Kunststoffrecycling
kostenpflichtigHydroPRS heißt das Verfahren, das Mura Technology für das chemische Recycling von Kunststoffabfällen verwendet. Der weltweite Roll-out der Technologie wird derzeit vorbereitet. Ökologische Zweifel will die Firma mit zwei Ökobilanzen ausräumen.
Chemisches Recycling: Mit überkritischem Wasser zu weniger CO2-Emissionen
Jenseits von 374 Grad Celsius und unter hohem Druck nimmt Wasser eine kuriose Form an: Es ist flüssig und gasförmig zugleich. Ein solches sogenanntes überkritisches Wasser besitzt die Dichte von normalem Wasser und die Fließfähigkeit von Wasserdampf – Eigenschaften, die mittlerweile bei diversen technischen Anwendungen gezielt ausgenutzt werden.
So gibt es inzwischen Kohlekraftwerke, die im Dampfprozess mit überkritischem Wasser arbeiten, weil sich dadurch der Wirkungsgrad steigern lässt. Zudem wird überkritisches Wasser als Lösungsmittel genutzt. Damit lassen sich Substanzen zersetzen, ohne dafür starke Säuren oder Laugen einsetzen zu müssen. Auch gefährliche organische Substanzen wie PFAS kann überkritisches Wasser vernichten. Und auch für das chemische Recycling wird überkritisches Wasser verwendet.
Das britische Unternehmen Mura Technology Mura etwa nutzt das spezielle Wasser für seinen als HydroPRS (Hydrothermal Plastic Recycling Solution) bekannten Recyclingprozess. Damit werden flexible, mehrschichtige und starre Kunststoffe aus Siedlungs- und Gewerbeabfällen in petrochemische Rohstoffe umgewandelt. Bei dem Verfahren, das auf Basis der hydrothermalen Karbonisierung arbeitet, wird der Feedstock zunächst geshreddert. Störstoffe wie beispielsweise Glas, Metalle, Steine oder Splitt werden gleichzeitig aussortiert. Der geshredderte Kunststoffmix wird anschließend geschmolzen und unter Druck gesetzt. Danach wird das überkritische Wasser mit dem Kunststoff vermischt und alles weiter erhitzt.
In der Folge werden die Kunststoffe im Reaktor in kurzkettige, flüssige Kohlenwasserstoffe und Gas zerlegt. Die Umwandlung dauert laut Mura nicht länger als 30 Minuten. Danach wird der Druck abgelassen. Die in diesem Prozess zurückgewonnene Energie wird für die Trennung der verschiedenen Produkte genutzt. Das Prozessgas wird gleichzeitig zurückgewonnen und im Prozess zur Erzeugung von überkritischem Dampf, beziehungsweise überkritischem Wasser verwendet. Dadurch werde kein natürliches Gas mehr benötigt, erklärt das Unternehmen.
Die flüssigen Kohlenwasserstoffprodukte liefert Mura eigenen Angaben zufolge an Kunden der Petrochemie. Dort würden sie zur Herstellung von neuen Kunststoffen und anderen Materialien genutzt.
Drei Anlagen in Deutschland und vier in den USA
Eine kommerzielle Anlage hat Mura noch nicht in Betrieb. Doch der Plan für den weltweiten Roll-out seiner Technologie über Lizenzen steht schon fest: Bis 2025 will Mura eine Kapazität von 1 Million Jahrestonnen auf Basis des HydroPRS-Verfahrens installieren. Mindestens drei Anlagen sollen dabei in Deutschland entstehen. Jede soll laut Unternehmen über eine Kapazität von 100.000 Tonnen pro Jahr verfügen – oder auch mehr.
Die drei „in der Entwicklung befindlichen“ Standortprojekte sind demnach in Nordrhein-Westfalen, in Sachsen-Anhalt und in Sachsen angesiedelt. Die geplante Anlage im sächsischen Böhlen werde eine Jahreskapazität von 125.000 Tonnen haben, wie Mura angekündigt hat. Damit wäre sie die größte Recyclinganlage für das chemische Kunststoffrecycling in Europa.
Die Inbetriebnahme plant der Recycler aktuell für 2025. Allerdings ist die finale Entscheidung über den Bau in Böhlen im Landkreis Leipzig offenbar noch nicht getroffen. Die endgültige Entscheidung will Mura spätestens Ende dieses Jahres fällen.
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Die geplante Anlage in Böhlen ist das Resultat der Kooperation zwischen der britischen Recyclingfirma und dem US-Chemiekonzern Dow Chemical. Der am Umsatz gemessen zweitgrößte Chemiekonzern der Welt (nach BASF) ist vor gut zwei Jahren bei Mura eingestiegen. Insgesamt planen Mura und Dow bis 2030 noch weitere Recyclinganlagen in Europa und den USA mit einer Gesamtkapazität von 600.000 Jahrestonnen.
In den USA hat Mura mittlerweile vier Projekte in der Planungspipeline. Für die einzelnen Anlagen haben die Briten eine Kapazität von 100.000 Jahrestonnen im Visier. Diese vier Projekte befinden sich laut Unternehmen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Läuft alles nach Plan, gehen sie zwischen 2024 und 2025 in Betrieb.
Neben Dow Chemical sind auch die beiden Chemiekonzerne LG Chem und die Mitsubishi Chemical Corporation (MCC) an der chemischen Recyclingtechnologie von Mura interessiert. Beide Unternehmen haben 2021 Lizenzen am HydroPRS-Verfahren erworben. Wie es heißt, will der südkoreanische Chemieproduzent LG Chem in seiner Anlage auf Basis der hydrothermalen Karbonisierung im ersten Schritt bis zu 23.000 Tonnen Kunststoffabfälle pro Jahr aufbereiten. Wann genau LG Chem die Anlage in Betrieb nehmen will, steht noch nicht fest.
MCC ist da mit seinem Projekt schon weiter. Die Fertigstellung der Anlage im MCC-Werk im japanischen Ibaraki wurde für dieses Jahr angekündigt. Die HydroPRS-Anlage soll eine Kapazität von 20.000 Tonnen Kunststoffabfälle pro Jahr verfügen. Ein weiterer Ausbau der Kapazitäten sei möglich.
80 Prozent weniger CO2-Emissionen im Vergleich zur Verbrennung
Inzwischen hat sich Mura auch bestätigen lassen, dass das HydroPRS-Verfahren deutliche Klimavorteile gegenüber der Verbrennung besitzt. Eine wissenschaftliche Lebenszyklusanalyse (LCA) bestätige, dass die Verwertung von Kunststoffabfällen mittels HydroPRS im Vergleich zur Verbrennung die CO2-Emissionen um 80 Prozent reduziere, erklärt Mura. Die Ökobilanz zeige darüber hinaus, dass die erzeugten Kohlenwasserstoffprodukte im Vergleich zum fossilen Rohstoff Naphtha ein gleichwertiges bis niedrigeres Treibhausgaspotenzial haben.
Wie Mura erklärt, schneide das HydroPRS-Verfahren auch besser ab als die Pyrolyse – zumindest, was die CO2-Emissionen angeht. In einem im Februar vorgestellten Bericht der Gemeinsamen Forschungsstelle (GFS) der Europäischen Kommission heißt es, dass die HydroPRS-Technologie ein um 50 Prozent niedrigeres Treibhauspotenzial aufweist, als das der Pyrolyse. Die GFS hat in ihrem Bericht zur Lebenszyklusbewertung thermische Kunststoffrecyclingtechnologien in Hinblick auf die Kohlenstoffemissionen mit der energetischen Verwertung und dem mechanischen Recycling verglichen.
Beide Ökobilanzen basieren auf den Daten der ersten HydroPRS-Anlage von Mura im kommerziellen Maßstab in Großbritannien. Die in Wilton (Teesside) angesiedelte Anlage wird laut Unternehmen im Laufe dieses Jahres mit einer Kapazität von 20.000 Jahrestonnen an den Start gehen. Die Anlagenkapazität will Mura stufenweise auf 80.000 Tonnen Kunststoffabfälle pro Jahr ausbauen.