Klimaschutz

Am Sonntag können die Menschen in Berlin über neue Ziele beim Klimaschutz abstimmen. Experten sagen, dass die Ziele zu hoch gesteckt sind. Die Initiatoren des Volksentscheids halten dagegen.

Klima-Volksentscheid in Berlin: Initiatoren wollen „Geschichte schreiben“


Kurz vor dem Volksentscheid für ehrgeizigere Klimaziele in Berlin haben Initiatoren und Unterstützer noch einmal für ein „Ja“ geworben. „Der Sonntag ist der Tag, an dem Berlin eine einmalige Chance hat, Klimahauptstadt zu werden“, sagte Jessamine Davis vom Bündnis Klimaneustart Berlin am Donnerstag. Mit einer Klimaneutralität bereits im Jahr 2030 könnten die Menschen in Berlin nur gewinnen, unter anderem an Lebensqualität, zukunftsfähigen Jobs und günstiger Energie aus regenerativen Quellen, erklärte sie. „Es ist wichtig, dass alle Menschen ihr Recht nutzen, demokratisch mitzuentscheiden. So können wir alle gemeinsam Geschichte schreiben.“

Die Bürgerinitiative will in dem Volksentscheid an diesem Sonntag erreichen, dass Berlin sich verpflichtet, bis 2030 – und nicht wie bislang vorgesehen bis 2045 – klimaneutral zu werden. Dafür soll das Energiewendegesetz des Landes geändert werden. Um das zu schaffen, muss eine Mehrheit der Wähler dafür stimmen. Diese Mehrheit muss zugleich mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten, das heißt 613.000 Stimmen ausmachen.

Das Abgeordnetenhaus debattierte am Donnerstag kontrovers über das Ziel des Volksentscheids. CDU-Generalsekretär Stefan Evers verwies darauf, dass die angepeilte Koalition aus seiner Partei und der SPD mit einem Milliardenprogramm den „Klimaturbo“ einlegen wolle. „Wir kommen damit vom Reden ins Machen. Wir haben höchste Ambitionen. Dazu gehört: Ziele müssen erreichbar bleiben. Deswegen ist unsere Haltung zum Volksentscheid genauso klar: Ja zu mehr Klimaschutz, aber Nein zu einem Volksentscheid der falschen Versprechen.“

„Es geht nicht“

Nach Einschätzung von Berlins scheidender Senatorin für Umwelt und Klimaschutz, Bettina Jarasch (Grüne), dürften nötige Maßnahmen zum Erreichen von Klimaneutralität bis 2030 mindestens einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag kosten. „Es ist schwer, seriös zu beziffern, wie hoch die Kosten tatsächlich sind. Das hängt natürlich auch maßgeblich von den vereinbarten Maßnahmen ab“, sagte die Grünen-Politikerin. Auf der anderen Seite gebe es kostenmindernde Effekte durch Klimaschutzmaßnahmen. „Beispielsweise die Vermeidung von Klimaschäden, die auch sehr teuer werden.“

Der Wissenschaftler am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Fritz Reusswig, hält ein klimaneutrales Berlin bis 2030 nicht für machbar. „Meine These ist, dass wir es bis 2030 nicht schaffen“, sagte der Wissenschaftler, der an Untersuchungen zur Klimaneutralität Berlins mitgearbeitet hat. „Ich glaube, dass 2045 realistisch ist.“ Bis 2030 sei vielleicht eine Verringerung der Emissionen um 65 bis 75 Prozent möglich.

Der AfD-Politiker Frank-Christian Hansel rief dazu auf, am Sonntag mit Nein zu stimmen. Klimaneutralität bis 2030 bedeute Kosten von 100 Milliarden Euro allein für die energetische Sanierung. Außerdem dürften dann nur noch fünf Prozent der Autos mit Verbrennungsmotor fahren, die anderen müssten abgewrackt werden. „Um es klar zu sagen: Es geht nicht.“

Unterstützung von Kulturschaffenden

Anders argumentiert der Grünen-Politiker Stefan Taschner. „Dass dieses Ziel sehr ambitioniert und auch nur schwer zu erreichen ist, darüber besteht Einigkeit auch seitens der Initiative“, sagt er. Das dürfe aber kein Grund für eine Ablehnung sein, sondern viel mehr Ansporn, noch eine Schippe draufzulegen. „Technisch wissen wir doch, wie wir die Klimaneutralität erreichen können.“

Zu den Unterstützern des Vorhabens gehören auch Kulturschaffende. Sie veröffentlichten am Donnerstag einen Offenen Brief mit dem Titel „Klimaschutz ist auch Kulturschutz“ und riefen dazu auf, mit „Ja“ zu stimmen. „Der schnelle Weg in die Klimaneutralität wird nicht einfach“, heißt es in dem Brief, den rund 300 Schauspieler, Musiker, Autoren und Theaterleute unterzeichneten. „Aber die Schwierigkeiten auf dem Weg zur Klimaneutralität sind nichts gegen die von der Wissenschaft eindeutig vorhergesagte Katastrophe: den Klimakollaps.“

Zum Endspurt der Kampagne für ein Ja beim Volksentscheid ist am Samstag eine große Demonstration und ein Konzert mit zahlreichen Beteiligten am Brandenburger Tor geplant. Laut Polizei werden etwa 35.000 Menschen erwartet. Die Initiatoren des Volksentscheids wollen auch noch am Sonntag, also dem Tag der Abstimmung, für ihr Anliegen werben. Wie Sprecherin Davis ankündigte, sind dazu unter anderem Fahrradkorsos geplant.

Klimaneutralität bedeutet, dass keine Treibhausgase emittiert werden, die über jene hinausgehen, die durch die Natur oder sonstige Senken aufgenommen werden. Dafür müssten die klimaschädlichen Emissionen etwa von Verbrennerautos, Flugzeugen, Heizungen, Kraftwerken oder Industriebetrieben um etwa 95 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt werden. Die Antwort auf die Frage, wie das bis 2030 in Berlin erreicht werden soll, überlässt die Initiative bewusst der Politik.

320°/dpa

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