Auswertung für 2012

Die Eurostat-Statistiken weisen signifikante Unterschiede für das Aufkommen an gefährlichen Abfällen in der EU aus. Deutschland, Bulgarien und Frankreich stehen demnach mit großem Abstand allein an der Spitze. Doch die Daten sind mit Vorsicht zu genießen, rät ein Prognos-Abfallexperte.

Deutschland produziert den meisten Sondermüll


In Europa fielen im Jahr 2012 rund 101 Millionen Tonnen gefährliche Abfälle an. Das sind 4,1 Prozent des Gesamtabfallaufkommens beziehungsweise rund 5 Kilogramm pro Einwohner, berichtete Thomas Thörner, Projektleiter beim Beratungsunternehmen Prognos, heute beim bvse-Sonderabfallforum in Ingolstadt. Der größte Erzeuger von gefährlichen Abfällen war mit Abstand Deutschland. An zweiter und dritter Stelle folgen in der Eurostat-Statistik Bulgarien und Frankreich.

Aus diesen drei EU-Staaten kommt fast die Hälfte aller Sonderabfälle. „Die Top-3-Länder erzeugen zusammen 46 Millionen Tonnen, das entspricht 46 Prozent des gesamten Aufkommens an gefährlichen Abfällen. Zum Vergleich: Der Einwohneranteil dieser drei Länder liegt nur bei 30 Prozent“, erklärte Thörner. Auf Deutschland entfällt dabei ein Aufkommen von rund 22 Millionen Tonnen.

Umsatz der Branche Behandlung und Beseitigung gefährlicher Abfälle in Frankreich von 2008 bis 2012 und Prognose bis zum Jahr 2020 (in Millionen Euro) Allerdings sind die Zahlen von Eurostat mit Vorsicht zu interpretieren. So machen mineralische Abfälle etwa 35 Prozent des Gesamtkaufkommens an gefährlichen Abfällen aus. „Klammert man diese aus, so ändert sich das Bild zum absoluten Aufkommen in einigen Ländern deutlich“, sagte Thörner. Am signifikantesten sei dies für Bulgarien: dort liege der Anteil mineralischer Abfälle bei 99 Prozent.

Folglich seien die Eurostat-Zahlen womöglich nicht der Wahrheit letzter Schluss, sagte der Prognos-Vertreter. „Aufgrund der Datenerhebungsmethoden sind potenzielle Doppelzählungen nicht immer zweifelsfrei auszuschließen. Nicht alle Länder erheben die Daten über Begleitscheinauswertungen.“ Teilweise würden die Daten auf Umfragen und Hochrechnungen basieren. So würden die herkunftsbezogenen Informationen in der Regel in separaten Umfragen erhoben, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten durchgeführt würden. Oder aber sie werden nach Abfallschlüsseln zugeordnet. „Diese Daten bieten eine Orientierung, sollten aber bei jeder Auswertung und Nutzung nie bis auf die letzte Tonne als ‚wahrer Wert‘ angesehen werden“, rät Thörner.

Die Datenproblematik zeigt sich noch deutlicher bei den zu den behandelten Abfällen. „Für rund 25 Millionen Tonnen gefährliche Abfälle liegen keinerlei Informationen vor. Diese Differenz ist auch mit den vorliegenden Import-/Exportdaten nicht aufzulösen“, sagte der Prognos-Experte. Eine mögliche Ursache für diese Lücke könnte im Annex II der Statistikverordnung liegen. Dieser schließt Vorbehandlungsanlagen aus der Meldepflicht aus. „Damit ist ein mengenrelevanter Anteil nicht erfasst und die Sekundärmengen aus diesen Vorbehandlungsanlagen nicht oder nur teilweise berücksichtigt.“ Aufgrund der Erhebungsmethodik würden teilweise auch innerbetriebliche behandelte Abfallmengen aus der Statistik fallen. Weitere Einflussfaktoren könnten die in den EU-Staaten unterschiedlich gehandhabten Erfassungsmethoden beziehungsweise Messmethoden sein. Thörner schließt aber auch illegale Ablagerungen als Ursache nicht aus.

NRW hat das höchste Aufkommen

Über Begleitscheine erfasste gefährliche Abfälle in Deutschland von 1993 bis 2020 (in Millionen Megagramm) Für den europäischen Spitzenreiter Deutschland ergibt sich laut Destatis-Zahlen für 2012 ein Aufkommen an gefährlichen Abfällen von rund 22 Millionen Tonnen. Davon stammen circa 16,7 Millionen Tonnen von Primärerzeugern. Das größte Bundesland ist auch das Bundesland mit dem größten Aufkommen: Laut Destatis sind in Nordrhein-Westfalen rund 4,7 Millionen Tonnen gefährliche Abfälle angefallen, das entspricht einem Anteil von 22 Prozent am gesamtdeutschen Aufkommen. Schlusslicht ist Mecklenburg-Vorpommern mit 0,2 Millionen Tonnen.

Deutschland erzeugt nicht nur europaweit die meisten gefährlichen Abfälle, es ist auch ein Nettoimportland für Sonderabfälle. „Rund ein Viertel aller Importe ist zur Verbrennung bestimmt“, so Thörner. Die wichtigsten Importländer sind Italien, die Niederlande, Luxemburg, Frankreich und Österreich. Diese vier Länder haben zusammengenommen einen Anteil von rund 75 Prozent an den Gesamtimporten.

„Allerdings sind zwischen 2011 und 2013 die Gesamtimporte um 21 Prozent zurückgegangen“, sagt Thörner. „Der spürbare Rückgang der Gesamtimporte basiert im Wesentlichen auf rückläufigen Importen aus Italien.“ Hier sei insbesondere bei asbesthaltigen Baustoffen zur Deponierung, bei als gefährlich eingestuften teilweise stabilisierten Abfällen und auch bei vorgemischten Abfällen, die wenigstens einen gefährlichen Abfall enthalten, ein Rückgang zu verzeichnen. Seit 2009 sei dagegen ein leichter Anstieg der Exporte von 0,16 Millionen Tonnen auf 0,49 Millionen Tonnen festzustellen. Das sei vor allem durch steigende Exporte von Bau- und Abbruchabfällen bedingt.

Recyclingverfahren spielen eine untergeordnete Rolle

An den in Deutschland erzeugten gefährlichen Abfällen haben die mineralischen Abfälle aus dem Bau- und Abbruchbereich einen hohen Anteil. Die Menge dieser Abfälle beläuft sich auf rund 8,4 Millionen Tonnen, was einem Anteil von rund 38 Prozent entspricht. „Das spiegelt sich auch in der Deponierungsrate von 29 Prozent wieder“, erklärt Thörner den relativ hohen Anteil deponierter Sonderabfälle. Neben der Deponierung seien die thermische Behandlung und die chemisch-physikalische Behandlung die dominierenden Verfahren. Beide Wege liegen fast gleichauf: Auf die chemisch-physikalische Behandlung entfallen 16 Prozent, auf die thermische Behandlung 15 Prozent.

Auffällig wenige Sonderabfälle gelangen dabei in die Sonderabfallverbrennungsanlagen. Destatis weist nur 3 Prozent für diesen Entsorgungsweg aus. Eine eher untergeordnete Rolle bei der Entsorgung gefährlicher Abfälle spielen Recyclingverfahren wie Sortierung oder Aufbereitung. „Der Anteil der Recyclingverfahren liegt mit 9 Prozent auf einem relativ niedrigen Level und ist gegenüber 2010 sogar leicht zurückgegangen“, stellt Thörner fest.

Alles in allem ist es gut um die Entsorgungssicherheit für gefährliche Abfälle bestellt. Deutschland verfüge über ausreichende Kapazitäten zur Behandlung gefährlicher Abfälle, bestätigte der Prognos-Vertreter. Im gesamteuropäischen Vergleich verfügt Deutschland sogar über die vielfältigste Entsorgungsinfrastruktur in Bezug auf die Beseitigung von gefährlichen Abfällen. Nicht nur, dass Deutschland laut Thörner mit mehr als 1,5 Millionen Jahrestonnen über die größte Verbrennungskapazität in Sonderabfallverbrennungsanlagen verfügt. Es sei auch das einzige Land mit Untertageversatz als Verwertungsmöglichkeit und Untertagedeponien als Beseitigungswege.

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