OVG-Urteil
Die Deutsche Umwelthilfe hat die Bundesregierung erneut auf Nachbesserung beim Umwelt- und Klimaschutz verklagt. Dieses Mal ging es um das Nationale Luftreinhalteprogramm. Die Bundesregierung muss sich erneut Kritik gefallen lassen.
Nationales Luftreinhalteprogramm: Bundesregierung muss nachbessern
Erneute Schlappe für die Ampel-Koalition im Ringen um mehr Umwelt- und Klimaschutz: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat die Bundesregierung dazu verurteilt, ihr Nationales Luftreinhalteprogramm zu ändern. Die Maßnahmen reichten nicht in allen Punkten aus, um die europäischen Ziele zur Reduzierung des Ausstoßes von Luftschadstoffen zu erreichen, urteilte das Gericht. (Az.: 11 A 16.20)
Die dem Programm zugrunde liegenden Prognosen seien teilweise fehlerhaft, weil unter anderem nicht die neuesten Daten berücksichtigt worden seien, sagte die Vorsitzende Richterin Ariane Holle. Konkret geht es um das 2019 beschlossene und im Mai 2024 aktualisierte Programm mit zahlreichen Maßnahmen, mit denen Deutschland die europäischen Ziele zur Reduzierung des Ausstoßes von Luftschadstoffen erreichen will. Dabei geht es um Ammoniak, Feinstaub, Schwefeldioxid und Stickstoffoxid.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte geklagt, weil sie das Programm für unzureichend hält. Sie hatte unter anderem argumentiert, dass das aktuelle Nationale Luftreinhalteprogramm auf Emissionsprognosen für das Jahr 2021 basiere. Es seien Maßnahmen aufgenommen worden, die später gestrichen oder abgeschwächt worden seien.
Mehrere Prognosefehler
Das Gericht folgte der Argumentation in vielen Punkten. So sei der Klimaschutz-Projektionsbericht 2023 vom August 2023 nicht berücksichtigt worden, kritisierte der 11. Senat. Der Senat beanstandete zudem mehrere Fehler bei der Prognose für das Programm. So sei unter anderem die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes vom September 2023 nicht berücksichtigt worden. Diese erlaube aber den Betrieb von Holzpelletheizungen, die zu einer höheren Feinstaubbelastung der Luft führen.
Außerdem sei beim Thema Kohleverstromung noch davon ausgegangen worden, dass bis Ende 2029 alle Kohlekraftwerke vom Netz gehen würden. Auch beim Verkehr gebe es einen Prognosefehler, weil nicht berücksichtigt worden sei, dass die staatliche Förderung für den Kauf von Elektrofahrzeugen inzwischen eingestellt worden sei.
„Das ist ein wirklich guter Tag für die saubere Luft in Deutschland“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. „Zum ersten Mal wurde die Bundesregierung dazu verurteilt, wirklich wirksame zusätzliche Maßnahmen für die Reduktion von fünf Luftschadstoffen zu beschließen und umzusetzen – und zwar schon für das Jahr 2025“, so Resch. Nach Angaben einer Gerichtssprecherin geht diese Jahreszahl allerdings nicht konkret aus dem Urteil hervor.
Das aktuelle Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung ließen die Berliner Richter die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zu. Resch äußerte die Hoffnung, dass es bald zu Gesprächen mit den Bundesministerien für Verkehr, Bau und Umwelt kommen werde. Um den Ausstoß von Stickoxiden kurzfristig deutlich zu senken, sei ein Tempolimit auf Autobahnen notwendig.
Die FDP-Fraktion im Bundestag erteilte dem eine Absage. „Forderungen wie Fahrverbote sind umweltpolitische Maßnahmen auf dem Rücken der Bevölkerung und wird es mit den Freien Demokraten in der Bundesregierung nicht geben“, so Fraktionsvize Carina Konrad.
Viele vorzeitige Todesfälle
Das Bundesumweltministerium kündigte an, das Urteil „umfassend“ zu prüfen, sobald es schriftlich vorliegt. Eine Sprecherin betonte, die Klage der DUH sei nur teilweise erfolgreich gewesen. Die Umweltorganisation hatte gerichtlich durchsetzen wollen, dass eine jährliche Reduzierung der Schadstoffe festgeschrieben wird. Dazu wurde die Bundesregierung nicht verpflichtet.
Schadstoffe in der Luft stellen ein großes Gesundheitsrisiko dar und führen zu zahlreichen vorzeitigen Todesfällen und Erkrankungen wie Asthma oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Nach aktuellen Schätzungen der Europäischen Umweltagentur (EUA) sind im Jahr 2020 mindestens 238.000 Menschen vorzeitig gestorben, weil sie einer hohen Feinstaubkonzentration ausgesetzt waren. Die Stickstoffdioxid-Belastung führte demnach zu 49.000 und erhöhte Ozonwerte zu 24.000 vorzeitigen Todesfällen.
In Deutschland sterben laut DUH jährlich rund 28.000 Menschen vorzeitig aufgrund von Stickstoffdioxid und 68.000 Menschen aufgrund von Feinstaubpartikeln. Feinstaub entsteht unter anderem durch Emissionen aus Kraftfahrzeugen und Kohlekraftwerken.
Die Umwelthilfe geht seit geraumer Zeit mit verschiedenen Klagen gegen die Klima- und Umweltpolitik der Bundesregierung vor. Erst Mitte Mai hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) entschieden, dass die Bundesregierung ihr Klimaschutzprogramm nachschärfen muss, das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Zuletzt hatte die Umwelthilfe im Juli beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen das umstrittene Klimaschutzgesetz der Bundesregierung eingereicht.