Treibhausgase

Die Treibhausgasemissionen in Deutschland sind im vergangenen Jahr etwas gesunken, doch der Verkehrs- und Gebäudesektor haben die Vorgaben erneut verfehlt. Die Grünen sprechen von einem „Desaster“.

Verkehr reißt erneut die CO2-Messlatte


Der Ausstoß an klimaschädlichen Treibhausgasen in Deutschland ist im vergangenen Jahr leicht um 1,9 Prozent gesunken. Es seien rund 746 Millionen Tonnen Treibhausgase freigesetzt worden und damit gut 15 Millionen Tonnen weniger Treibhausgase als 2021, teilte das Umweltbundesamt (UBA) am Mittwoch in Berlin mit. Die Zahlen sind noch vorläufig – endgültige Werte stehen erst zu Beginn des kommenden Jahres fest.

Dem Umweltbundesamt zufolge sind die Emissionen seit 1990 in Deutschland damit um 40,4 Prozent gesunken. Doch im Bereich der Energie gebe es einen deutlichen Anstieg. Demnach kommt der Sektor auf 10,7 Millionen Tonnen mehr Treibhausgase als im Jahr 2021. Grund

sei der stärkere Einsatz von Stein- und Braunkohle, um Erdgas einzusparen. Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, die um 9 Prozent gegenüber 2021 kletterte, konnte das etwas dämpfen. Folglich konnte der Energiesektor seine Jahresemissionsmengen für 2022 von 257 Millionen Tonnen knapp einhalten.

„Die heutigen Zahlen spornen an und überraschen teilweise sogar“, kommentierte Klimaschutzminister Robert Habeck. „Ich hatte angesichts der Folgen des russischen Angriffskriegs mit schlechteren Zahlen im Energiebereich gerechnet. Denn schließlich haben wir im letzten Jahr eine Menge alter Kohlekraftwerke ans Netz nehmen müssen.“ Das liege maßgeblich an der neuen Dynamik beim Ausbau erneuerbarer Energien.

Mehr Elektroautos reichen nicht

Weniger erfolgreich waren der Verkehrs- und Gebäudesektor. Beide Sektoren lagen wieder über den im Bundes-Klimaschutzgesetz festgelegten Jahresemissionsmengen.

  • Im Sektor Verkehr wurden im vergangenen Jahr rund 148 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente ausgestoßen. Damit liegen die Treibhausgasemissionen um rund 9 Millionen Tonnen über der im Bundesklimaschutzgesetz für 2022 zulässigen Jahresemissionsmenge von 138,8 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten. Der Verkehr ist laut UBA der einzige Sektor, der gleichzeitig sein Ziel verfehlt und einen Emissionsanstieg gegenüber dem Vorjahr verzeichnet. Trotz der besonders hohen Kraftstoffpreise im Jahr 2022 und der befristeten Einführung des 9-Euro-Tickets im ÖPNV seien die Emissionen des Straßenverkehrs wieder gestiegen. „Obwohl 2022 bei den Neuzulassungen von Elektroautos ein Rekordjahr war, reicht der Zuwachs nicht aus, um die Zunahme der Emissionen auszugleichen“, heißt es.
  • Bei den Gebäuden kam es 2022 zu einer Emissionsminderung von knapp 6 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten (minus 5,3 Prozent) auf rund 112 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten. Trotz dieser Emissionsminderung überschreitet der Gebäudesektor, wie bereits im Vorjahr, die erlaubte Jahresemissionsmenge gemäß Bundes-Klimaschutzgesetz, die bei 107,4 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten liegt. „Die Emissionsreduzierung liegt auch im Gebäudesektor wesentlich in den gestiegenen Energiepreisen begründet, welche zu einer Einsparung der Energieeinsätze führte“, erklärt das UBA. Die milde ⁠Witterung⁠ habe diese Einsparung unterstützt.

„Um die Ziele der Bundesregierung bis 2030 zu erreichen, müssen nun pro Jahr sechs Prozent Emissionen gemindert werden“, rechnet UBA-Präsident Dirk Messner vor. Seit 2010 seien es im Schnitt nicht einmal zwei Prozent gewesen. „A & O ist ein wesentlich höheres Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien“, sagte Messner. „Wir müssen es schaffen, dreimal so viele Kapazitäten wie bisher zu installieren, um den Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung bis 2030 auf 80 Prozent zu steigern.

Eine „Hängepartie wie in den letzten Jahren“ dürfe es nicht mehr geben, mahnt der UBA-Präsident. „Wir können uns diese fatale Abhängigkeit von fossilen Energieträgern schlicht nicht leisten.“ Die Dekarbonisierung müsse alle Bereiche umfassen – von der Industrieproduktion über den Gebäudebereich bis hin zur Mobilität und der Landwirtschaft.

„Ein Desaster“

Die Grünen sehen angesichts der erneut gestiegenen Emissionen im Verkehr dringenden Handlungsbedarf bei Bundesminister Volker Wissing (FDP). Die neuen Emissionszahlen des Umweltbundesamts für das vergangene Jahr seien „ein Desaster“, sagte der Grünen-Verkehrsexperte Stefan Gelbhaar am Mittwoch. „Alles, was in anderen Sektoren erreicht wird, zerrinnt aktuell im Verkehr wieder zwischen den Fingern.“

Wissing schulde seit vielen Monaten ein Sofortprogramm mit ausreichend Maßnahmen, die den CO2-Ausstoß im Verkehr wirksam und dauerhaft senkten. Es sei überfällig, dass das Ministerium jetzt konsequent umsteuere, forderte Gelbhaar. Vorschläge gebe es genug. Dazu zählten ein Abbau klimaschädlicher Subventionen, massive Investitionen in Bus und Bahn, bessere Bedingungen für den Rad- und Fußverkehr, eine beschleunigte Antriebswende bei Autos und ein Recht auf Homeoffice. „Eine schnelle, wirksame Sofortmaßnahme wäre natürlich auch ein Tempolimit.“

Scharfe Kritik äußert die Deutsche Umwelthilfe. Die veröffentlichten Treibhausgas-Emissionszahlen belegten den „erneuten und anhaltenden Klimarechtsbruch der Bundesregierung im Verkehrs- und Gebäudesektor auch für das Jahr 2022“, erklärt die Umweltorganisation. Sie wolle den Kurswechsel noch in diesem Jahr juristisch durchzusetzen und dabei auf ihre anhängigen Klagen gegen die Überschreitungen in den Sektoren Verkehr und Gebäude zurückgreifen.

„Verkehrsminister Wissing fährt den Klimaschutz im Verkehrssektor mit voller Absicht an die Wand“, sagt DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. „Im Gegensatz zu den roten und grünen Koalitionären lassen wir uns diesen Verstoß gegen das Klimaschutzgesetz nicht gefallen und werden diesen Rechtsschutz durch unsere Klimaklagen stoppen. Nachdem bereits der eigene Expertenrat der Bundesregierung das Verkehrs-Sofortprogramm als rechtswidrig bewertet, fehlt mir jede Phantasie, wie wir unsere Klage vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg verlieren können. Nach einer Verurteilung zu einem kurzfristig wirksamen Sofortprogramm ist ein Tempolimit, das sofort über 11 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen würde, alternativlos.“

NABU: Scholz ist in der Pflicht

Der Präsident des Naturschutzbundes (NABU), Jörg-Andreas Krüger, sieht Bundeskanzler Olaf Scholz in der Pflicht. Von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sei nicht zu erwarten, dass er in seiner Amtszeit noch ernsthafte Ambitionen zum Klimaschutz entwickele, sagte Krüger. Mit Blick auf Wissing fragte er: „Warten wir auf das Ende seiner Amtszeit oder erzwingt Bundeskanzler Scholz endlich die Wende?“

Greenpeace Klima- und Verkehrsexperte Benjamin Stephan, kritisierte, Wissing bremse eine klimafreundliche Verkehrspolitik national und europaweit. „Heute bekommt Deutschland die Quittung für zögerliche Anstrengungen bei der Verkehrswende und die Klimaschutz-Blockaden der FDP“, sagte Stephan. Jetzt müsse Scholz dafür sorgen, dass das Klimaschutzgesetz Bestand habe und die gesamte Bundesregierung die rechtlichen Verpflichtungen umsetze.

Auch Stefanie Langkamp, Geschäftsleiterin Politik der Klima-Allianz Deutschland, betonte in Richtung Scholz: „Der im Wahlkampf selbsternannte ‚Klimakanzler‘ steht jetzt in der Pflicht, umgehend zu handeln.“

320°/dpa/re

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