagegen kamen die etwa 200 Staaten nicht voran. Nicht nur Wissenschaftler und Umweltorganisationen äußerten sich darüber enttäuscht, sondern auch die EU-Kommission und die Bundesregierung. Am Ende kam es erst nach fast 40 Stunden Verlängerung zu einer Einigung. Konkret beschlossen wurde:
- Neuer Fonds für Klimaschäden
Nach jahrzehntelangen Debatten einigte sich die Klimakonferenz erstmals auf einen gemeinsamen Geldtopf zum Ausgleich von Klimaschäden in ärmeren Ländern. Der neue Ausgleichsfonds soll unabwendbare Folgen der Erderhitzung abfedern – etwa immer häufigere Dürren, Überschwemmungen und Stürme, aber auch der steigende Meeresspiegel und Wüstenbildung. Begünstigt werden sollen Entwicklungsländer, die besonders gefährdet sind. Die Entwicklungsorganisation Care sprach von einem „historischen Schritt“, bemängelte aber, das wesentliche Fragen erst 2023 ausgearbeitet werden. So werden keine Summen genannt. Und ungeklärt ist auch, wer einzahlen muss. Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) schrieb: „Dazu gehören vor allem die größten Emittenten USA, China und natürlich auch die EU.“
- Abschied von der Kohle, aber nicht von Öl und Gas
Die Staaten bekräftigten ihre im Vorjahr in Glasgow getroffene Entscheidung, schrittweise aus der Kohle auszusteigen. Ein Abschied von Öl und Gas wird aber nicht erwähnt – was etliche Staaten gefordert hatten, darunter Indien, die EU und auch die USA. Aber einige wenige Staaten leisteten „erbitterten Widerstand“, wie Außenministerin Annalena Baerbock berichtete. Das sei „mehr als frustrierend“. Nicht aufgegriffen wurde auch die Forderung der EU, dass vor 2025 der Höchststand der Treibhausgasemissionen weltweit erreicht sein muss. Der deutsche Greenpeace-Chef Martin Kaiser nannte es einen Skandal, dass die ägyptische Konferenzleitung Öl-Staaten wie Saudi-Arabien Raum geboten habe, „jeden wirksamen Klimaschutz zu torpedieren“. Oxfam-Experte Jan Kowalzig sprach von einem „deprimierenden Ergebnis“.
- Schub für erneuerbare Energien?
Erstmals findet sich auch die Forderung nach einem Ausbau der Erneuerbaren Energien im Abschlussdokument einer Klimakonferenz. Weil aber bei dem künftigen Mix auch von „emissionsarmen“ Energieträgern die Rede ist, fürchtet der EU-Parlamentarier Michael Bloss (Grüne), dies könne als „Einfallstor für Atomkraft und Gas“ missbraucht werden.
- Schwammiges 100-Milliarden-Ziel
100 Milliarden Dollar für Klimaschutz und Klimaanpassung – so viel sollten die Industriestaaten eigentlich seit 2020 jährlich verbindlich an arme Länder zahlen. Bis heute sind sie das Geld zu einem großen Teil schuldig geblieben. In der Abschlusserklärung fehlt aber ein klarer Plan, ob und bis wann nachgezahlt werden muss. Der Unterschied zum neu beschlossenen Ausgleichsfonds: Die 100 Milliarden fließen zur noch möglichen Anpassung, der Fonds soll für eingetretene Schäden entschädigen.
Ebenfalls fehlt der – in ersten Entwürfen noch enthaltene – Auftrag für einen Fahrplan, wie und wann die reichen Staaten ihre Hilfen zur Anpassung an den Klimawandel für ärmere Staaten verdoppeln – von derzeit etwa 20 auf 40 Milliarden US-Dollar.
- Klimaschutzpläne sollen nachgebessert werden – aber nur freiwillig
Im finalen Papier werden die Staaten außerdem aufgefordert, ihre größtenteils unzulänglichen Klimaschutzpläne bis spätestens zur nächsten Klimakonferenz nachzubessern. Diese findet Ende 2023 in den Vereinigten Arabischen Emiraten statt. Die Nachbesserungen bleiben freiwillig, eine Verpflichtung gibt es nicht.
2015 hatte die Weltgemeinschaft in Paris vereinbart, die Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Die Welt hat sich nun schon um gut 1,1 Grad erwärmt, Deutschland noch stärker. Ein Überschreiten der 1,5-Grad-Marke erhöht nach Warnungen der Wissenschaft deutlich das Risiko, sogenannte Kippelemente im Klimasystem und damit unkontrollierbare Kettenreaktionen auszulösen.
Latif für „Allianz der Willigen“
„Ich denke, dass wir den ganzen Prozess der Klimakonferenzen reformieren müssten, um gehaltvollere Ergebnisse in den Verhandlungen zu bekommen“, sagte Rockström zu den Ergebnissen. Vielen Diplomaten sei nicht klar, wann welche Klimafolgen in welchem Ausmaß zu erwarten seien, beklagte Rockström. „Die Entscheider brauchen vermutlich eher mehr Wissenschaft am Verhandlungstisch, nicht weniger“, sagte Rockström.
Sein Vorschlag ist, dass die Verhandler der Staaten anders als bisher tägliche Briefings zum aktuellen Forschungsstand zu Klimarisiken, Kipppunkten und anderen wichtigen Feldern bekommen sollten – und vor diesem Hintergrund die Maßnahmen und Ziele ihrer Staaten verteidigen müssten. Außerdem sei in den Arbeitsgruppen ein engerer Austausch zwischen Verhandlern und Wissenschaftlern vonnöten.
Auch der Klimaexperte Mojib Latif hält Klimakonferenzen in ihrer derzeitigen Form nicht für zielführend. Weil bei UN-Verhandlungen stets das Prinzip der Einstimmigkeit gelte, könne man sich immer nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, beklagte Latif, der am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (Geomar) forscht. Länder wie Deutschland oder die USA, die wirklich Klimaschutz betreiben wollten, müssten sich zu einer „Allianz der Willigen“ zusammentun und Maßnahmen umsetzen, forderte er am Montag im Deutschlandfunk.
„Große Verantwortungslücke“
Die Bundesregierung zog eine gemischte Bilanz der Klimakonferenz. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) bezeichneten die Einigung auf einen neuen Fonds zum Ausgleich für Klimaschäden in ärmeren Staaten als Durchbruch, bedauerten aber den mangelnden Fortschritt beim Klimaschutz.
„Ich bin noch nie mit so gemischten Gefühlen von einer Klimakonferenz zurückgekommen“, sagte Entwicklungsstaatssekretär Jochen Flasbarth am Montag im ARD-“Morgenmagazin“. Einerseits sei es mit Blick auf den Fonds für Klimaschäden und Verluste „ein Klimagipfel der Solidarität“. „Andererseits ein Klimakipfel der Kleinmütigkeit, was die Klimaschutzfortschritte im Verhandlungsprozess angeht“, sagte Flasbarth.
Zudem kritisierte er eine „große Verantwortungslücke“ Chinas und der USA. China, das beim Ausstoß klimaschädlicher Emissionen den ersten Platz belegt, will im internationalen Klimaschutz weiter als Entwicklungsland behandelt werden. „China wird es nicht mehr gelingen (…), sich sozusagen auf der Augenhöhe von Südsudan oder Burundi zu präsentieren“, sagte Flasbarth. Peking müsse ganz klar einer der Financiers für die Klimaschäden und Verluste in anderen Ländern sein.
Ein negatives Fazit zog der Präsident des Naturschutzbundes (Nabu), Jörg-Andreas Krüger. „Mit der Einigung zur Finanzierung von Schäden und Verlusten wurde ganz am Ende noch ein großer Schritt nach vorn gemacht. Allerdings ohne Raumgewinn“, erklärte er. Es sei zunehmend unwahrscheinlich, dass das 1,5-Grad-Limit noch zu halten ist. „Die Staaten konnten und wollten sich nicht auf einen einigen. Auch Deutschland hat sich hier mit seiner aktuellen Gas-Einkaufstour als schlechtes Vorbild präsentiert“, kritisierte Krüger.