Marktchancen

Indiens Regierung treibt den Übergang vom informellen zum formellen Sektor voran. Die Auswirkungen sind auch am E-Schrott-Markt deutlich zu spüren. Ein Erfahrungsbericht zeigt, welche Herausforderungen der indische Markt mit sich bringt - und welche Chancen.

E-Schrott-Markt in Indien: Nicht einfach, aber voller Chancen


Indiens informeller Sektor ist das Rückgrat der Wirtschaft. Nicht nur, dass der formelle Sektor auf seine Waren und Dienstleistungen angewiesen ist. Er gibt auch dem Großteil der Bevölkerung Arbeit. Doch zugleich herrschen am informellen Markt oftmals harte und gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen. Und zudem gehen dem Staat Steuereinnahmen verloren.

Die indische Regierung versucht daher seit einiger Zeit, den informellen Markt in den formellen Sektor zu überführen. So hat die Regierung 2016 praktisch über Nacht entschieden, alle 500- und 1000-Rupie-Banknoten zu entwerten. „Dadurch sollen Korruption und Schwarzgeld ausgemerzt werden“, erklärte Patrick Wiedemann, Chef des Münchner Spezialisten für Rücknahme- und Recyclinglösungen Reverse Logistics Group (RLG) in der vergangenen Woche beim International Electronics Recycling Congress (IERC) in Salzburg.

Im Jahr darauf folgte die größte Steuerreform seit der Unabhängigkeit im Jahr 1947. Seither ersetzt die neue einheitliche Steuer auf Waren und Dienstleistungen GST (Goods and Services Tax) unterschiedliche Steuern und Steuersätze in den 29 indischen Bundesstaaten. Ähnlich der deutschen Umsatzsteuer besteuert sie nur den auf der jeweiligen Handelsstufe geschaffenen Mehrwert – für Unternehmen ist sie daher neutral.

Steuerexperten gehen davon aus, dass die Unternehmen von der GST profitieren werden. Denn auf dem Subkontinent mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern entsteht damit ein riesiger Binnenmarkt. „Es war wichtig, dass die indische Regierung den Knoten durchgehauen und die Formalisierung der indischen Wirtschaft gestartet hat“, kommentierte Wiedemann diese Maßnahmen. „Denn 70 Prozent der Abfallwirtschaft in Indien spielt sich im informellen Bereich ab. Im E-Schrott-Bereich sind es gar 90, 95 Prozent.“

Sammelquote von 70 Prozent angestrebt

Flankierend dazu hat das indische Umweltministerium die Vorgaben für die Entsorgung und das Recycling von Elektro- und Elektronikabfällen verschärft. „2016 wurde den Herstellern im Zuge der erweiterten Herstellerverantwortung eine hohe Sammelquote von 30 Prozent gleich im erstfolgenden Haushaltsjahr vorgeschrieben“, schilderte Wiedemann in seinem Vortrag. „Und das in einem Markt, der zu 95 Prozent vom informellen Sektor geprägt ist. Das wäre den Produzenten sehr teuer zu stehen gekommen.“

Aber so weit ist es nicht gekommen. Das Ministerium hatte die Regelung im Oktober vergangenen Jahres noch einmal geändert – und entschärft. Am Markt etablierte Hersteller müssen nunmehr eine Sammelquote von 10 Prozent für 2018 erreichen. Diese Quote steigert sich von Jahr zu Jahr. Bis 2023 müssen sie eine Sammelquote von 70 Prozent erreicht haben.

„Berechnet wird diese Quote nach der durchschnittlichen Lebensdauer ihrer Produkte“, erklärte Wiedemann. Damit sich neue Player, die gerade erst in den Markt eingestiegen sind, ihren Verpflichtungen nicht entziehen und diese Vorgaben umgehen können, gilt für sie eine andere Berechnungsmethode.

„Für sie wird die Sammelmenge nach Verkaufszahlen des vorhergehenden Haushaltsjahres berechnet“, so Wiedemann. In diesem Jahr beträgt die Quote 5 Prozent der im Jahr zuvor auf den Markt gebrachten Menge nach Gewicht. Bis 2015 wird die Quote sukzessive auf 20 Prozent angehoben.

Chancen für Markteintritt stehen gut

Allerdings können Hersteller in Indien bei der Erfüllung ihrer Pflichten auf keine geordnete Abfallwirtschaftsinfrastruktur zurückgreifen. Für formelle Recycler bedeute dies „eine Riesenchance“, betonte Wiedemann. Denn bislang gebe es auf dem Subkontinent nur 178 behördlich zugelassene Recycler.

Von den 178 zugelassenen Recyclern seien elf nach dem US-amerikanischen „Responsible Recycling Standard“ (R2) zertifiziert, erklärte der RLG-Chef. Diese Unternehmen hätten eine theoretische Gesamtkapazität von 140.000 Tonnen pro Jahr. „Diese Kapazität reicht aber bei weitem nicht aus, um die erwarteten E-Schrott-Mengen verwerten zu können.“ Denn allein der größte Verkäufer von Haushaltsgroßgeräten habe für 2018 bereits eine Verpflichtung von etwa 50.000 Tonnen.

Recyclingunternehmen hätten folglich gute Chancen für einen Markteinstieg. Denn nicht nur, dass es nur so wenige anerkannte Recyclingbetriebe gibt. Informelle Recycler würden zudem von den staatlichen Stellen gezwungen werden, ihren Betrieb einzustellen. „Hersteller – vor allem die großen, international tätigen Marken – brauchen dringend wesentlich größere und kontinuierlich weiterwachsende Verwertungskapazitäten im formellen Sektor“, so Wiedemann.

Großer Investitionsbedarf

Im Allgemeinen stünden in Indien nur wenig effiziente, manuelle Verfahren mit sehr begrenzten technischen Möglichkeiten zur Verfügung, berichtete der RLG-Chef weiter. Hier herrsche ein großer Investitionsbedarf – vor allem in Recyclinganlagen und -equipment. Besonders erfolgreich könnten Anlagen sein, die Refurbishment mit Recycling kombinieren – gerade weil der Re-use- und Sekundärmarkt in Indien besonders stark sei. Aber nicht nur Recycling-Know-how wird gebraucht. Auch die dazugehörige Infrastruktur wie der Transport müsse erst noch aufgebaut werden.

RLG selbst ist vor einigen Monaten am indischen Markt eingestiegen und baut derzeit ein Netzwerk aus Recyclern, Lagerhäusern, Sammelstellen etc. auf. „In den vergangenen sechs Monaten haben wir 1.100 Tonnen gesammelt und recycelt“, sagte Wiedemann. RLG gehe dabei auf die Betriebe im informellen Sektor zu, um zu sehen, wie eine Zusammenarbeit aussehen könnte. Vor allem die Zusammenarbeit mit kleinen informellen Sammlern könne dabei viele Herausforderungen bergen.

„Viele wissen nicht, wie eine ordnungsgemäße Rechnung aussehen muss“, schilderte Wiedemann. „Viele wissen auch nicht, wie und wo sie ihre Betriebe registrieren lassen müssen.“ Auch an einem fehlenden oder nicht geeigneten Bankkonto könne es hapern.

Darüber hinaus sollte man auf der Hut sein, um nicht übers Ohr gehauen zu werden. So komme es vor, dass Sammler zwar die vereinbarte Menge an Computern abliefern. Doch entgegen der Vereinbarung würden die Prozessoren zuvor ausgebaut. In solchen Fällen sei es besonders wichtig, nicht nur klare Regeln aufzustellen, sondern auch die Einhaltung konsequent zu überprüfen.

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