Konjunktur

Ökonomen blicken inzwischen einigermaßen zuversichtlich auf die Wirtschaftsentwicklung im kommenden Jahr. Doch ihre Zuversicht ist fragil. Denn die Risiken und strukturellen Probleme sind beträchtlich – auch mittelfristig.

Ein Aufschwung auf tönernen Füßen


Wirtschaftsprognosen sind stets mit Unsicherheiten behaftet, doch selten war die Kluft zwischen Hoffnung und Realität so greifbar wie heute. Während führende Ökonomen für die deutsche Konjunktur kurzfristig wieder Licht am Ende des Tunnels sehen, fußt dieser Optimismus auf der fragilen Annahme, dass globale Handelskonflikte nicht eskalieren. Gleichzeitig lastet der demografische Wandel wie eine schwere Hypothek auf den langfristigen Aussichten des Standorts.

Bundesbankpräsident Joachim Nagel geht gleichwohl davon aus, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr doch noch wachsen könnte. Ein „leichter Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Leistung“ sei im Jahresdurchschnitt möglich, sagte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel am Montag beim «Frankfurt Euro Finance Summit».

Die verhaltene Zuversicht speist sich aus einem überraschend starken Jahresauftakt. Im ersten Quartal wuchs die Wirtschaft um 0,4 Prozent und damit doppelt so stark wie ursprünglich berechnet. Gestützt auf diese Entwicklung und die Erwartung milliardenschwerer Ausgaben für Infrastruktur und Verteidigung, sind auch mehrere renommierte Wirtschaftsforschungsinstitute etwa optimistischer – wenn auch erst für das kommende Jahr 2026.

Das Ifo-Institut in München etwa rechnet für 2026 mit einem Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts von 1,5 Prozent – eine nahezu Verdopplung der früheren Annahme. Ähnlich optimistisch zeigen sich das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) mit einer Vorhersage von 1,6 Prozent und das Essener Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) mit 1,5 Prozent. Lediglich das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) bleibt mit einer erwarteten Zunahme von 1,1 Prozent etwas zurückhaltender.

Grafik: picture alliance/dpa-Infografik

Die verbesserten Prognosen fußen maßgeblich auf der Annahme, dass der Handelsstreit mit den USA beigelegt wird. „Der zunehmende Optimismus speist sich vermutlich auch aus der Hoffnung, dass mit der neuen Koalition der wirtschaftspolitische Stillstand endet und es im Handelsstreit mit den USA zu einer Einigung kommen wird“, erklärt Timo Wollmershäuser vom Ifo-Institut. Auch die Modelle von RWI und IWH unterstellen, dass der Konflikt nicht weiter eskaliert.

Doch dieses Fundament ist brüchig. „Ein erhebliches Risiko für die deutsche Konjunktur liegt in einer möglichen Eskalation der US-Handelskonflikte“, betonte Oliver Holtemöller, Vizepräsident des IWH. Die von der Regierung unter Präsident Donald Trump bereits erhöhten Einfuhrzölle würden das deutsche Wachstum laut Ifo-Berechnungen schon auf dem jetzigen Niveau in diesem Jahr um 0,1 und 2026 um 0,3 Prozentpunkte dämpfen. Eine Verschärfung des Konflikts könnte die deutsche Wirtschaft erneut in eine Rezession stürzen.

Rückläufiges Arbeitsangebot

Aber auch ohne eine Eskalation der Handelskonflikte bleiben die strukturellen Probleme gewaltig. Die mittelfristigen Aussichten sind mager, das jährliche Wachstumspotenzial der deutschen Wirtschaft schätzt das Ifo-Institut nur noch auf 0,3 bis 0,4 Prozent. „Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir im Schnitt mit weniger als einem halben Prozent bis zum Ende des Jahrzehnts wachsen werden“, so Wollmershäuser.

Als Hauptgrund gilt die unaufhaltsame „demografische Wende“. „2025 ist das erste Jahr, in dem das Erwerbspersonenpotenzial sinkt“, sagt der Ifo-Experte. Das strukturelle Defizit an Arbeitskräften stellt die deutsche Wirtschaft vor eine fundamentale Herausforderung. „Dieses schrumpfende Arbeitsangebot können wir im Grunde nur durch Produktivitätsfortschritte aufrechterhalten, und bei denen sieht es derzeit auch ziemlich mau aus“, so Wollmershäuser.

Zusätzlich zu diesen internen und handelspolitischen Risiken belasten geopolitische Unsicherheiten die Aussichten. Bundesbank-Präsident Nagel verwies auf den aktuellen Konflikt zwischen Iran und Israel. „Sollte es zu einem langanhaltenden, gravierenden Konflikt kommen, könnten beispielsweise die Ölpreise erheblich steigen“, warnte Nagel. In einem solchen Fall könnten sich die wirtschaftlichen Perspektiven spürbar eintrüben.

320°/dpa/re

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