Klimaschutz

Nur 1,5 Grad Erderwärmung - ist das noch zu schaffen? Klimaforscher meinen, ja. Aber dafür sind Veränderungen in allen Bereichen notwendig. Ein Überblick über die geforderten Maßnahmen und warum sie bislang nicht umgesetzt werden.

„Fast alle Bereiche des Lebens müssen umgekrempelt werden“


Missernten, Dürren, steigende Meeresspiegel: Die Begrenzung des Klimawandels und seiner Folgen wird zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Der Weltklimarat der Vereinten Nationen fordert in einem Sonderbericht rasches Handel in allen Bereichen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Zwar seien die Folgen für die Weltbevölkerung dann immer noch dramatisch. Eine Erwärmung um zwei Grad würde die Lebensgrundlagen für Hunderte Millionen Menschen aber noch viel stärker bedrohen, warnen die Experten.

Im Pariser Klimaabkommen hat die Weltgemeinschaft sich darauf verständigt, den Klimawandel bei „deutlich unter zwei Grad“ zu bremsen, möglichst aber schon bei 1,5 Grad. Wissenschaftler wurden beauftragt, auszuarbeiten, ob und wie das machbar ist. In der Nacht zum Montag legten sie ihre Ergebnisse in Südkorea vor.

„Die globale Erwärmung auf 1,5-Grad zu begrenzen, erfordert rasche, weitreichende und beispiellose Veränderungen in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft“, erklärte der Klimarat IPCC im Anschluss an eine mehrtägige Sitzung in der Küstenstadt Incheon. Es gehe um Veränderungen in den Bereichen Energie, Industrie, Gebäude, Transport, Landnutzung und Städtebau.

Was sind die Kernaussagen des 1,5-Grad-Reports?

Die Kernaussagen lassen sich in vier Punkten zusammenfassen. Erstens: Es ist immer noch möglich, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken. Zweitens: Dafür muss die Weltgemeinschaft aber sehr schnell und entschieden an einem Strang ziehen und den Ausstoß von Treibhausgasen drastisch nach unten fahren. Drittens: Eine Erwärmung um 1,5 Grad hat bereits dramatische Folgen für das Wetter, den Meeresspiegel, die Artenvielfalt, die Ernten und die Wasserversorgung in vielen Regionen. Und viertens: Das Ziel zu erreichen, lohnt sich – denn bei zwei Grad oder mehr käme es noch sehr viel schlimmer.

Ist der weltweite Klimaschutz auf dem richtigen Weg?

Obwohl das Pariser Klimaschutzabkommen ein historischer Meilenstein ist, reicht es bisher bei weitem nicht. Selbst wenn die Staaten ihre aktuellen Klimaschutz-Zusagen einhalten, steuert die Erde auf eine Erwärmung um etwa drei Grad zu. Es ist also notwendig, die Ziele nachzuschärfen, das ist im Abkommen auch vorgesehen. Zugleich werden aber weiter riesige Kohlekraftwerke gebaut. Außerdem wollen Entwicklungs- und Schwellenländer wirtschaftlich und beim Lebensstandard nachholen. Deswegen müssen – so heißt es in der Klimadiplomatie – die Industrieländer größere Beiträge leisten.

Was muss für das 1,5-Grad-Ziel getan werden?

Im Kern muss die Menschheit den CO2-Ausstoß bis 2030 um 45 Prozent senken, bis 2050 sogar auf Null bringen. Auch die Mengen an Methan etwa aus der Rinderzucht sowie an anderen Treibhausgasen sollten drastisch sinken. „Dazu müssen fast alle Bereiche des Lebens umgekrempelt werden. Wie wir wohnen, essen, uns fortbewegen, was wir konsumieren“, sagt Niklas Höhne von der niederländischen Universität Wageningen. „Technische Lösungen alleine werden nicht ausreichen, wir müssen unser Verhalten ändern.“

Viele Forscher gehen davon aus, dass der CO2-Ausstoß nicht auf Null zu bringen ist. „Es bleiben bei allen Anstrengungen immer Restemissionen in der Industrie oder dem Verkehr“, sagt der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer. Möglichkeiten, CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen, seien das Aufforsten oder Landwirtschaftsmethoden, die Böden schützen und ihre CO2-Aufnahmefähigkeit fördern.

Wer soll die Menschheit dazu bringen?

„Der 1,5-Grad-Bericht stellt sich leider nicht der Diskussion, wie ambitionierte, 1,5-Grad-kompatible Klimapolitik in einer Situation geopolitischen Chaos‘ und gegen mächtige Lobbygruppen der fossilen Energieträger durchgesetzt werden kann, die sich mit populistischen Klimawandelleugnern verbünden“, bedauert Politikwissenschaftler Axel Michaelowa von der Universität Zürich.

Wie sieht es in Deutschland aus?

Die Bundesrepublik hängt ihren Zielen hinterher – dem nationalen Klimaschutzziel für 2020, aber auch bestimmten verbindlichen EU-Zielen. Zwar kommen 35 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne, aber viel auch weiter aus Kohlekraftwerken. Wann die vom Netz gehen sollen, darüber verhandelt gerade eine Kommission aus Klimaschützern, Politik und Wirtschaft. Ende des Jahres soll sie ein Ergebnis vorlegen. Auch über eine Reduktion des CO2-Ausstoßes im Verkehr beraten Experten gerade. 2019 soll das erste Klimaschutz-Gesetz kommen.

Und in der Europäischen Union?

Die EU-Staaten haben im Rahmen des Paris-Abkommens gemeinsame Ziele vorgelegt. Die sollen planmäßig 2020 nachgeschärft werden. Derzeit gibt es viel Kritik daran, dass einige Staaten – darunter Deutschland – nicht schon im Dezember zur Klimakonferenz im polnischen Kattowitz ehrgeizigere Ziele beschließen wollen. Um den Klimaschutz geht es auch in der hitzig geführten Debatte um strengere CO2-Grenzwerte für Autos in der EU, darüber wollten die EU-Umweltminister an diesem Dienstag in Brüssel verhandeln.

Wo gibt es Lichtblicke?

Die Technik ist vorhanden – allein der politische und gesellschaftliche Wille fehlt, sagen Experten immer wieder. „Erneuerbare Energien drängen Kohle aus Märkten wie Indien und China, was vor fünf Jahren niemand für möglich gehalten hätte“, sagt Niklas Höhne von der Universität Wageningen und nennt weitere Beispiele: „In nur fünf Jahren hat Norwegen Elektroautos zum neuen Standard gemacht, 50 Prozent der Neuanmeldungen sind elektrisch. Die erste Stahlproduktion ohne fossile Brennstoffe hat in Schweden ihren Betrieb aufgenommen.“ Und ob Zufall oder nicht – an diesem Montag wurden zwei US-Ökonomen zu Wirtschaftsnobelpreisträgern gekürt, die zu Klimawandel und sauberem Wachstum forschen.

Wie reagiert die Recyclingbranche auf den Bericht?

Nach Auffassung des Entsorgerverbands bvse steckt vor allem im Kunststoffrecycling noch viel Potenzial für die Einsparung von klimaschädlichen CO2-Emissionen. So könne ein Kilogramm Recyclat, das Neuware ersetzt, bis zu 2,2 Kilogramm CO2äq einsparen. Deshalb sollte es für die eingesparten CO2-Emissionen auch eine Bonifizierung in Höhe der CO2-Zertifikate im Emissionshandel geben. „Das würde einen erheblichen Anreiz für mehr Recycling setzen und gleichzeitig helfen, den Ausstoß klimafeindlicher Emissionen zu senken“, meint bvse-Vizepräsident Herbert Snell.

 

© 320°/dpa | 08.10.2018

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