Graue Wertstofftonne in Kassel

Was ist die optimale Größe einer Mülltonne für die gemeinsame Entsorgung von Restmüll und Leichtverpackungen? In Kassel lief ein Praxistest.

Fast eine Millionen billiger


Die Umweltforscher des Witzenhausen-Instituts für Abfall, Umwelt und Energie wollten herausfinden, wie groß eine Mülltonne sein muss, um Restmüll und Leichtverpackungen des Gelben Sacks zusammen entsorgen zu können. Der zweimonatige Praxisversuch diente daher in erster Linie zur Orientierung, welches Mindestvolumen im Landkreis Kassel pro Person für eine Graue Wertstofftonne festgelegt werden muss. Der Praxistest steht dabei im Zusammenhang mit dem Modellversuch im Kreis Kassel, statt einer weiteren Tonne für die Erfassung von Verpackungen beziehungsweise stoffgleichen Nicht-Verpackungen die bisherige Restabfalltonne als „Graue Wertstofftonne“ zu nutzen.

Ursprünglich waren die Forscher von einem Mindestvolumen von 30 Liter pro Einwohner ausgegangen. Das sind 10 Liter mehr, als satzungsgemäß bisher im Kreis Kassel festgelegt ist. Aber noch zu wenig, wie sich herausgestellt hat. Denn für ein Drittel der Versuchsteilnehmer sei selbst ein deutlich höheres zur Verfügung gestelltes Volumen – im Durchschnitt knapp 40 Liter pro Kopf und Nase – noch zu wenig gewesen.

„Auch auf Nachfrage sahen die meisten dieser Versuchsteilnehmer keine Möglichkeit, durch Volumenreduzierung von Verpackungen oder veränderte Konsumgewohnheiten mit dem gestellten Volumen auszukommen“, erklärtJörg Hezel, Stellvertretender Betriebsleiter der Abfallentsorgung Kreis Kassel. Andererseits: Für etwa zwei Drittel der Versuchsteilnehmer hat das Mindestvolumen von 30 Litern je Einwohner als Berechnungsgrundlage des Behältervolumens gereicht, wenn auch teilweise knapp.

Woran das liegt, kann auch Hezel nur vermuten. In den zurückliegenden Jahren sei ein deutlicher Anstieg der Verpackungsmengen zu verzeichnen, sagt er. Die Gelben Säcke könnten ein Grund dafür sein. „Mit dem dadurch nahezu unbegrenzt zur Verfügung stehenden Volumen für die Entsorgung von Verpackungsabfällen haben die Verbraucher jegliches Gefühl für die Menge der anfallenden Verpackungen verloren“, meint der Vize-Betriebsleiter. So wenig wie für die Konsumenten ein Anreiz für den Kauf verpackungsarmer Waren besteht, so wenig sehen auch die Unternehmen als „Verpacker“ die Notwendigkeit, sich beim Einsatz von Verpackungen einzuschränken. „Das ‚Problem‘ wird auf Kosten der Verbraucher in die Haushalte verlagert“, sagt er.

Eines steht aus seiner Sicht fest: Das derzeitige System der Verpackungsentsorgung ist mit den Zielen des Kreislaufwirtschaftsgesetzes nicht kompatibel . „Die Vermeidung von Abfällen als oberstes Ziel der Abfallhierarchie, wird glatt unterlaufen“, betont Hezel.

Der Praxisversuch zur Ermittlung der optimalen Größe einer Grauen Wertstofftonne war daher auch für viele Haushalte ein „Augenöffner“, welche Massen an Verpackungen tatsächlich bei ihnen anfallen. Hezel geht davon aus, dass sich die meisten Bürger bei einer allgemeinen Systemumstellung auf die gemeinsame Erfassung von Verpackungen und Restmüll den neuen Umständen anpassen würden, so dass das gestellte Volumen im Regelfall ausreichen dürfte.

Für den Gebührenzahler könnte die Einführung eines derartigen Entsorgungssystems finanzielle Vorteile haben. Hezel ist davon überzeugt, dass das System Graue Wertstofftonne in ländlichen Entsorgungsgebieten mit weiten Einsammlungswegen, einer funktionierenden Bioabfallerfassung und einer bestehenden Restabfallaufbereitung zu Einsparungen führen kann. Um das genauer beziffern zu können, hat der Landkreis Kassel eine Wirtschaftlichkeits- und Ökoeffizienzbetrachtung zu den Systemkosten beauftragt. Diese soll beim Kasseler Abfallforum im April vorgestellt werden.

Der Landkreis hat aber auch schon eigene Kalkulationen angestellt. Das Ergebnis: „Die Behälter- und Einsammlungskosten beim System Graue Wertstofftonne sind rund 900.000 Euro pro Jahr günstiger, als beim System einheitliche Wertstofftonne.“ Was den Landkreis Kassel betrifft, erwartet Hezel, dass die Einführung einer Grauen Wertstofftonne kostenneutral erfolgen kann.

Im Landkreis Kassel könnte die Graue Wertstofftonne schon Anfang kommenden Jahres Wirklichkeit werden. Die Abfallentsorgung Landkreis Kassel und die anderen Partner in der Arbeitsgemeinschaft Graue Wertstofftonne sind auch optimistisch, dass der Gesetzgeber beim noch immer ausstehenden Wertstoffgesetz auch die Graue Wertstofftonne mitberücksichtigen wird. Rechtlichen Rückenwind bekommt die Tonne von der Anwaltskanzlei Gaßner, Groth, Siederer & Coll. (GGSC). Ein Gutachten von GGSC macht konkrete Vorschläge zur rechtlichen Gestaltung und zeigt Wege auf, das System Graue Wertstofftonne im Einklang mit europäischem Recht über die Gesetzgebung zu ermöglichen, ohne dass Abstriche bei Recyclingstandards gemacht oder andere System ausgeschlossen werden müssen.

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