„Historische Krise“

Mit Beginn des kommenden Jahres muss eine flächendeckende Getrenntsammlung von Alttextilien eingeführt werden, doch die private Textilrecyclingwirtschaft liegt am Boden. Der bvse warnt: In vielen Regionen droht der Totalausfall.

Textilrecycling: bvse schickt Brandbrief an Kommunen


Während Kleidung als Wegwerfprodukt immer billiger wird, kämpft die Alttextilbranche offenbar ums Überleben. „Die bislang verlässlich funktionierende Struktur der Alttextilsammlung und Verwertung in Deutschland steht unmittelbar vor einem Kollaps – mit dramatischen Folgen für Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft“, warnt der Entsorgerverband bvse in einem Schreiben an die kommunalen Spitzenverbände. Die Situation sei alarmierend, in vielen Regionen drohe der vollständige Ausfall der Sammeltätigkeit, nachdem bereits mehrere große Marktteilnehmer insolvent geworden seien.

Ein zentraler Treiber der Krise ist die explosionsartige Zunahme minderwertiger Kleidung durch die Fast-Fashion-Industrie. Billig produzierte Textilien, die oft schon nach wenigen Wäschen unbrauchbar sind, dominieren zunehmend den Markt. Ihre Qualität ist so schlecht, dass sie kaum noch verwertet werden können. Im Jahr 2022 wurde mit Fast Fashion weltweit ein Umsatz von über 90 Milliarden US-Dollar erzielt – ein Symbol für die wachsende Konsummentalität und die abnehmende Haltbarkeit von Kleidung.

Zudem erschweren Fremdstoffe und Abfälle die Verwertung der gesammelten Textilien. Alttextilcontainer, die früher als Rohstoffquelle dienten, werden immer häufiger als illegale Müllentsorgungsstellen missbraucht. „Steigende Verunreinigung“ ist laut bvse eines der gravierendsten Probleme.

Auslandsmärkte brechen weg

Hinzu kommen wegbrechende Absatzmärkte. Osteuropa, einst ein verlässlicher Abnehmer für Secondhand-Kleidung, ist durch den russischen Angriffskrieg massiv beeinträchtigt. Gleichzeitig blockiert Billigware aus China die Märkte in Afrika, die traditionell große Mengen europäischer Altkleider aufgenommen haben. Hinzu kommen offenbar massive Forderungsausfälle: In den Auslandsmärkten liegen diese laut bvse inzwischen bei 30 Prozent, während sich die Außenstände verdoppelt haben. Die Zahlungsziele liegen inzwischen bei durchschnittlich 120 Tagen.

Auch im Inland verschärfen sich die Herausforderungen. Zum 1. Juli 2024 wurde die Mautpflicht auf Fahrzeuge über 3,5 Tonnen ausgeweitet. Die zusätzlichen Kosten belasten die ohnehin schon angeschlagenen Unternehmen zusätzlich, beklagt der bvse.

Zu den wirtschaftlichen und infrastrukturellen Problemen kommt eine neue gesetzliche Verpflichtung: Ab dem 1. Januar 2025 ist in Deutschland eine flächendeckende Getrenntsammlung von Textilien vorgeschrieben. „Sollte das bestehende System zusammenbrechen, ist eine Wiederherstellung praktisch unmöglich – die Folgen für die Entsorgungs- und Verwertungsinfrastruktur wären katastrophal“, so der bvse.

Appell an Kommunen

Angesichts der kritischen Lage fordert der bvse Unterstützung für die Textilrecycler. Der Vorschlag: Kommunen und private Betreiber von Stellplätzen für Altkleidercontainer sollten auf die Erhebung von Gebühren verzichten. Nur so könne die Sammlung und Verwertung weiterhin sichergestellt werden. „Die Zeit drängt“ heißt es in dem Schreiben des Verbandes. „Gemeinsam müssen wir handeln, bevor ein irreparabler Schaden entsteht.“

320°/hk

Mehr zum Thema