Klimaklage
Es ist ein ungleicher Kampf: Für eine bessere Zukunft verklagen sechs Kinder und Jugendliche die Regierungen von 32 Staaten in Europa. Sie wollen eine „lebenswerte Zukunft“. Wie stehen ihre Chancen?
„David gegen Goliath“: Jugendliche verklagen Staaten auf Klimaschutz
Sechs Kinder und Jugendliche wollen die Regierungen Deutschlands und 31 weiterer europäischer Staaten zwingen, künftig deutlich mehr für den Umweltschutz zu tun. Die Klimaklage, die die jungen Portugiesen vor drei Jahren eingereicht hatten, wurde am Mittwoch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg verhandelt. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sprach von einer „bahnbrechenden“ Initiative der Jugendlichen im Alter zwischen elf und 24 Jahren.
Ungewöhnlich ist nicht nur das Alter der Kläger, sondern auch die Größe des Verfahrens und die Zahl der angeklagten Länder. Auf Seiten der angeklagten Regierungen waren mehr als 80 Anwälte im Gerichtssaal anwesend. Die Kläger wurden von nur sechs Anwälten vertreten. „Das ist wirklich ein Fall von David gegen Goliath“, sagte wenige Tage vor der Anhörung Gearóid Ó Cuinn, Direktor der Nichtregierungsorganisation Global Legal Action Network(GLAN), die die Portugiesen bei der Initiative unterstützt und berät. „Es gibt keine Präzedenzfälle, weder hinsichtlich des Ausmaßes noch bezüglich der Folgen.“
Die Herausforderung ist groß, aber der Preis ist verlockend: Wenn die Klägerinnen und Kläger Recht bekommen, könnte der EGMR die Regierungen der EU-Mitgliedsländer und der mitangeklagten Staaten Norwegen, Russland, Türkei, Schweiz und Großbritannien auffordern, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren und strengere Klimaziele zu beschließen und einzuhalten. GLAN-Anwalt Gerry Liston spricht von einem möglichen „game changer“.
„Mein Wohnort wird zu einem Ofen“
Bei der Anhörung wiesen die Anwälte der europäischen Regierungen vor den 17 Richtern und den zum Teil sichtlich nervösen Jugendlichen in der zweiten Zuschauerreihe die Klage zurück. Sie basiere auf „bloßen Annahmen“ und „leeren Hypothesen“, hieß es. „Die bisher beobachteten Auswirkungen des Klimawandels scheinen sich nicht direkt auf das Leben oder die Gesundheit der Menschen auszuwirken“, so die offizielle Position Griechenlands. Der Vertreter Portugals meinte, die behaupteten Schäden seien „zu abstrakt“.
Eine Anwältin der Gegenseite wies die Argumente ironisch zurück: „Das Problem ist zu groß, es ist zu kompliziert, es ist zu global, sagen sie, daher muss der Gerichtshof wegschauen.“ Eine Abweisung der Klage würde das Ende des effektiven Menschenrechtsschutzes in Europa bedeuten, wie er vor 70 Jahren konzipiert wurde, warnte sie.
„Unsere Botschaft an die Richter ist einfach“
Ein Urteil wird erst im nächsten Jahr erwartet. Doch einer der Kläger, Martim Duarte Agostinho, meint, es dürfe keine Zeit verloren werden. „Ohne dringende Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen wird mein Wohnort bald zu einem unerträglichen Ofen werden“, sagte der 20-Jährige aus Leiria im Zentrum Portugals vor der Anhörung.
Martims Schwester Mariana sagte der Deutschen Presse-Agentur zu Beginn der Initiative im Jahr 2020 als Achtjährige, die Untätigkeit der Erwachsenen mache sie wütend und traurig zugleich. „Ich habe große Angst davor, auf einem kranken Planeten leben zu müssen.“
Seit diesen Äußerungen von Mariana gab es nur wenige Verbesserungen, dafür aber mehrere Hiobsbotschaften. Der Juli 2023 zum Beispiel war der heißeste Monat, der je gemessen wurde, so die Daten des Copernicus-Klimadienstes der EU. Martim sagte: „Unsere Botschaft an die Richter wird einfach sein: Bitte sorgen Sie dafür, dass die Regierungen alles Nötige tun, damit wir eine lebenswerte Zukunft haben.“
Kein Recht auf eine saubere Umwelt
Mandi Mudarikwa, Leiterin der Abteilung für strategische Rechtsstreitigkeiten bei Amnesty International, sagte, dass die jungen Klägerinnen und Kläger wie so viele andere Menschen auf der Welt die Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Gesundheit bereits direkt zu spüren bekämen. Die zunehmende Hitze schränke ihre Möglichkeiten ein, sich im Freien aufzuhalten, Sport zu treiben, zu schlafen und sich zu konzentrieren.
Anlass für die Klage von Mariana, Martin und ihrer Schwester Claudia (24) sowie Catarina Mota (23) und den Geschwistern Sofia (18) und André Oliveira (15) waren die verheerenden Brände 2017 in ihrer Heimat, bei denen mehr als 100 Menschen starben und riesige Waldgebiete zerstört wurden. „Da ist bei mir der Groschen gefallen (…) Ich habe gemerkt, wie dringend man handeln muss, um den Klimawandel zu stoppen“, sagte Claudia der dpa.
Die Chancen der Kläger sind schwer einzuschätzen, da umweltrechtliche Fragen vor dem EGMR bisher keine große Rolle gespielt haben. Grundsätzlich kennt die Europäische Menschenrechtskonvention kein Recht auf eine saubere Umwelt. Klagen stützten sich daher bisher vor allem darauf, dass durch Umweltverschmutzung andere Menschenrechte, etwa das Recht auf Leben, gefährdet seien. Häufig ging es zum Beispiel um Menschen, die von Lärm oder Luftverschmutzung betroffen waren. Die Auswirkungen des Klimawandels im Allgemeinen wurden dagegen bisher kaum thematisiert.
Das könnte sich jetzt ändern. Denn die Portugiesen sind nicht die Einzigen, die vor Gericht mehr Klimaschutz einfordern. Vor dem EGMR wird in diesem Jahr auch der Fall der „Klimaseniorinnen“ verhandelt, ein von Greenpeace unterstützter Zusammenschluss von Schweizer Rentnerinnen, die am Mittwoch in Straßburg waren, um die Portugiesen moralisch zu unterstützen. Auch in Frankreich klagt derzeit ein Bürgermeister auf Einhaltung der Pariser Klimaziele.
Klagen für den Klimaschutz liegen im Trend. Nach Angaben des Grantham-Instituts der London School of Economics wurden bisher weltweit mehr als 2.000 eingereicht, ein Viertel davon zwischen 2020 und 2022. Demnächst könnte es gleich mehrere spannende Entwicklungen geben: Der südpazifische Inselstaat Vanuatu ruft den Internationalen Strafgerichtshof an. Auch in den USA, Brasilien und Schweden wurden Klagen wegen mangelnden Klimaschutzes eingereicht.