Interview zu Altreifen

Das vergangene Jahr war für die Altreifenentsorger ein gutes Jahr – zumindest was die angelieferten Mengen betrifft. Doch zuletzt ist der Markt schwieriger geworden, wie Christina Guth, Vertreterin der Altreifen-Initiative ZARE, im Interview mit 320° erklärt. Verantwortlich seien eine Reihe von Faktoren.

„Die Altreifenentsorgung wird noch teurer“


Christina Guth betreut seit anderthalb Jahren als Pressesprecherin die Initiative Zertifizierte Altreifen Entsorger (ZARE). In der Initiative des Bundesverbands Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV) sind 16 Altreifenentsorger organisiert. Sie behandeln knapp 140.000 Tonnen der rund 570.000 Tonnen Altreifen, die bundesweit pro Jahr anfallen. Derzeit gibt es deutschlandweit etwa 37 zertifizierte und 10 nicht zertifizierte Altreifenentsorgungsbetriebe.

Frau Guth, das Altreifenaufkommen ist seit Jahren stabil, trotz steigendem Fahrzeugbestand. Wie ist das Geschäftsjahr 2016 aus Sicht der Altreifenentsorger verlaufen?

ZARE
ZARE

Zunächst einmal ist der Altreifenanfall massiv gestiegen, unter anderem ausgelöst durch die Schließung der Runderneuerungswerke. Damit war es ein eher gutes Jahr. Und alle Reifen konnten untergebracht werden. Die ZARE-Mitglieder haben laut einer von uns durchgeführten Umfrage ihr Auskommen. Der Umsatz beim kleinsten Altreifenentsorger lag bei knapp unter 1 Million Euro, ein Unternehmen verbuchte nach eigenen Angaben einen Jahresumsatz von acht Millionen Euro.

War das Jahr auch unter wirtschaftlichen Aspekten gut?

Aus wirtschaftlicher Sicht waren alle Unternehmen knapp zufrieden. Erst gegen Ende des Jahres waren die Kapazitäten bei den Zementwerken erschöpft, es kam zum Annahme-Stopp beziehungsweise wurde die Annahme von Altreifen drastisch reduziert. Deshalb mussten die Altreifenentsorger bis zu 300 Prozent höhere Verwertungspreise zahlen. Diese Mehrkosten mussten zwangsläufig weitergegeben werden, wobei die Kunden der Altreifenentsorger die Preiserhöhungen in der dritten Runde nicht mehr akzeptiert haben. Auch die ausgelasteten Kapazitäten der Granulierbetriebe haben die Entsorgungsfachbetriebe sehr stark gefordert. Denn auch die Entsorger kommen irgendwann an ihre Grenzen der Lagerung, weil weiterhin und ununterbrochen Altreifen anfallen.

Was passiert, wenn die Grenzen der Lagerung erreicht sind?

Das erhöhte Altreifenaufkommen wird dafür sorgen, dass tendenziell mehr dubiose Marktteilnehmer sich daran bedienen und der Umwelt und damit der Branche schaden. Bei den seriösen Betreiber wachsen die Lager an, in der Folge werden die Genehmigungsmengen überschritten und die Behörden werden eingreifen. Bei weiterem erhöhten Altreifenaufkommen hat am Ende keiner eine Lösung, wohin mit den alten Reifen.

Auf dem Reifenmarkt landen immer mehr Modelle chinesischer Hersteller. Wie verändert sich dadurch der Markt?

Bei den chinesischen Fabrikaten haben sich die Mengen in den letzten zwei Jahren stark erhöht. Der Anteil der importierten Chinareifen an der Gesamtstückzahl liegt bei Pkw-Reifen bei 10 Prozent (inklusive Off-Road- und Transporter(Llkw)-Reifen) und bei Lkw-Reifen bei 20 Prozent. Vor allem bei Llkw- und Lkw-Reifen verzeichnen wir einen starken Wachstumstrend.

Mit welchen Folgen?

Durch den Zuwachs chinesischer Fabrikate hat sich das Aufkommen an Altreifen insgesamt erhöht. Denn ein neuer chinesischer Reifen kostet annähernd so viel wie ein runderneuerter. Deshalb ist die bisherige Runderneuerung, bei der der abgefahrene Reifen ein zweites Leben bekommt und somit zur Vermeidung von Abfall beiträgt, nicht mehr konkurrenzfähig. Sollte der Trend anhalten, wird sich das Aufkommen an Lkw-Altreifen in den nächsten Jahren fast verdoppeln, da bisher nahezu jeder Lkw-Reifen mindestens einmal runderneuert wurde. Die aktuellen Verwertungskapazitäten in Deutschland können diese Mengen kaum aufnehmen.

Das heißt, dass die Verwertungspreise für die Altreifen-Entsorger perspektivisch steigen werden?

Davon ist auzugehen, ja, Wenn das Verwertungsvolumen unverändert bleibt, werden die Verwertungspreise steigen.

Wie gut lassen sich eigentlich chinesische Reifen recyceln?

Generell gilt: Billigprodukte, unabhängig aus welchem Land, sind grundsätzlich Abfallware und gehen entweder in die Zementwerke oder in die Granulierbetriebe. Für die Granulierbetriebe ist allerdings die Qualität des Gummigranulats aus chinesischen Fabrikaten problematisch. Die Qualitätsprobleme ergeben sich im Wesentlichen dadurch, dass bei der Herstellung zum Teil andere Rohstoffe und Mischungsverhältnisse eingesetzt werden als in Europa. Das betrifft augenscheinlich auch das Verhältnis von Natur- und Synthesekautschuk und deren Qualitäten. In der Regel macht diese Zusammensetzung eine Weiterverarbeitung zu Feinmehl nicht möglich beziehungsweise unrentabel. Diese Reifen können entsprechend nur thermisch entsorgt werden.

Auf EU-Ebene wird derzeit diskutiert, dass Bauprodukte aus Reifen-Recyclat künftig verschärfte Anforderungen an den Gehalt polycyclischer aromatischer Kohlenwasserstoffe (PAK) erfüllen müssen. Wie ist hier der Stand?

Wir stimmen mit der Europäischen Union beziehungsweise der Bundesrepublik darin überein, die Kreislaufwirtschaft unter Beachtung der Abfallhierarchie zu fördern. Reifen-Recyclate sind unserer Meinung nach heute Ausgangsmaterial für viele hochwertige Erzeugnisse im Bereich von Bauprodukten und im Sportstättenbau. Aber diese Märkte für Recycling-Produkte und die Ziele der Kreislaufwirtschaft zur stofflichen Verwertung von Altreifen geraten derzeit durch eine Überregulierung in Gefahr. Es werden überzogene Anforderung an einzelne Inhaltsstoffe – und PAK ist hier nur ein Beispiel – formuliert, die bei der bestimmungsgemäßen Verwendung der Erzeugnisse weder für den Menschen noch für die Umwelt ein Risiko darstellen.

Das klingt nach einigen Herausforderungen. Wie wird 2017 für die Altreifenentsorger?

Die wirtschaftlich schwere Lage zeichnet sich bereits im ersten Quartal ab. Die Altreifenentsorgung wird noch teurer. Betriebe werden Annahmestopps umsetzen müssen, um selbst den gesetzlichen Vorschriften zu entsprechen. Die Folge könnte sein, dass Kleinbetriebe ihre Reifen falsch beziehungsweise illegal entsorgen.

Wie wollen Sie das verhindern?

Für die ZARE ist wichtig, dass die seriösen Altreifenentsorger mit diesem Thema nicht allein gelassen werden. Neben dem Handel müssen auch die Industrie und die Politik angesprochen werden. Die Reifen-Industrie, die das Produkt auf den Markt bringt, muss die seriösen Altreifenentsorger im Sinne des nachhaltigen Lebenszyklus unterstützen. Wir fordern daher, dass Sicherheitsleistungen geprüft werden und über eine Nachweispflicht pro Reifen nachgedacht wird. Darüber hinaus unterstützt der BRV im Besonderen die Lkw-Runderneuerung. Eigens dafür wurde eine Kampagne entwickelt, die seit 2015 Unternehmen und Speditionen über die Runderneuerung informiert und gleichzeitig motiviert dieses nachhaltige Produkt einzusetzen. Aus unserer Sicht durchaus ein Erfolg: Seit 2016 werden runderneuerte Lkw-Reifen im Rahmen des De-minimis-Förderprogramms als Umweltprodukte „per se“ gefördert. Außerdem agiert der BRV auf europäischer Ebene gemeinsam mit seinen Partnern gegen die Dumpingpreise chinesischer Reifenhersteller.

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