Interview

Für die Qualitätskontrolle von Altpapier gibt es eine Reihe von Messtechniken – mit all ihren Vor- und Nachteilen. Einige Geräte sind durchaus teuer. Doch die Investition lohnt sich, sagt Papierexperte Jörg Hempel im Interview.

„Die haben gleich 10 Geräte gekauft“


Jörg Hempel ist studierter Mathematiker und arbeitet bei der Papiertechnischen Stiftung (PTS) in Heidenau – einer gemeinnützigen Stiftung für Forschung, Beratung, Messtechnik und Weiterbildung in der Papiererzeugung, Papierverarbeitung und deren Zulieferindustrien. Hempel ist dort Vertriebsleiter und außerdem in der Beratung im Bereich Altpapier-Monitoring tätig.

Herr Hempel, die Kontrolle der Altpapierlieferungen ist für Lieferanten und Papierfabriken ein Dauerthema, welche Schwierigkeiten gibt es dabei?

privat

Das große Problem ist, dass nur wenig Zeit zur Verfügung steht: Sie können die Ware eigentlich nur so lange testen, so lange der Lkw am Eingang steht. Das sind lediglich zehn bis 15 Minuten. Mehr kann in die Bemessung eigentlich nicht investiert werden. Beide Seiten sind sich einig, dass dann nur eine Stichprobenmessung möglich ist – diese muss aber dann für alle auch nachvollziehbar sein.

Welche Technik wird derzeit am häufigsten angewendet?

Am verbreitesten ist das Gerät AP500. Es sieht aus wie eine Mauerkelle, wird an den Ballen gehalten und mit einer Messtiefe von rund 30 Zentimeter gemessen. Wir halten das aber nicht für ausreichend.

Warum nicht?

Das Gerät kann lediglich die Feuchte messen. Wenn der Ballen gleichmäßig durchfeuchtet ist, ist das kein Problem, aber sobald er entweder nur im Kern oder nur außen fecht ist, wird es sehr ungenau. Auch ein sogenanntes Microwellentor, durch das der Lkw durchfährt, ist nicht gut geeignet. In Europa messen vier Papierfabriken so die Feuchte, aber hier haben Tests gezeigt, dass die Messungen sehr ungenau sind.

Welche Messtechnik halten Sie derzeit für die beste?

Am zuverlässigsten sind die Nahinfrarot-Geräte. Wir haben die ersten solcher Geräte vor zehn Jahren entwickelt und einer der großen Vorteile ist, dass man hier neben der Feuchte auch den Aschegehalt und Verunreinigungen wie Kunststoffteile in den Ballen messen kann.

Wie genau erfolgt die Messung?

Die NIR-Technik gibt es als Handgerät oder als Automat. Dabei gibt es zwei verschiedene Messtechniken: Entweder wird ein Loch in den Ballen gebohrt und das Gerät reingeschoben. Oder es wird ein Kern aus dem Ballen rausgebohrt und der Inhalt aus dem Kernbohrer an dem NIR-Gerät vorbeigeschoben. Beides ist in etwa gleichwertig und zahlreiche Messungen haben ergeben, dass hier die zuverlässigsten Ergebnisse erzielt werden.

Sind die Ergebnisse auch repräsentativ im Sinne der europäischen Altpapier-Sortenliste EN 643 und der Norm TC 172?

Ja, im neuen Normenentwurf der TC 172 werden sie sogar explizit erwähnt. Leider ist bisher keine eindeutige Identifikation der EN 643 Sorten möglich – aber wir arbeiten daran.

Und die Messungen sind auch innerhalb der knappen Zeit zu schaffen?

Absolut. Bei den Lieferungen werden meist drei Ballen pro LKW gemessen und pro Ballen zwei Bohrungen gemacht und vor allem mit dem Automaten ist das zeitlich kein Problem.

Bei wie vielen Fabriken wird diese Technik schon verwendet?

Weltweit in etwa 40 Fabriken, in Deutschland sind es um die sechs, aber wir hoffen, dass bald noch viele nachziehen – auch wenn die Geräte nicht ganz billig sind.

Was kosten die Geräte denn?

Das Handgerät etwa 70.000 Euro und der Automat zwischen 250.000 und 300.000 Euro. Das klingt erstmal nach viel, aber die Fabriken sagen uns, dass sich das innerhalb eines halben Jahres rechnet. Dabei geht es nicht so sehr darum, dass sie sich von den Lieferanten wegen mangelhafter Ware das Geld zurückholen, sondern dass sie genau wissen, was sie bekommen und das in der eigenen Fabrik optimal einsetzen können.

Bei Reklamationen der Papierfabriken geht es meist um zu hohe Feuchte und andere Inhaltsstoffe. Was ist Ihr Eindruck: Wie gut kommen die Altpapieraufbereiter mit den geforderten Kriterien zurecht?

Am einfachsten wäre es, wenn sie selbst schon auf dem Hof die Lieferungen beproben – am besten natürlich auch mit einem NIR-Gerät. Somit können Reklamationen verhindert und auch bessere Preise erzielt werden, indem die Lieferanten bei den Lieferungen ein Zertifikat mitgeben und vor allem gezielte Qualitäten an entsprechende Abnehmer liefern. Zum Beispiel können sie bei einer Tissue-Fabrik, die Papiertaschentücher herstellt, die Ware abgeben, die besonders wenig Asche enthält. Die Fabrik muss ja die ganze Asche sonst ausschleusen und könnte für Lieferungen mit wenig Asche mehr bezahlen. Hier liegt großes Potenzial für die Lieferanten: Sie bringen genau das, was die Fabriken brauchen und können auch bessere Preise bekommen.

Wie viele Aufbereiter haben ein solches NIR-Gerät schon?

Bisher nur ein großer Händler in den USA. Die haben aber gleich 10 mobile Geräte gekauft.

Warum scheuen die Aufbereiter die Investition? Weil sie teuer ist?

Ja, aber speziell einige größere Aufbereiter denken gerade neu über den Kauf nach. Ein gutes Beispiel ist die Firma MerQbiz in den USA: Sie kauft Altpapier von Sammlern an, sortiert und beprobt es auf dem Hof und ordnet es dann optimal ein, um es an den passenden Abnehmer zu verkaufen. Die einzige Einnahmequelle ist der höhere Preis, den sie dadurch verlangen können. Offenbar ein gutes Geschäftsmodell.

Gibt es Alternativen zu einem NIR-Gerät?

Ja. Beispielsweise können in einem Sortierbetrieb bei Anlagen mit Sensorik die Infos über das Altpapier ausgelesen werden, beispielsweise die Zusammensetzung aus brauner und weißer Ware oder vielleicht auch Aschegehalte.

Sie plädieren schon länger für ein Bonus- /Malus-System. Wie könnte das ausgestaltet sein?

Besonders gut geht das bei der Feuchte. Bis zu zehn Prozent sind ja erlaubt, wenn es mehr ist, ziehen die Fabriken etwas vom Preis ab. Es wäre aber auch möglich, dass beispielsweise bei nur sieben Prozent ein Bonus gezahlt wird. Eine Fabrik in Spanien macht das bereits. Noch ist das System eine Ausnahme, aber wir hoffen, dass es sich bald etabliert.

Welche Möglichkeiten zur Zusammenarbeit gibt es noch?

Wir raten den Papierfabriken, nicht mehr über einzelne Ballen zu diskutieren, sondern mit den Lieferanten über die Lieferung eines ganzen Monats zu sprechen. Dann gibt es dank der vielen Messungen eine große Datenbasis und man kann beispielsweise von einer Durchschnittsfeuchte mit wenig Ausreißern nach oben oder unten ausgehen und auch entsprechend handeln. Außerdem ist der Vorteil der Dauermessungen, dass beispielsweise festgestellt werden kann, dass ein Lieferant immer montags eher feuchte Ballen bringt – diese Info kann er dann nutzen und schauen, von welcher Sammelstelle er das Papier hat und entsprechend reagieren.

Fabriken und Lieferanten standen sich lange recht strittig gegenüber – wie schätzen Sie das Verhältnis derzeit ein?

Da hat sich sehr viel getan. Früher gab es auch unter den Lieferanten schwarze Schafe, die ganze Motorblöcke in den Ballen versteckt haben oder Ballen absichtlich befeuchtet haben, damit sie schwerer sind. Das ist aber extrem selten geworden. Mittlerweile wird auch auf Verbandsseite mehr mit- als gegeneinander gearbeitet: Man besucht sich gegenseitig und statt sich gegenseitig das Leben schwerzumachen, wird versucht, das Geschäft am Laufen zu halten. Schließlich sind alle in einer gemeinsamen Herstellungskette.

 

© 320° | 18.10.2018

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