Firmenschließungen

Tausende Unternehmen haben in Deutschland im vergangenen Jahr aufgegeben. Besonders besorgniserregend ist die Zahl der Schließungen in der Industrie. Der Internationale Währungsfonds rät der Bundesregierung zu mehr öffentlichen Investitionen.

Studie: „Die industrielle Basis schwindet“


In der Konjunkturflaute des vergangenen Jahres haben einer Studie zufolge besonders viele Industrieunternehmen aufgegeben. Im Baugewerbe stieg die Zahl um 2,4 Prozent auf 20.000. Im verarbeitenden Gewerbe gaben 11.000 Firmen auf, wie aus einer am Dienstag veröffentlichten Untersuchung der Wirtschaftsauskunftei Creditreform in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hervorgeht. Das sei ein Anstieg um 8,7 Prozent und der höchste Stand seit dem Jahr 2004. Die industrielle Basis schwinde, hieß es.

„Verwaiste Ladenlokale und leere Schaufenster treffen die Menschen in ihrer Umgebung wirtschaftlich und auch emotional“, sagte Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung. „Die Schließungen in der Industrie aber treffen den Kern unserer Volkswirtschaft.“ Hohe Energie- und Investitionskosten, unterbrochene Lieferketten, Personalmangel und politische Unsicherheit seien ein toxischer Cocktail für die Wirtschaft.

„Keine gute Voraussetzung“

Sorge bereitet den Experten, dass es vor allem forschungsintensive Unternehmen – etwa aus der Chemie- und Pharmaindustrie oder dem Maschinenbau – betroffen sind. Dort sei der Effekt besonders stark, weil den Schließungen stagnierende Gründungen gegenüberstünden, erklärte ZEW-Expertin Sandra Gottschalk. „Wenn der Bestand nicht nachwächst, steigt die Zahl der Schließungen überproportional“. Das Schrumpfen forschungsintensiver Branchen sei keine gute Voraussetzung für notwendige Innovationen, die die Grundlage für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und für Wachstum seien, heißt es in der Studie.

Insgesamt haben im vergangenen Jahr in Deutschland rund 176.000 Unternehmen aufgegeben, 2,3 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Elf Prozent davon waren Folge eines Insolvenzantrags. Im Handel sank die Zahl der Schließungen leicht um 0,8 Prozent auf rund 37.000 Unternehmen. Bei den konsumnahen Dienstleistern, zu denen unter anderem das Gastgewerbe, Arztpraxen, Friseure oder Reinigungen zählen, gaben gut 51.000 Unternehmen auf und damit 0,5 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Andere Branchen wurden in der Studie nicht näher untersucht.

Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat sich unterdessen nach einer Aufhellung in den vergangenen Monaten nicht verändert. Der Ifo-Geschäftsklimaindex für Mai verharrte bei 89,3 Punkten, wie das Ifo-Institut am Montag in München mitteilte. Analysten hatten im Schnitt mit einem Anstieg auf 90,4 Punkte gerechnet. „Kalte Dusche für Optimisten“, kommentierte die ING Bank.

„Die deutsche Wirtschaft arbeitet sich schrittweise aus der Krise heraus“, erläuterte Ifo-Präsident Clemens Fuest die Zahlen. In den Monaten zuvor war das Stimmungsbarometer dreimal in Folge gestiegen, was gemeinhin als konjunktureller Wendepunkt interpretiert wird. Allerdings notiert Deutschlands wichtigster konjunktureller Frühindikator nach wie vor auf vergleichsweise niedrigem Niveau.

Aussichten besser als aktuelle Lage

Die rund 9.000 befragten Unternehmen bewerteten im Mai ihre Geschäftsaussichten besser, ihre aktuelle Lage dagegen schlechter. In der Industrie, im Handel und im Baugewerbe hellte sich das Geschäftsklima auf, im Dienstleistungssektor trübte es sich jedoch ein.

„Die deutschen Unternehmen werden zwar wieder zuversichtlicher, aber nur mit Blick auf die Zukunft“, bemerkte Andreas Scheuerle, Leiter Industrieländer bei der Dekabank. „Der Ausbruch aus der lang währenden Konjunkturschwäche wird aus ihrer Sicht im ersten Halbjahr nicht mehr gelingen.“

Der Internationale Währungsfonds (IWF) traut Deutschland in den kommenden zwei Jahren wieder ein deutlich höheres Wirtschaftswachstum zu. Es sei mit einem Plus von bis zu 1,5 Prozent zu rechnen, teilte der IWF am Dienstag in Berlin mit. Für dieses Jahr wird ein minimales Plus von 0,2 Prozent erwartet, womit Deutschland das Schlusslicht unter den großen westlichen Industrienationen bildet.

Der IWF empfiehlt der Bundesregierung, die öffentlichen Investitionen zu erhöhen und Bürokratie abzubauen. Zudem seien mehr Kinderbetreuungsplätze nötig, um angesichts des Fachkräftemangels mehr Frauen für den Arbeitsmarkt zu gewinnen. Für viele dieser Maßnahmen seien allerdings zusätzliche öffentliche Mittel erforderlich, betonte der IWF. Vor diesem Hintergrund sprach sich die Finanzorganisation mit Sitz in Washington erneut für eine Reform der Schuldenbremse aus.

Eine moderate Lockerung der Defizitgrenze um rund einen Prozentpunkt der Wirtschaftsleistung würde erheblichen Spielraum für öffentliche Investitionen schaffen und gleichzeitig die Schuldenquote auf einem Abwärtstrend halten. Dies allein reiche aber nicht aus, um den steigenden Ausgabenbedarf zu decken. Der IWF rät Deutschland zudem, klimaschädliche Subventionen und Steuervergünstigungen abzubauen und das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung anzupassen.

320°/dpa/re

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