Interview zur Novelle der TA Luft

Bei der Novellierung der TA Luft soll der Grenzwert für Formaldehyd deutlich verschärft werden. Betroffen wären Betreiber von Deponien, Biogasanlagen, MBA und thermischen Abfallbehandlungsanlagen. BDE-Referentin Sandra Giern erklärt im Interview, was die Folgen der Verschärfung wären und welche Werte aus ihrer Sicht realistisch sind.

„Das ist technisch nicht möglich“


Frau Giern, was passiert, wenn der Grenzwert für Formaldehyd in der Novelle der TA Luft wie geplant auf 1 Milligramm pro Kubikmeter (mg/m3) gesenkt wird?

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Die Recycling- und Entsorgungsbranche wäre davon massiv betroffen. Mit dem Stand der heutigen Katalysatortechnik wäre die Einhaltung des Grenzwertes schlicht und einfach nicht realisierbar. Da geht es noch nicht mal darum, dass das zu teuer wäre, sondern das ist technisch einfach nicht möglich.

Warum nicht?

Zum einen gibt es dafür noch keine Technik. Und anders als bei einem herkömmlichen Produktionsprozess haben wir gerade bei der Deponie und den Abfallbehandlungsanlagen heterogene Eingangsstoffe und Prozessabläufe und somit auch schwankende Methangehalte im Gasstrom sowie variierende Gasvolumenströme, Gasbegleitstoffe und Störstoffe.

Was wäre die Folge, wenn die Betreiber den Grenzwert nicht einhalten können?

Ein neuer Formaldehyd-Emissionsgrenzwert von 1 mg/m3 würde die Verwertung von Bio-, Klär- und Deponiegas als erneuerbaren Energieträgern unmöglich machen und so die damit verbundenen Klimaschutzpotenziale zukünftig ungenutzt lassen.

Wo liegen die Grenzwerte denn derzeit?

Bisher gibt es einen Summengrenzwert für organische Stoffe der Klasse 1, darunter fiel auch Formaldehyd. Der Summengrenzwert in der TA Luft lag bei 20 mg/m3. Dabei gibt es aber branchenspezifische Abweichungen. Für Biogasanlagen liegt der Wert bei 40 mg/m3, bei mechanisch biologischen Anlagen bei 20 mg/m3 und für Klär-, Erd- und Deponiegas gilt der Grenzwert von 60 mg/m3.

Welche Werte fordert der BDE für die anstehende Novelle?

Die branchenspezifischen Abweichungen sollten aus unserer Sicht auf alle Fälle beibehalten werden. Die Festlegung z.B. eines speziellen Grenzwertes für Deponiegasanlagen, der auch bei abnehmenden Qualitäten und Methangehalten die Verwertung ermöglicht, wäre auch in der geltenden TA Luft sachgerecht. Auf Deponien werden seit der Umsetzung der TASI 2005 nur noch Materialien eingelagert, deren Reaktionsvermögen deutlich eingeschränkt ist, somit sinkt die Gasbildungsrate und die Methankonzentration im Gasstrom stetig weiter. Die Deponie entspricht also einem Auslaufmodell. Technisch sinnvoll ist die Beibehaltung der derzeitigen Grenzwerte.

Wieso soll der Grenzwert für Formaldehyd überhaupt geändert werden?

Die Grundlage dafür kommt aus dem europäischen Recht. Seit 2009 ist die novellierte Kennzeichnungsverordnung CLP in Kraft. In diesem Zusammenhang gab es eine sechste Änderungsverordnung zur Anpassung an den technischen Fortschritt. Dabei wiederum wurde Formaldehyd als karzinogen – also krebserregend – eingestuft. Diese Einordnung ist europaweit am 26. Juni in Kraft getreten. Da die TA Luft direkt mit der CLP-Verordnung gekoppelt ist, müsste der Grenzwert für Formaldehyd gesenkt werden.

Das klingt nach einer plausiblen Begründung.

Ja, vordergründig schon, aber das Problem ist, dass hier zwei Dinge vermischt werden. Die CLP-Verordnung gilt primär für Produkte, also Stoffe und Gemische, die in Verkehr gebracht werden. Vor dem Inverkehrbringen müssen die Unternehmen die potentiellen Risiken dieser Stoffe und Gemische für Gesundheit und Umwelt ermitteln und sie entsprechend den Gefahren einstufen. Zielsetzung ist der Schutz der Verbraucher und Arbeitnehmer, mit einer direkten Stoffexposition. Also zum Beispiel, wenn Formaldehyd in Kosmetika, Spielzeugen oder Bedarfsgegenständen mit Lebensmittelkontakt, Textilien ist. Die TA Luft kümmert sich aber um Emissionen aus Verbrennungs- oder Verarbeitungsprozessen – da gibt es keinen direkten Kontakt mit dem Menschen. Wir sind in Deutschland auch das einzige Land in Europa, das durch die Verknüpfung der TA Luft mit der CLP-Verordnung diesen Zusammenhang zu den Emissionen überhaupt herstellt. Bis dato war das kein Problem, aber mit der neuen Einstufung könnt es ein sehr großes werden.

Die Einordnung als karzinogen ist bereits in Kraft. Könnte der Grenzwert somit jetzt schon zum Problem werden?

Unter Umständen schon. Theoretisch könnte jetzt ein Gewerbeaufsichtsamt sich auf den europäischen Wert berufen. Praktisch geht das Umweltbundesamt gerade recht pragmatisch vor. Das Umweltbundesamt hat uns frühzeitig informiert, dass es diese Anpassung gab, dass es eine mögliche Absenkung des Grenzwertes gibt und wir wurden um eine Einschätzung gebeten. Diese haben wir Ende April abgegeben.

Stoßen Sie damit auf offene Ohren?

Bis dato sind unsere Einwände noch unkommentiert zur Kenntnis genommen worden. Aber wir glauben schon, dass das Umweltbundesamt und das Wirtschaftsministerium sich der Thematik bewusst sind. Ich denke nicht, dass die Bundesregierung alle unsere Einwände ignorieren wird. Derzeit scheint die Option realistisch, mit einer branchenspezifischen Abweichung vom TA-Luft-Grenzwert 1 mg/m3 für Formaldehyd zu erreichen.

Wie geht es nun weiter?

Nach Informationen des BMUB soll der erste Entwurf für die Novelle Ende des Jahres veröffentlicht werden. Bis Ende 2015 läuft dann das parlamentarische Verfahren. Die neue TA Luft soll 2017 in Kraft treten.

© 320°/ek | 21.08.2014

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