Forschungsprojekte zur Verwertung von Lignin

Das bei der Papierproduktion anfallende Lignin ist weit mehr als nur Produktionsabfall. Davon sind Wissenschaftler überzeugt. An möglichen Anwendungsgebieten scheint es nicht zu mangeln, wie verschiedene Forschungsprojekte zeigen.

Lignin: Werkstoff der Zukunft?


Jedes Jahr fallen bei der Papierherstellung weltweit 50 bis 60 Millionen Tonnen Lignin an. Die bisherige Verwendung dieses Nebenprodukts beschränkt sich auf dessen thermische Verwertung zur Energiegewinnung. Nur ein kleiner Teil von nicht einmal 5 Prozent des Lignins findet eine stoffliche Verwendung als Chemierohstoff oder in der Lebensmittelindustrie. Ein unbefriedigender Zustand, finden deutsche und niederländische Forscher. Sie untersuchen in verschiedenen Projekten, wie dieser Abfall sinnvoller genutzt und in Bausteine für neue Produkte umgewandelt werden kann.

Fraunhofer IAP
Fraunhofer IAP

Da Lignin die Papiereigenschaften negativ beeinflusst, muss es dem Zellstoff entzogen werden. „Die herkömmlichen Methoden basieren auf aufwendigen chemischen Prozessen und haben Nebeneffekte: Sie erhalten dadurch ein Lignin, das für eine Weiterverwertung unbrauchbar ist“, erklärt Bert Sels. Deshalb geht dieser Abfallstrom in der Regel in die Verbrennung, obwohl er eigentlich nur ein minderwertiger Brennstoff ist. Anstatt sich an der Aufwertung dieses minderwertigen Lignin-Stroms abzuarbeiten, konzentrieren sich der Professor und sein Team am Zentrum für Oberflächenchemie und Katalyse der Katholischen Universität in Leuven (Belgien) auf den davorliegenden Schritt. Mit einer alternativen Behandlungsmethode wollen sie das Holz in für die Industrie brauchbaren Papierzellstoff umwandeln und gleichzeitig hochwertige Lignin-basierte Erzeugnisse erhalten.

Dazu geben die Wissenschaftler Sägespäne in einen kleinen chemischen Reaktor und fügen sowohl einen Katalysator hinzu, um die chemische Reaktion in Gang zu setzen, als auch ein Lösemittel. „Mit der richtigen Temperatur und dem richtigen Druck sind wir in der Lage, das Lignin vom Pulp zu trennen sowie in kleinere Komponenten aufzuspalten“, erklärt Sels das Prinzip der alternativen Bioraffinerie-Technologie. Am Ende kommt ein Lignin-Öl heraus, das wesentlich einfacher in chemische Bausteine umgewandelt werden kann. Für diese Bausteine wiederum scheint es eine breite Palette an Anwendungsgebieten zu geben. Sie sollen in Kunststoffen, Isolierschaumstoff, Lösemitteln, Farb- und Aromastoffen, Arzneimitteln, Tinte, Farbe und diversen anderen Produkten verwendet werden können.

Carbonfasern könnten preiswerter werden

Forscher des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Polymerforschung (IAP) und des Faserinstituts Bremen haben mit dem hochkomplexen Molekül, das aus Wasserstoff, Sauerstoff und Kohlenstoff besteht, noch etwas anderes vor. Sie wollen daraus Carbonfasern herstellen. Das Anfang dieses Jahres gestartete Projekt hat zum Ziel, Lignin-basierte Carbonfasern in der für den Leichtbau erforderlichen Qualität herzustellen. Am Ende der Entwicklungsarbeiten soll eine Carbonfaser stehen, die auch für Anwendungen in der Luftfahrt geeignet ist. In knapp drei Jahren soll das Projekt abgeschlossen sein. Unterstützt wird das Vorhaben von Airbus Deutschland, einem potenziellen Nutzer des Lignin-basierten Kohlenstoffs.

Aktuell gewinnt man Carbonfasern überwiegend aus dem fossil-basierten Polyacrylnitril (PAN) oder aus Pech. Lignin aus Holz mit einem Kohlenstoffanteil von etwa 55 bis 65 Prozent wäre eine mögliche Alternative. Vor allem wäre es eine im Vergleich zu den teuren Carbonfasern kostengünstigere Alternative. Eine Lignin-basierte Carbonfaser würde langfristig nur rund 4,50 Euro pro Kilogramm kosten, gegenüber mindestens 9,50 Euro pro Kilogramm für die aus PAN gewonnene Faser, schätzt der Projektträger, die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe. Würden Carbonfasern in der Herstellung tatsächlich so günstig, könnten sie auch aus der Nische der Spezialanwendungen und Premiumprodukte heraus in Massenmärkte gebracht werden

Die Forscher vom Fraunhofer-IAP in Potsdam-Golm sehen Lignin darüber hinaus noch als gute Alternative zu erdölbasierten Kunststoffen. Den IAP-Forschern ist es bereits gelungen, Kunststoffe wie Polyethylen (PE) oder Polypropylen (PP) mit einem 70-prozentigen Lignin-Anteil herzustellen. Das wird durch eine eigens entwickelte Mischtechnik möglich. Der Vorteil ist derselbe wie bei den Carbonfasern: Lignin ist etwa halb so teuer wie die verwendeten Kunststoffe PE und PP. Noch hätten die Mischungen allerdings den typischen Lignin-Geruch, was die Anwendungsfelder einschränke und weitere Forschungsarbeiten nötig mache, geben die Forscher zu. Aber schon jetzt können die Materialien in Bereichen wie Industriebehälterbau, Transportverpackungen oder Straßen- und Gartenbau eingesetzt werden.

Eigenschaften wie Holz, dennoch wie Kunststoff zu verarbeiten

Zwei Wissenschaftler eines anderen Fraunhofer-Instituts haben diese Anfänge bereits längst hinter sich. Ihr auf Lignin basierender Biowerkstoff Arboform hat es mittlerweile zur Serienproduktion in vielen Anwendungsbereichen geschafft. Das Konzept wurde am Fraunhofer Institut für chemische Technologie entwickelt. 1998 gründeten die beiden Wissenschaftler Jürgen Pfitzer und Helmut Nägele das Spin-off-Unternehmen Tecnaro, um ihre Erfindung zu vermarkten.

Bei ihrem Prozess wird zurückgewonnenes Lignin mit Naturfasern wie Flachs, Hanf oder anderen Faserpflanzen gemischt, um einen Faserverbundwerkstoff herzustellen. Dieser kann laut Unternehmensangaben auf herkömmlichen Kunststoffverarbeitungsmaschinen wie ein synthetisch hergestellter Thermoplast zu Formteilen, Tafeln oder Platten verarbeitet werden. Der Vorteil dieses Flüssigholzes bestehe darin, dass er sich einfach recyceln lasse. Es sei vollständig kompostierbar und könne auch kohlendioxidneutral verbrannt werden.

Für ihr biologisch abbaubares organisches Polymer, das dieselben Eigenschaften wie Holz besitzt und dennoch wie ein Kunststoff verarbeitet werden kann, haben Pfitzer und Nägele im Jahr 2010 den Europäischen Erfinderpreis in der Kategorie KMU/Forschung erhalten. Ihr Unternehmen arbeitet mittlerweile mit Porsche, Daimler und Fischer Automotive an geeigneten Anwendungen. Über die Anwendungen in der Autoindustrie hinaus könne Arboform für die Herstellung von Musikinstrumenten, Spielzeug oder aufgrund seiner akustischen Eigenschaften sogar für Designerlautsprecher eingesetzt werden.

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